Anfrage: Bauernprotest und Blockaden

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 24. Januar 2024

Am Montag, den 08.01.2024, fanden auch in Leipzig Versammlungen im Rahmen des sogenannten Bauernprotestes statt. Hintergrund dazu ist der Streit über die schrittweise Abschaffung der Agrardieselsubvention und die inzwischen zurückgenommene Abschaffung der KFZ-Steuerbefreiung, für die im Bundestag alle Parteien im Rechnungsprüfungsausschuss votiert hatten.

Zu den Protesten hatten unter anderem der Landesbauernverband Sachsen aufgerufen, die Initiative „Land schafft Verbindung“ sowie auch rechte Splittergruppen. Ebenso hatte die Kreishandwerkerschaft in Persona eines CDU-Stadtrates für eine aktive Teilnahme geworben.

Abgezielt wurde auf Blockaden des öffentlichen Lebens. Dadurch kam es in den Morgenstunden auf dem Leipziger Innenstadtring zu erheblichen Staus und Beeinträchtigungen des ÖPNV sowie zu Beeinträchtigungen des Schulunterrichts. Den ganzen Tag über fuhren offensichtlich Teilnehmende der Proteste um den Leipziger Innenstadtring und benutzen dauerhaft Schallzeichen, sodass es auch zu Beeinträchtigungen anliegender Wohnviertel kam und auch eine Reihe von Arbeitnehmer*innen durch stundenlanges Hupen gestört wurden. Das Schallzeichen ist in § 16 der StVO geregelt und darf innerorts grundsätzlich nicht verwendet werden.

Hinzu kamen weitere Aufzüge im Leipziger Stadtgebiet, darunter auch einige mit rechtsextremen Symbolen. Ein Pickup fuhr mit einem Galgen mit Stofffetzen in Ampelfarben über den Ring. Hier sei daran erinnert, dass in der Vergangenheit auch wegen plakativen Slogans auf Transparenten Ermittlungen aufgenommen wurden.

Die Blockade des öffentlichen Lebens hatte auch der zuständige Innenminister gutgeheißen, der offenbar aus wahltaktischen Motiven seine Liebe zu Straßenblockaden entdeckt hat.

Auch die CDU-Fraktion im Stadtrat verkündete im Anschluss voller Freude, dass ursprünglich offenbar der Protest nur 1 Stunde gehen sollte und dann auf 5 Stunden verlängert wurde. In der Vergangenheit hatte die Versammlungsbehörde auch der ungeplanten deutlichen Verlängerung von Versammlungen widersprochen und dies untersagt.

In der Vergangenheit hat die Leipziger Versammlungsbehörde ferner sehr genau darauf geachtet, dass bei Versammlungen auch die Rechte der nicht Versammelnden gewahrt sind, etwa durch Beschränkungen hinsichtlich Dauer und Lautstärke der Beschallung oder zum Freihalten von Rettungswegen und der Flüssigkeit des Verkehrs.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich einige Fragen:

  1. Wie viele angemeldete Versammlungen, wo und in welchen Zeitraum, gab es am 08.01.2024 in Leipzig?
  2. Ist die Nutzung des Schallzeichens entgegen § 16 StVO durchgängig gestattet worden?
  3. War auf dem Leipziger Ring eine dauerhafte Demonstration zwischen 8-17 Uhr angemeldet? Oder wurde eine bestehende Versammlung verlängert? Falls nicht, wie schätzt das Ordnungsamt das Geschehen ein, auch hinsichtlich der Frage, dass durch dauerhafte Nutzung des Schallzeichens und dessen Wirkung auf unbeteiligte Dritte?
  4. Sind Verstöße gegen das Versammlungsrecht geahndet wurden, wenn ja welche und wie viele?
  5. Welche Folgen ergeben sich für die Versammlungsbehörde aus den Äußerungen des Innenministers, als Dienstherr des polizeilichen Vollzugdienstes, wenn dieser vorab Blockaden und Protest ausdrücklich gutheißt? Ist in Zukunft damit zu rechnen, dass sofern die Landesregierung oder Minister Versammlungen
  6. Wie wurde Sorge dafür getragen, dass die Rechte der sich nicht Versammelnden gewahrt werden durch Freihaltung von Rettungsgassen, Flüssigkeit des ÖPNV usw.?
  7. Ist damit zu rechnen, dass künftig alle Versammlungen, die nach Meinung des Innenministers und der CDU-geführten Verbände eine Bedeutung haben, anders behandelt werden als andere Demonstrationen?
  8. Teilt die Stadt die Auffassung, dass insbesondere die Sicherheitsbehörden streng neutral agieren müssen, um das Vertrauen in die Institutionen des Staates nicht zu erschüttern?
  9. Wird die Darstellung des Galgens strafrechtlich geprüft bzw. wie bewertet die Stadtverwaltung die implizite Aufforderung, Menschen an den Galgen zu hängen und wird dies ggf. bei weiteren Anmeldungen berücksichtigt?

Antwort der Stadtverwaltung vom 22. Januar 2024

1. Wie viele angemeldete Versammlungen, wo und in welchen Zeitraum, gab es am 08.01.2024 in Leipzig?

Nachfolgende Versammlungen wurden bei der zuständigen Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig gemäß § 14 Abs. 1 Sächsisches Versammlungsgesetz (SächsVersG) angezeigt:

  • Kundgebungen "Die Ampel ist Kaputt", 05:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Autobahnauffahrt Neue Harth (Belantis)
  • Kundgebungen "Die Ampel ist Kaputt", 05:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Autobahnauffahrt Leipzig Südwest
  • Kundgebungen "Die Ampel ist Kaputt", 05:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Autobahnauffahrt Leipzig Nord
  • Kundgebungen "Die Ampel ist Kaputt", 05:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Autobahnauffahrt Leipzig Messegelände
  • Kundgebungen "Die Ampel ist Kaputt", 05:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Autobahnauffahrt Leipzig Ost
  • Kundgebung "Fahrspurreduzierung sofort rückgängig machen!", 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr, öffentlicher Fußweg im Bereich Martin-Luther-Ring, Ecke Rudolphstraße
  • Kundgebung "Mähdrescher statt Panzer!", 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Augustusplatz, Gewandhausseite, vor dem Mendebrunnen
  • Kundgebung "Deutschland und Sachsen braucht eine bessere Politik!", 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr sowie 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr, öffentlicher Fußweg im Bereich Theresienstraße, Ecke B2
  • Kundgebung "Deutschland und Sachsen braucht eine bessere Politik!", 08:00 Uhr bis 09:00 Uhr sowie 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr, öffentlicher Fußweg im Bereich Hans-Weigel- Straße, Ecke Riesaer Straße
  • Kundgebung "Deutschland und Sachsen braucht eine bessere Politik!", 08:00 Uhr bis 09:00 Uhr sowie 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr, öffentlicher Fußweg im Bereich Permoser Straße, Ecke Paunsdorfer Allee
  • Aufzug "Die Ampel muss weg!", ab 17:00 Uhr auf nachfolgender Route: südlicher Fußwegbereich Georg-Schumann-Straße, Höhe Q1-Tankstelle (Sammlung) - Georg-Schumann-Straße (südlicher Fußweg) bis Höhe Arbeitsagentur - Georg-Schumann-Straße (nördlicher Fußwegbereich) - Georg-Schumann-Straße, Höhe Kaufland (nördlicher Fußwegbereich) - Georg-Schumann-Straße (südlicher Fußwegbereich) - Georg-Schumann-Straße, Höhe Q1-Tankstelle (Beendigung)
  • Kundgebung "Ihre Krise nicht auf unserem Rücken!", 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr Augustusplatz, Opernseite im Bereich der Demokratieglocke
  • Aufzug "Frieden und Freiheit für Alle", 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr auf nachfolgender Route: Augustusplatz, Gewandhausseite (Sammlung & Auftakt) - Augustusplatz (Innenring) - Roßplatz (Innenring) - Wilhelm-Leuschner-Platz (Innenring) - Martin-Luther-Ring (Innenring) - Dittrichring (Innenring) - Goerdelerring (Innenring) - Tröndlinring (Innenring) - Willy-Brandt-Platz (Innenring) - Goethestraße - Augustusplatz (Mittelfahrbahn) - Augustusplatz, Gewandhausseite (Abschluss & Beendigung)
  • Kundgebung "Tag des Widerstands - für eine lebenswerte Zukunft international! Aktiv gegen die Weltkriegsgefahr - wir zahlen nicht für eure Kriege!", 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr, kleiner Willy-Brandt-Platz

Nachfolgende Versammlung wurde gegenüber der ersatzzuständigen Polizei gemäß
§ 14 Abs. 1 SächsVersG am Sonnabend, den 06.01.2024, angezeigt und in Folge durch die Polizei in (Ersatz-)Zuständigkeit auch beschieden:

  • Fahrzeugaufzug "Dem Handwerk reichts.", 08:00 Uhr bis 09:00 Uhr, Innenstadtring Leipzig (Verkehrsspuren) mit Verlängerung bis 13:00 Uhr in Abstimmung zwischen der Polizei und dem Veranstalter

2. Ist die Nutzung des Schallzeichens entgegen § 16 StVO durchgängig gestattet worden?

Sofern sich diese Frage auf das im Sachverhalt geschilderte Protestgeschehen vom 08.01.2024 auf dem Leipziger Innenstadtring bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig am 08.01.2024, gegen 07:10 Uhr seitens der Polizeidirektion Leipzig über eine am Sonnabend, den 06.01.2024, angezeigte Versammlung informiert wurde, welche in (Ersatz-)Zuständigkeit des Polizeireviers Zentrum vor Ort mit dem in der Versammlungsanzeige angegebenen Verantwortlichen besprochen werden sollte. Nach kurzer Rücksprache mit dem Polizeirevier Zentrum übermittelte die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig dem Polizeirevier Zentrum den Entwurf einer Bescheidvorlage mit Beschränkungen hinsichtlich eines Fahrzeugaufzuges im Sinne des       § 15 Abs. 1 SächsVersG. Eine Beschränkung zur Nutzung des Schallzeichens entgegen       § 16 StVO enthielt diese Vorlage nicht. Entsprechende Beschränkungen zur Nutzung des Schallzeichens bspw. nachfolgenden Inhalts ergingen in der Vergangenheit nur, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet war (vgl. § 15 Abs. 1 Sächsisches Versammlungsgesetz):

Das Hupen mit der Fahrzeughupe und vergleichbare Schallzeichen aus dem Fahrzeug als Demonstrationsmittel sind untersagt. Auf § 16 StVO wird verwiesen.

Ob die Nutzung des Schallzeichens entgegen § 16 StVO auf dem im Sachverhalt geschilderten Protestgeschehen vom 08.01.2024 auf dem Leipziger Innenstadtring durchgängig gestattet wurde, ist gegenüber dem in (Ersatz-)Zuständigkeit handelnden Polizeirevier Zentrum zu erfragen.

3. War auf dem Leipziger Ring eine dauerhafte Demonstration zwischen 8-17 Uhr angemeldet? Oder wurde eine bestehende Versammlung verlängert? Falls nicht, wie schätzt das Ordnungsamt das Geschehen ein, auch hinsichtlich der Frage, dass durch dauerhafte Nutzung des Schallzeichens und dessen Wirkung auf unbeteiligte Dritte?

Zunächst wird auf die Beantwortung unter 2. verwiesen. Die Frage, ob auf dem Leipziger Ring eine dauerhafte Demonstration zwischen 8:00 Uhr und 17:00 Uhr angemeldet war, ist dem Kenntnisstand der Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig zufolge zu verneinen. So bezog sich die unter 2. erwähnte Versammlungsanzeige auf den Zeitraum von 08:00 bis 09:00 Uhr. Nach Kenntnis der Versammlungsbehörde gab es eine Abstimmung zur Verlängerung der Versammlung bis 13:00 Uhr zwischen der Polizei und dem Anzeigenden. An dieser Entscheidung war die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig nicht involviert. Diesbezüglich ist auch eine nachträgliche Einschätzung des Geschehens in Unkenntnis aller objektiven Fakten nur schwerlich möglich.

4. Sind Verstöße gegen das Versammlungsrecht geahndet worden, wenn ja welche und wie viele?

Die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig hat hinsichtlich des im Sachverhalt geschilderten Protestgeschehens vom 08.01.2024 auf dem Leipziger Innenstadtring keine Kenntnis über möglicherweise festgestellte Verstöße gegen das Sächsische Versammlungsgesetz. Entsprechendes ist gegenüber dem in (Ersatz-)Zuständigkeit handelnden Polizeirevier Zentrum zu erfragen.

Laut abschließender Medieninformation der Polizeidirektion Leipzig im Zusammenhang mit dem Protestgeschehen der Landwirte vom 08.01.2024 (s. unter Polizei Sachsen - Polizeidirektion Leipzig - Abschließende Medieninformation zum Protest der Landwirte) wurden in der Summe sieben Ermittlungsverfahren (u. a. wegen Bedrohung, Nötigung, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz) eingeleitet und sechs Ordnungswidrigkeiten-verfahren registriert.

5. Welche Folgen ergeben sich für die Versammlungsbehörde aus den Äußerungen des Innenministers, als Dienstherr des polizeilichen Vollzugdienstes, wenn dieser vorab Blockaden und Protest ausdrücklich gutheißt?

Die Grundrechte der Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind Kernbereiche unserer Demokratie und für ein freiheitliches Zusammenleben unerlässlich. Das Oberverwaltungs-gericht Berlin-Brandenburg entschied u. a. in einem aktuellen Eilverfahren (Beschl. v. 06.01.2024, Az.: OVG 1 S 3/24), dass die Bauern die Autobahnzufahrten auch stundenlang blockieren dürfen. Autofahrer müssten nicht unbedingt die Autobahn benutzen und könnten ihr Ziel auch auf anderen Straßen erreichen.

6. Wie wurde Sorge dafür getragen, dass die Rechte der sich nicht Versammelnden gewahrt werden durch Freihaltung von Rettungsgassen, Flüssigkeit des ÖPNV usw.?

Zunächst wird auf die Beantwortung unter 2. verwiesen. Der seitens der Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig an das (ersatz-)zuständige Polizeirevier Zentrum übermittelte Entwurf einer Bescheidvorlage beinhaltet eine Reihe von Beschränkung zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, welche sich üblicherweise bei einem Fahrzeugaufzug ergeben. Ob diese Beschränkungen letztendlich verfügt wurden, ist gegenüber dem in (Ersatz-)Zuständigkeit handelnden Polizeirevier Zentrum zu erfragen.

7. Ist damit zu rechnen, dass künftig alle Versammlungen, die nach Meinung des Innenministers und der CDU-geführten Verbände eine Bedeutung haben, anders behandelt werden als andere Demonstrationen?

Die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig orientiert sich bei ihren Bewertungen an den Vorgaben des Sächsischen Versammlungsgesetzes und der einschlägigen Rechtsprechung.

8. Teilt die Stadt die Auffassung, dass insbesondere die Sicherheitsbehörden streng neutral agieren müssen, um das Vertrauen in die Institutionen des Staates nicht zu erschüttern?

Im demokratischen Rechtsstaat gehören die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu den höchsten zu schützenden Rechtsgütern. Diese Rechte neutral und unabhängig von politischen und gesellschaftlichen Tendenzen und Mehrheitsverhältnissen zu gewähren, ist der gesetzliche Auftrag der Versammlungsbehörden. Das Versammlungsrecht ist grundsätzlich „inhalts- und meinungsneutral“. Das bedeutet: Die staatliche Gewalt darf prinzipiell nicht prüfen, ob eine mit der Demonstration vertretene Meinung „wertvoll“ oder „wertlos“, ob sie „richtig“ oder „falsch“ ist. Diesbezüglich ist es auch nicht Aufgabe der Versammlungsbehörden, sich positiv oder negativ zu Versammlungen zu äußern oder gar sich zu positionieren.

9. Wird die Darstellung des Galgens strafrechtlich geprüft bzw. wie bewertet die Stadtverwaltung die implizite Aufforderung, Menschen an den Galgen zu hängen und wird dies ggf. bei weiteren Anmeldung berücksichtigt?

Die strafrechtliche Einschätzung der im Sachverhalt geschilderten Darstellung eines Galgens mit Stofffetzen in Ampelfarben obliegt den Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei). Ob in diesem Fall eine entsprechende Prüfung erfolgte, ist gegenüber dem in (Ersatz-)Zuständigkeit handelnden Polizeirevier Zentrum zu erfragen.

Sofern eine Strafanzeige getätigt wurde, ist es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörde zu prüfen, ob Delikte wie öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Billigung von Straftaten, verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen sowie Beleidigung von Personen des politischen Lebens vorliegen.

Sämtliche der Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig vorliegenden Erkenntnisse werden bei Versammlungsanzeigen – soweit relevant – berücksichtigt.

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