Anfrage: Baumschutz oder doch nicht?

Anfrage vom 5. April zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 20. April 2016:

2010 wurde die bis dahin in geltende Leipziger Baumschutzsatzung durch die Novellierung des Sächsischen Naturschutzgesetzes § 22 SächsNatSchG in ihrer regulierenden Aufgabe für den Schutz der natürlichen Umwelt und für die Anordnungen von Ausgleichmaßnahmen bei Fällungen z. B. bei Baumaßnahmen erheblich geschwächt. Seit 2010 ist es  Grundstückseigentümern möglich geworden, bestimmte Baumarten und vor allem junge Bäume zu fällen, ohne eine Erlaubnis bei der Kommune beantragen zu müssen.

Insbesondere Sträucher und Hecken, Obstbäume zudem alle Nadelbäume, Birken, Pappeln, Weiden sofern sie nicht schon einen Stammumfang von einem Meter haben, können ungeachtet ihrer Bedeutung als Lebensraum schützenswerter biologischer Vielfalt bedingungslos gefällt werden. Einzelarten können u. U. durch höher stehendes Recht, wie BnatSchG, noch geschützt sein. Seitdem sind in Leipzig viele Bäume gefallen.

Zuletzt war bekannt geworden, dass z. B. die Baugenossenschaft Leipzig eG in der Bernhard-Göring-Straße in ihrem Objekt „Grüne Höfe“ 80 der 130 Bäume fällen lassen hat für eine Neugestaltung des Innenhofes. Nicht nur in diesem Fall, sondern auch bei vielen anderen Baumfällungen, sind Bürgerinnen sehr verärgert und hinterfragen die Begründungen in den Ämtern und mahnen mehr für den Baumschutz seitens der Kommune zu unternehmen. Diese Bürger sehen Grundstückseigentümer auch in ihrer Verpflichtung für den Naturschutz als das Recht der Allgemeinheit.

Als logische Folge der Gesetzesnovelle ist es für die zuständigen Ämter deutlich schwerer geworden, den Verlust von Baumbeständen auf privatem Grund sachlich zu belegen. Die regelmäßigen Luftbildaufnahmen des Stadtgebietes (siehe www.stadtplan.leipzig.de) sollten diese Nachweise wenigstens für geschätzte Aussagen liefern können.

Wir fragen an:

  1. Wie wurde seit dem Jahr 2010 die neue Landesgesetzgebung in Bezug auf Baumschutz durch die Leipziger Verwaltung umgesetzt und welche Erfahrung gibt es in der Anwendung?
  2. Wie viele nicht mehr unter Schutz stehende Bäume wurden schätzungsweise seit Inkrafttreten der Gesetzesnovelle genehmigungsfrei gefällt?
  3. Wieviele unter Schutz stehende Bäume wurden mit Genehmigung gefällt? Wieviele Ersatzleistungen wurden angeordnet?
  4. Wie sichert das Amt für Umweltschutz oder Amt für Stadtgrün und Gewässer Verstöße gegen das BNatSchG? Wieviele Verstöße wurden seit 2010 geahndet?
  5. Wie hoch sind die bisher entstandenen jährlichen Verwaltungskosten für die Antragsbearbeitung seit 2010? Wie hoch waren im Vergleich dazu die jährlichen Gebühreneinnahmen für die Antragsbearbeitung vor 2010?

Antwort der Verwaltung in der Ratsversammlung am 20. April 2016 (Auszug aus dem Verlaufsprotokoll)

Bürgermeister Rosenthal:
Zur Frage 1. Mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Landesumweltrechts 2010 und dem neuen Sächsischen Naturschutzgesetz 2013 wurde der Geltungsbereich kommunaler Gehölzschutzsatzungen in Sachsen eingeschränkt. Danach wurden durch Landesrecht Nadelgehölze, Pappeln, Birken, Baumweiden, Obstbäume unabhängig vom Stammumfang auf mit Gebäuden bebauten Grundstücken vom Geltungsbereich der Baumschutzsatzung ausgenommen. Ebenso nicht mehr geschützt sind auf mit Gebäuden bebauten Grundstücken alle anderen Laubbäume mit einem Stammumfang unter 1 Meter gemessen in 1 Meter Höhe. Sofern nicht andere öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, dürfen diese Gehölze landesweit ohne Genehmigung beseitigt werden. Ersatzpflanzungen können nicht gefordert werden. Weiterhin wurden Verfahrensvorschriften, zum Beispiel Freistellung des Genehmigungsverfahren von Verwaltungsgebühren, Einführung des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach einer Frist von drei Wochen, geändert. Seit den Gesetzesänderungen wird in der Stadt Leipzig gemäß der landesrechtlichen Vorgaben verfahren.

Bis zur Einführung wurden in Baugenehmigungsverfahren durch das Amt für Stadtgrün und Gewässer separate  Bescheide  bei  Eingriffen  in geschützte Gehölze durch nach Sächsischer Bauordnung genehmigungspflichtige   Vorhaben erlassen.  Da die Bestimmungen nun auf insgesamt weniger Gehölze der Baumschutzsatzung zutreffen,  wurde  im  Herbst  2010  die  Bearbeiterzahl in der betreffenden  Struktureinheit des Amtes für Stadtgrün  und  Gewässer  um  zwei  Bedienstete  reduziert. Zwar hat  sich die Zahl der Verfahren an sich verringert; jedoch stieg  aufgrund der  zusätzlich eingeführten Faktoren, zum Beispiel  nicht  definierter Grundstücksbegriff  Bebauung,  Differenzierung von Arten  und  Größengruppen auf  mit  Gebäuden  bebauten Grundstücken,  gleichzeitig der Aufwand bei  der Antragsbearbeitung wesentlich. Es wird eingeschätzt, dass  sich  dieser je nach Fall um mindestens 30 Prozent erhöht hat. Durch die  Neuregelung  ist der  Schwierigkeitsgrad der Bearbeitung  gestiegen. Durch die verkürzte Bearbeitungsfrist ist das bisher bewährte Territorialprinzip bei der Bearbeitung nicht mehr durchgängig anwendbar. Eine Verfahrensvereinfachung oder eine nennenswerte Aufwandsreduzierung wurde durch die Neuregelung aus Sicht der Stadt nicht erreicht.

Der Beratungsbedarf zu Gehölzen bei Bürgern und Bauherren sowie Architekten und auch bei auf dem Gebiet des Naturschutzes tätigen Organisationen ist seit der Gesetzesänderung aus Sicht der  Stadt außerordentlich hoch, da die neuen Regelungen scheinbar wesentlich komplizierter sind. Anfragen zur Rechtslage werden in unverändert hoher Zahl  gestellt, was aus Sicht der Stadt  zeigt, dass die rechtlichen  Neuregelungen für den Bürger unverständlich sind. Die Beantwortung der laufenden Anfragen von Einwohnern und  Bauherren sowie die diesbezügliche Beratung verursachen  einen  immensen Mehraufwand in der Verwaltung, ebenso die Prüfung  von oft unbegründeten Anzeigen und Bürgerhinweisen bezüglich befürchteter Verstöße.


Zur 2. Frage. Quantitative Aussagen zu Fällungen von Bäumen, die nicht mehr den Schutz der Satzung genießen, sind nicht möglich, da bei Beseitigung nicht geschützter Gehölze keine Anzeigepflicht besteht und eine Erfassung der Fällung von nicht geschützten Bäumen durch die Verwaltung nicht möglich ist. Dies würde die Erstellung eines laufend aktualisierten Baumkatasters für Privatgrundstücke erfordern. Hierzu sind weder die materiellen noch die personellen Voraussetzungen gegeben. Ein aktuelles Beispiel der Auswirkungen der Gesetzgebung ist ein circa 8.000 Quadratmeter großes Grundstück an der Merseburger Straße, bebaut mit einer Holzhütte. Das ehemals durchgrünte Grundstück ist komplett gerodet. Die Verwaltung hatte hierauf keine Einflussmöglichkeit.

Zur 3. Frage. Hierzu will ich Ihnen eine statistische Auswertung der Jahre 2009 und 2015 vortragen; das Übrige gebe ich gern zu Protokoll.

2009 gab es 2.177 Vorgänge; betroffen waren 9.793 Bäume.

2015 waren es 832 Vorgänge; betroffen waren 4.199 Bäume.

In 2009 erteilte Genehmigungen zur Beseitigung: 4.856; beauflagte Ersatzpflanzungen: 8.961.
In 2015 erteilte Genehmigungen zur Beseitigung: 1.404; beauflagte Ersatzpflanzungen: 3.934.

Sie sehen, das hat sich erheblich reduziert, zumindest wenn man es an der tatsächlichen Zahl der Bäume festmacht.
Zur vierten Frage. Die personellen und materielltechnischen Ressourcen zur flächendeckenden Kontrolle sind nicht vorhanden. Prävention ist nicht möglich. Es kann bis auf die vereinzelte Feststellung von Verstößen im konkreten Einzelfall lediglich auf Anzeigen und Bürgerhinweise reagiert werden. Auch hierzu einige statistische Angaben: In 2009 aufgenommene Ermittlungen bzw. eingeleitete Verfahren nach OWiG in Zusammenhang mit vermuteten Verstößen gegen Verbote der Baumschutzsatzung: 35, in 2015: 45. In 2011 hieraus resultierend durchgeführte abgeschlossene Bußgeldverfahren: 25, in 2015:

Zur 5. Frage. Es geht um die theoretisch zu erhebenden Kosten für Verwaltungsaufwand oder anders ausgedrückt: Was wäre, wenn die Gebühren noch erhoben werden könnten? So haben wir die Frage verstanden, so ist es jetzt auch zugearbeitet. - 40.415 Euro: Wegfall der Gebühreneinnahmen durch Gebührenbefreiung. 2005 bis 2009 betrugen die Gebühreneinnahmen rund 85.000 Euro pro Jahr.

Stadtrat Hobusch: Herr Bürgermeister Rosenthal, erlauben Sie mir zwei Nachfragen. Zum einen: Geben Sie mir recht, dass der Grundstücksbegriff nach der Regelung im Landesnaturschutzrecht dem als „Buchgrundstück“ definierten Grundstück entspricht? Wenn das so ist, wo ist das Rechtsproblem? - Frage 2: Geben Sie mir recht, dass der Begriff des Gebäudes legal definiert ist und dass sich aus der Legaldefinition ergibt, dass ein bebautes Grundstück ein Grundstück ist, auf dem sich eine bauliche Anlage befindet, die mit dem Boden fest verbunden ist oder aus eigener Schwere auf dem Boden ruht?

Bürgermeister Rosenthal: Es ist für mich ein Leichtes, Ihnen recht zu geben. Die Frage war ja nur, inwieweit Bürgerinnen und Bürger, Bauherren und Architekten mit diesen Begrifflichkeiten umgehen können. Und da gibt es in der Praxis scheinbar Probleme. So hatte ich es gemeint. Das will ich noch einmal klarstellen.

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