Anfrage: Brandanschläge in Leipzig-Grünau

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 14. September 2022

In der Nacht vom 26. zum 27.08. kam es in Leipzig-Grünau zu zwei Brandstiftungen. Auf die Geflüchtetenunterkunft in der Liliensteinstraße wurden Brandsätze geworfen. Am gleichen Wochenende wurde an einem Kindergarten in der Kändlerstraße, in dem ukrainische Kinder betreut werden, ca. 1km entfernt, ebenfalls ein Brandanschlag verübt. Eine Woche zuvor wurde auf die Turnhalle der 100. Grundschule, in unmittelbarer Nähe zu den anderen beiden Tatorten ebenfalls Feuer gelegt. Die 100. Grundschule hat den höchsten Anteil von Kindern mit Einwanderungshintergrund.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Stadt an:

  1. Wie schätzt die Stadt derzeit die Sicherheitslage für Einrichtungen für Geflüchtete in Leipzig ein?
  2. Wird die Stadt in Abstimmung mit der Landespolizei den Schutz von unter 1. genannten Wohneinrichtungen und Schwerpunktorten wie Kitas, Schulen und sozialen Begegnungsorten, verstärken? Wenn nein, warum nicht?
  3. Welche Lageeinschätzung zu Aktivitäten ausländerfeindlicher politischer Extremisten hat die Stadt Leipzig aktuell?
  4. Teilt die Stadt die Einschätzung, dass in der aktuellen Situation, die viele Menschen als Krise verstehen, Demokratiefeinde versuchen aus der Stimmung Kapital zu schlagen und daraus die Abwertung von Minderheiten zunehmen kann? Wie gedenkt die Stadt damit umzugehen?
  5. Welche Strategien verfolgt die Stadt kurzfristig, um den sozialen Zusammenhalt, gerade jetzt, zu stärken und Hass und Hetze effektiv entgegenzuwirken?

Antwort vom 13. September 2022

1. Wie schätzt die Stadt derzeit die Sicherheitslage für Einrichtungen für Geflüchtete in Leipzig ein?

Die Einschätzung zu Gefährdungslagen öffentlicher Gebäude obliegt der Landespolizei in Federführung des Landeskriminalamtes. Auf der Grundlage dieser Lageeinschätzungen werden Sicherheitskonzepte für Gemeinschaftsunterkünfte erarbeitet. Für jede Gemeinschaftsunterkunft gibt es ein Sicherheitskonzept, das sich an Größe, Lage und weiteren konkreten Gegebenheiten ausrichtet.

Zwischen der Polizeidirektion Leipzig, dem Sozialamt und den Betreibern der Unterkünfte erfolgen anlassbezogen und anlassunabhängig Beratungen zur Beurteilung der Gefährdungslagen dieser Unterkünfte. Die Ergebnisse dieser Absprachen werden von den Betreibern der Gemeinschaftsunterkünfte umgesetzt.

2. Wird die Stadt in Abstimmung mit der Landespolizei den Schutz von unter 1. genannten Wohneinrichtungen und Schwerpunktorten wie Kitas, Schulen und sozialen Begegnungsorten, verstärken? Wenn nein, warum nicht?

Absprachen und Maßnahmen zur Gefährdungsbeurteilung von Unterkünften für Geflüchtete erfolgen entsprechend den Sicherheitskonzepten für diese Gemeinschaftsunterkünfte. Für die Betreiber gehört der Kontakt zum jeweils zuständigen Polizeirevier zur regulären Arbeit. Für das Sozialamt gibt es einen Ansprechpartner bei der Polizeidirektion, mit dem alle standortunabhängigen Fragen besprochen werden.

Das Dezernat Jugend, Schule und Demokratie hat sich eng mit der Polizeidirektion abgestimmt. Träger von Kindertagesstätten, die ukrainische Kinder betreuen, sowie Schulen wurden über die Brandanschläge informiert und um besondere Aufmerksamkeit gebeten. Mit der Polizeidirektion wurde ein Verfahren abgestimmt, das bei Auffälligkeiten, die eine Bedrohung signalisieren könnten, einen kurzfristigen Informationsfluss zwischen Trägern und Polizeidirektion ermöglicht.

3. Welche Lageeinschätzung zu Aktivitäten ausländerfeindlicher politischer Extremisten hat die Stadt Leipzig aktuell?

Differenzierte Informationen zum Anteil der politisch motivierten Kriminalität – rechts liegen der Stadt Leipzig nicht vor.

Die jährliche Statistik der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen e. V. (RAA Sachsen) führt für das vergangene Jahr (2021) 189 rechtsmotivierte, rassistische und antisemitische Gewalttaten in Sachsen auf (Leipzig 66 Gewalttaten; 2019: 62). In 107 der dokumentierten Fälle war Rassismus das Tatmotiv. Der RAA-Bericht weist darauf hin, dass Verschwörungserzählungen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aufkamen, ein Treiber für rechte, rassistische und antisemitische Gewalt waren. Insgesamt sank die Zahl der von der RAA dokumentierten Fälle in den letzten beiden Jahren etwas (2020: 208; 2019: 226).

Die Dokumentationsstelle chronik.LE hat 292 Ereignisse für den Zeitraum von Juli 2020 bis Juni 2021 erfasst, denen ein diskriminierender, rassistischer Hintergrund zugeschrieben wird. Dies stellt einen deutlichen Anstieg zum Vergleichszeitraum (Juli 2019 bis Juni 2020) mit 158 rechtsmotivierten Fällen dar. Hierbei werden Ereignisse aus dem gesamten Stadtgebiet gemeldet.

Im Rahmen der Kommunalen Bürgerumfrage 2020 fand eine Erhebung zu demokratiefeindlichen und diskriminierenden Einstellungen bei Leipziger Bürgerinnen und Bürgern statt. Die Auswertung ergab, dass hohe Zustimmungswerte für muslimfeindliche Aussagen bestehen.

4. Teilt die Stadt die Einschätzung, dass in der aktuellen Situation, die viele Menschen als Krise verstehen, Demokratiefeinde versuchen, aus der Stimmung Kapital zu schlagen, und daraus die Abwertung von Minderheiten zunehmen kann? Wie gedenkt die Stadt damit umzugehen?

In Zeiten erheblicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen versuchen Rechtsextreme und andere antidemokratische Akteure verstärkt, an Themen anzudocken, die viele Menschen bewegen. Ziel ist eine Schwächung der Demokratie.

In Leipzig ist es seit vielen Jahren gute Tradition, legitimen demokratischen Protest klar gegen rechtsextreme Vereinnahmung abzugrenzen. Für die Mitglieder der Stadtverwaltung und ihre Repräsentanten heißt das, Haltung zu zeigen und öffentlich für ein demokratisches Miteinander und gegen Diskriminierung aufzutreten.

Die Stadt Leipzig setzt die Partnerschaft für Demokratie „Leipzig. Ort der Vielfalt“ 2020 – 2024 um. Leitziele hierbei sind: Demokratische Kultur fördern!; Ein offenes und vielfältiges Miteinander gestalten!; Vorurteilen und Gewalt vorbeugen! Für die Umsetzung entsprechender Projekte stehen in Leipzig für das Jahr 2022 von Bund (Programm „Demokratie leben!“), Land (Landespräventionsrat Sachsen) und Kommune insgesamt Fördermittel in Höhe von 266.000 Euro zu Verfügung.

5. Welche Strategien verfolgt die Stadt kurzfristig, um den sozialen Zusammenhalt, gerade jetzt, zu stärken und Hass und Hetze effektiv entgegenzuwirken?

Die Stadt Leipzig und der Oberbürgermeister bringen sich mit dem Deutschen Städtetag zurzeit besonders in die bundesweite Diskussion zum Umgang mit den drastisch steigenden Energiekosten ein. Gegenüber der Landes- und Bundesregierung fordern sie sozial ausgewogene Lösungen, wie zum Beispiel eine Deckelung der Gaspreise, die über das 3. Entlastungspaket hinausgeht.

Ende 2021 wurde das noch im Aufbau befindliche Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt gebildet. Zu dessen Arbeitsschwerpunkten zählen unter anderem die Förderung von Beteiligung und zivilgesellschaftlichem Handeln sowie politische Bildung und Präventionsarbeit gegen Extremismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Das Konzept der Bürgerbeteiligung wird weiterentwickelt. In den Blick nimmt das Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt hierfür insbesondere die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen. Ihnen soll in vielen Angeboten und verschiedenen neuen Formaten der Zugang zur Demokratie erlebbar und erfahrbar gemacht werden. Eine weitere wichtige Zielgruppe ist der große Teil der Bürgerinnen und Bürger, die bisher nicht durch die klassischen Beteiligungsformate, mit politischer Bildung und Demokratieförderung erreicht werden. Das seit Jahren bestehende Förderprogramm „Leipzig. Ort der Vielfalt“ wurde im Referat verankert und soll durch diese Vernetzung eine noch bessere Wirkung entfalten. Darüber werden jährlich Projekte und Initiativen finanziell gefördert, die sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen, so kann auch auf kurzfristige gesellschaftliche Entwicklungen eingegangen werden.

Das Amt für Jugend und Familie arbeitet – nicht nur in der aktuellen Situation – in seinen Kindertageseinrichtungen, Offenen Freizeiteinrichtungen, Inobhutnahme- und Clearingeinrichtung interkulturell, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Das bedeutet, interkulturelles Lernen findet einerseits ganz bewusst im pädagogischen Alltag statt, wenn über kulturelle Unterschiede gesprochen wird oder wenn Kinder unterschiedlicher Herkunft miteinander spielen und lernen. Andererseits werden den Kindern und Jugendlichen mithilfe von Materialien, Geschichten, Liedern, Projekten, Gesprächen und gemeinsamen Aktivitäten Vielfalt und Verschiedenheit implizit als Teil des Alltags vermittelt.

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