Änderungsantrag zum Dritten Gleichstellungsaktionsplan der Stadt Leipzig - Maßnahmenkatalog 2024 bis 2027

Änderungsantrag vom 6. Juni 2024

Beschlussvorschlag:

Der Dritte Gleichstellungsaktionsplan (Anlage 1) wird um folgende Maßnahmen ergänzt:

  1. Zum besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor häuslicher Gewalt wird im Dritten Gleichstellungsaktionsplan im Handlungsfeld 2 „Leipzig als sichere Stadt“ eine Maßnahme zur Beratung von jugendlichen Gewaltausübenden unter 18 Jahre ergänzt. Darüber hinaus wird ein Modellprojekt zu häuslicher Gewalt im Zusammenhang mit Kindern, orientiert an der Elternberatung bei häuslicher Gewalt im Münchner Modell, eingerichtet.
  1. Zur Sichtbarmachung sowie Prävention von Gewalt an queeren Menschen wird im Handlungsfeld 2 eine Maßnahme zur Konzeption und Durchführung einer niedrigschwelligen Print- und Digitalmedienkampagne zum Thema Gewalt gegen queere Menschen aufgenommen.
  1. Zur besseren Versorgung von Betroffenen mit Beratungsleistungen sowie zur Prävention von häuslicher Gewalt an Männern (diese umfasst sowohl psychische als auch physische und sexualisierte Gewalt) wird im Handlungsfeld 2 eine Maßnahme zur Beratung gewaltbetroffener Männer ergänzt.

Begründung:

Zu 1. Nach Gesprächen mit der Verwaltung in Bezug auf unseren Antrag „Vielfältige Männerbilder ermöglichen – für ein gewaltfreies Leben für Alle!“ aus dem September 2023 wurden Teile der ursprünglich beantragten Maßnahmen in den Gleichstellungsaktionsplan aufgenommen. So ist erfreulicherweise eine Kampagne der Stadt zu Vielfältigen Jungen- und Männerbildern geplant (Maßnahme 2.9). Darüber hinaus soll ein städtisches Konzept zur Gewaltprävention ausgearbeitet werden (Maßnahme 2.3).

Es bestehen jedoch weiterhin Lücken, beispielsweise im Bereich Prävention und Beratung zu geschlechtsspezifischer Gewalt. So ist aktuell zu erkennen, dass Gewaltstrukturen in Paarbeziehungen immer früher auftreten. Gehäuft kommt es zu Fällen, in denen bereits Jugendliche gewalttätig gegenüber ihren Beziehungspartner*innen werden. Fachstellen bezeichnen dies als „teen dating violence“. Darüber hinaus kommt es vermehrt zur Ausübung von Gewalt Jugendlicher gegenüber ihren Müttern. Es besteht daher ein hoher Handlungsbedarf bei der Prävention, um einer frühzeitigen Verfestigung tradierter Geschlechterrollenbilder entgegenzuwirken. Ein entsprechendes Beratungsangebot für jugendliche Gewaltausübende mit Fokus auf geschlechtsspezifische Gewalt soll diese Lücke schließen. Aktuell gibt es nur ein Anti-Gewalt-Beratungsangebot für Personen ab 18 Jahre mit diesem Fokus. Für gewalttätig gewordene Jugendliche unter 18 Jahre existiert zwar in Leipzig ein Angebot mit aufsuchender Arbeit sowie Anti-Gewalt-Kursen. Geschlechtsspezifische Gewalt wird hier jedoch nicht gesondert in den Blick genommen. Ein spezifisches Beratungsangebot könnte auch den bisher ungedeckten Bedarf der Beratung von Familienangehörigen und Opfern abdecken und die bisher aus Kapazitätsgründen fehlende Umfeldarbeit anbieten.

Ein weiteres Problem ist die Beratung und Versorgung von Betroffenen häuslicher Gewalt im Zusammenhang mit Kindern. Nach erfolgter häuslicher Gewalt und in Anspruch genommener Hilfe und Beratung findet häufig eine Trennung der Partnerschaft zwischen Täter*in und Opfer, sowie Kindern statt. Dies zieht notwendigerweise eine Regelung des Umgangs im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nach sich. Zum Schutz des Kindeswohls und der Opfer werden dabei begleitete Umgänge, bei denen die häufig männlichen Gewaltausübenden ihre Kinder in einer geschützten Umgebung sehen können, durch das Gericht angeordnet. Die damit beauftragten Erziehungsberatungsstellen sind mit der Organisation und Durchführung der begleiteten Umgänge massiv überlastet. Es kommt zu monatelangen Wartezeiten. Aufgrund der langen Wartezeiten, in denen ein Elternteil (häufig Väter) von ihren Kindern getrennt sind, kommt es in vielen Fällen erneut zu gewalttätigen Übergriffen. Ein Modellprojekt im Sinne des Münchner Modells kann hier ein erster Schritt sein, um Abhilfe zu schaffen (siehe https://www.maennerzentrum.de/wp-content/uploads/2019/09/Infoblatt_Muenchner_Modell_01.pdf). Bei der Elternberatung im Münchner Modell wird zunächst einmal eine getrennte geschlechtsspezifische Elternberatung unter Berücksichtigung der Gefährdungslage angeboten, welche eine Perspektive auf gemeinsame Elterngespräche beinhaltet. Dabei stehen der Schutz und die Stabilisierung von Opfer und Kindern sowie die Übernahme von Verantwortung für gewaltfreies Handeln im Vordergrund. Aufgrund eines zeitnahen Beratungsbeginns nach der Verhandlung zum Umgangsrecht kann weiteren gewalttätigen Übergriffen vorgebeugt werden.

Zu 2. Queere Menschen sind strukturell von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffen. Immer wieder gehen abwertende und ausgrenzende Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen oder tatsächlichen geschlechtlichen und sexuellen Identität in Gewalt über. Insbesondere für die extreme Rechte und fundamentalistische religiöse Gruppen stellen queere Menschen ein Feindbild dar, welches es zu bekämpfen gilt. Queerfeindlichkeit gibt es aber auch in der Mitte der Gesellschaft, wie nicht zuletzt die Leipziger Autoritarismusstudien belegen[1]. Es ist wichtig, die von Diskriminierung und Gewalt Betroffenen zu schützen und zu unterstützen. Ebenso ist es allerdings von Bedeutung, diejenigen, die diese Gewalt ausüben, zu adressieren und sie in die Interventionsarbeit mit einzubeziehen. Um für mehr Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt innerhalb der Gesellschaft und für Gleichwertigkeit der LGBTQIA+-Community zu sorgen, muss Vielfalt demonstriert und weiter normalisiert werden. Aus diesem Grund soll eine niedrigschwellige Kampagne gegen Gewalt an queeren Menschen in den Gleichstellungsaktionsplan aufgenommen werden.

Zu 3. Zum Schutz von Männern vor häuslicher Gewalt gibt es in der Stadt Leipzig eine Männerschutzwohnung, welche auch als Maßnahme im Dritten Gleichstellungsaktionsplan definiert ist. Im Jahr 2024 wurden in der Schutzwohnung bisher neun erwachsene Männer sowie fünf Kinder aufgenommen. Im Rahmen der Arbeit und Betreuung innerhalb der Schutzwohnung findet auch Beratung für die gewaltbetroffenen Männer statt. Insgesamt wurden in diesem Jahr 23 Personen im Rahmen einer einmaligen Beratung oder eines Beratungsprozesses beraten. Leider mussten im Jahr 2024 bereits 63 Personen abgewiesen werden, die weder Schutz noch Beratung erhalten konnten. Ein häufiger Grund besteht in der fehlenden Aufnahme- bzw. Beratungskapazität. Von den 63 abgewiesenen Personen kamen ca. die Hälfte aus Leipzig oder dem Leipziger Umland. So wird die Zahl der diesjährigen Abweisungen voraussichtlich die Zahl der 2023 insgesamt Abgewiesenen (72) deutlich übersteigen. Dabei hat die Mehrzahl der Personen mindestens Beratungsbedarf, in vielen Fällen besteht Bedarf an geschützter Unterbringung.

Die Zahlen zeigen, dass die Männerschutzwohnung in Leipzig die Anfragebedarfe nicht abdecken kann. Dies gilt sowohl für die Aufnahme in die Schutzwohnung, als auch für eine ambulante psychosoziale Beratung für gewaltbetroffene Männer bzw. Väter. Da das Angebot der Männergewaltschutzarbeit außerdem noch nicht überall bekannt bzw. sichtbar ist, ist von einer wesentlich höheren Dunkelziffer auszugehen.

Die bisherige ambulante Beratung ist kein selbständiges Beratungsangebot, sondern Teil der Arbeit in der Schutzwohnung. Damit sind die Beratungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Eine eigene Beratungsstelle, wie es sie auch im Bereich des Frauengewaltschutzes gibt, könnte durch psychosoziale Beratung, Verweisberatung und systemische Beratung gewaltbetroffener Männer wesentlich zur Prävention häuslicher Gewalt gegen Männer beitragen. Mit einer Beratungsstelle würden auch längere Beratungsprozesse ermöglicht, die aus Kapazitätsgründen im Moment nicht abgedeckt werden können.

Die bestehende Leipziger Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) ist für alle erwachsenen Personen geöffnet und kann demzufolge auch von Männern mit Beratungsbedarf konsultiert werden. Aufgrund der hohen Anzahl an Fällen häuslicher Gewalt ist diese jedoch aktuell kapazitätsmäßig bereits vollständig ausgelastet.

 

[1] Vgl. S. 245ff. https://www.boell.de/sites/default/files/2022-11/decker-kiess-heller-braehler-2022-leipziger-autoritarismus-studie-autoritaere-dynamiken-in-unsicheren-zeiten_0.pdf

Beschluss in der Ratsversammlung am 20. Juni 2024

Der Änderungsantrag wurde mehrheitlich vom Stadtrat beschlossen.

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