Anfrage: Femizide stoppen, kommunale Prävention ausbauen

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 14. November 2022

Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. In sehr vielen Fällen passieren diese Taten aus Beziehungskontexten heraus. An jedem dritten Tag tötet laut Kriminalstatistik in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Nicht selten werden solche Femizide in Medien und Öffentlichkeit als „Eifersuchtsdramen“, „Beziehungstaten“ oder „Familientragödien“ verharmlost. Für Frauen ist es eine reale Gefahr, getötet oder schwer verletzt zu werden, wenn sie sich in einer gewaltvollen Beziehung befinden oder sich aus einer solchen gelöst haben. Der Stadtrat hat im Juni 2022 beschlossen, dass es ein Umsetzungskonzept für das Gedenken an die Opfer von Femiziden geben soll.

Doch wir müssen auch aktiv gegensteuern, darum fragen wir an:

  1. Welche kommunalen Maßnahmen, neben Frauenschutzhäusern, will die Stadt Leipzig mittelfristig umsetzen, um Femiziden in unserer Stadt vorzubeugen und Betroffene effektiver vor häuslicher Gewalt zu schützen, z.B. in den Bereichen Weiterbildung, Konzepte, Kampagnen oder Beiräte?
  2. Gewalt betrifft Frauen in allen Schichten und Lebenslagen, die Istanbul-Konvention betont jedoch auch den besonderen Schutz marginalisierter Personen. Welche Kenntnisse hat die Stadt Leipzig darüber, dass die weibliche Bevölkerung, insbesondere Frauen mit Migrationsgeschichte, Sexarbeiterinnen, Frauen mit Beeinträchtigung und obdachlose Frauen, in erheblichem Maße von Gewalt durch Partner und Ex-Partner betroffen sind und diese zudem häufig auch ein hohes Maß an Diskriminierung und Gewalt außerhalb der Paarbeziehungen und in unterschiedlichen Lebenskontexten erfahren? Welche Schlüsse zieht die Verwaltung für ihr eigenes Handeln aus diesen Kenntnissen?
  3. Der Beschluss VII-A-01566 hat in allen Schutzhäusern ein Betreuungsschlüssel von 1 VzÄ : 6 Plätzen festgelegt. Darüber hinaus sollten die personellen und räumlichen Kapazitäten der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (+1,0 VzÄ Erwachsenenbildung und +0,5 VzÄ Kinder- und Jugendberatung), der Fach- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt – Frauennotruf (+1,0 VzÄ Kinder- und Jugendberatung) und der Beratungsstelle für Täter/-innen häuslicher Gewalt (+0,5 VzÄ Vätergruppen und Krisenfallberatung und +0,5 VzÄ Beratung von Männern mit Migrationshintergrund) erhöht werden. Dazu fragen wir: Sind die Beschlüsse mit Stand 25.11.2022 vollumfänglich umgesetzt und die geschaffenen Stellen besetzt?
  4. Die 40. Sicherheitskonferenz (Präventionstag) am 07. Oktober 2019 in Leipzig stellte den wachsenden Bedarf an Hilfe und Beratung in Fällen häuslicher Gewalt fest. Was folgt aus diesen Erkenntnissen für die Arbeit des kommunalen Präventionsrats? Welche Beratungsergebnisse können seit der 40. Sicherheitskonferenz aus dem KPR vorgelegt werden?

 

Antwort vom 6. Januar 2023

1. Welche kommunalen Maßnahmen, neben Frauenschutzhäusern, will die Stadt Leipzig mittelfristig umsetzen, um Femiziden in unserer Stadt vorzubeugen und Betroffene effektiver vor häuslicher Gewalt zu schützen, z.B. in den Bereichen Weiterbildung, Konzepte, Kampagnen oder Beiräte?

 

Die Stadt Leipzig fördert in vielfältiger Weise Prävention und Intervention gegen häusliche Gewalt und Femizide. Ein wichtiger Anlaufpunkt für gewaltbetroffene Frauen ist die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS). Die KIS beschäftigt sich mit der Prävention vor Femiziden und Gewalt gegen Frauen in der Praxis. Sie bietet Beratung und Unterstützung für alle erwachsenen Menschen in Leipzig an, die in ihrem sozialen Nahraum häusliche Gewalt erleben, die von Stalking betroffen sind, deren Kinder von der Gewalt (mit-)betroffen sind oder die sich als Unterstützerinnen und Unterstützer für gewaltbetroffene Personen einsetzen.

 

Gefördert wird zudem die Beratungsstelle zur täterorientierten Anti-Gewaltarbeit der Triade Palme und Georgius GbR. Die Beratungsstelle richtet sich an Personen, die körperliche oder/und seelische Gewalt auf andere Erwachsene im häuslichen Umfeld und besonders in der Partnerschaft ausüben. Ziel ist die Vermeidung von Gewalt beispielsweise durch den Erwerb von Konfliktlösungsstrategien, die Stärkung positiver Aspekte der Familie oder die Veränderung unbefriedigender Lebenssituationen.

 

Auf Grundlage der Fachförderrichtlinie Chancengleichheit von Frau und Mann der Stadt Leipzig (Beschluss Nr. VII-DS-05481 der Ratsversammlung vom 08.12.2021) wurden im Jahr 2022 sechs Projekte zum Themenbereich „Präventionsarbeit gegen Gewalt an Frauen und Kindern unterstützen“ gefördert. Beispielsweise werden im Rahmen des Projektes „Brötchentüte“ Kontaktdaten von Frauenschutzeinrichtungen und Beratungsstellen auf Brötchentüten gedruckt und an Bäckereien im Stadtgebiet kostenfrei verteilt.

 

Im Zweiten Gleichstellungsaktionsplan (Ratsbeschluss VI-DS-06945 vom 11. Dezember 2019) gehören zum Handlungsfeld „Geschlechtsspezifische Antigewaltarbeit“ Präventionsmaßnahmen, wie das Projekt „Girlz*Space – Mädchenträume: Offene Jugendarbeit für Mädchen und junge Frauen“. Girlz*Space ist die Fach- und Koordinierungsstelle Leipzig für Mädchenarbeit und wird vom Verein Frauen für Frauen e.V., gefördert durch die Stadt Leipzig, betrieben.

 

Weiterhin setzt die Stadtverwaltung den Ratsbeschluss VII-A-06720 „Gedenken an die Opfer von Femiziden“ vom 15. Juni 2022 um. Bis zum Ende des IV. Quartals 2023 soll ein Umsetzungskonzept für das Gedenken an die Opfer von Femiziden vorgelegt werden.

 

Darüber hinaus engagieren sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes für Jugend und Familie, des Kommunalen Präventionsrates und des Referates für Gleichstellung von Frau und Mann im Netzwerk gegen häusliche Gewalt und Stalking. Seit 2004 organisiert die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking diese Vernetzungsarbeit. In diesem Rahmen werden seit 2004 regelmäßig Fachveranstaltungen und Fortbildungen durchgeführt und eine wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit gewährleistet.

 

Zuletzt fand am 11. November 2022 die „Nationale Abschlusstagung zur Femizidprävention“ in Leipzig statt. Die Veranstaltung bildete den Abschluss des EU-Projekts „FEM-UnitED – Gemeinsam Femizide in Europa verhindern“, welches in Deutschland vom Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kofinanziert wurde. Die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking bereitete die Fachtagung gemeinsam mit dem Institut für empirische Soziologie, der Stadt Leipzig und Vereinen vor. Die Tagung sollte Impulse für die wirkungsvolle Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention vor Femiziden in Deutschland geben.

 

Im Rahmen der Tagung wurden die Ergebnisse des Projektes auf nationaler und europäischer Ebene und die praktische Arbeit der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking vorgestellt. Die Stadtverwaltung hat die Organisation und Durchführung der Fachtagung aktiv unterstützt, z.B. durch die Anmietung von Räumen, Bereitstellung von Technik sowie Redebeiträge der Beauftragten für die Gleichstellung von Frau Mann der Stadt Leipzig während der Tagung.

 

2. Gewalt betrifft Frauen in allen Schichten und Lebenslagen, die Istanbul-Konvention betont jedoch auch den besonderen Schutz marginalisierter Personen. Welche Kenntnisse hat die Stadt Leipzig darüber, dass die weibliche Bevölkerung, insbesondere Frauen mit Migrationsgeschichte, Sexarbeiterinnen, Frauen mit Beeinträchtigung und obdachlose Frauen, in erheblichem Maße von Gewalt durch Partner und Ex-Partner betroffen sind und diese zudem häufig auch ein hohes Maß an Diskriminierung und Gewalt außerhalb der Paarbeziehungen und in unterschiedlichen Lebenskontexten erfahren? Welche Schlüsse zieht die Verwaltung für ihr eigenes Handeln aus diesen Kenntnissen?

 

Daten zu häuslicher Gewalt werden in Berichten und Datensammlungen durch die Stadtverwaltung und andere Behörden regelmäßig veröffentlicht. Hierzu gehören:

  • der Sozialreport der Stadt Leipzig,
  • die Broschüre „Frauen und Männer in Leipzig“,
  • das Lagebild Straftaten der „Häuslichen Gewalt“ des Landeskriminalamtes Sachsen,
  • der Lagebeitrag „Nachstellung (Stalking) im Freistaat Sachsen“ des Landeskriminalamtes Sachsen und
  • die Polizeiliche Kriminalstatistik Sachsen.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden Femizide nicht gesondert ausgewiesen. Auch eine Unterscheidung nach marginalisierten Personengruppen (Sexarbeiterinnen, Frauen mit Beeinträchtigung und obdachlose Frauen) sowie nach der Beziehung zum/zur Täter/-in erfolgt in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht. Aussagen zur Migrationsgeschichte lassen sich lediglich im Hinblick auf Tatverdächtige und hier auch nur zur Staatsangehörigkeit treffen. Genauere Angaben als in den Lagebildern des Landeskriminalamtes liegen der Stadtverwaltung nicht vor.

 

Im Jahr 2021 wurden folgende Straftaten im Zusammenhang mit vorsätzlicher Gewalt mit Todesfolge erfasst:

 

Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen – Stadt Leipzig

 

Opfer 2021

insgesamt

männlich

weiblich

vollendet

6

4

2

versucht

7

5

2

gesamt

13

9

4

 

Tatverdächtige

männlich

weiblich

Heranwachsende

2

-

Erwachsene

14

-

 

 

Tatverdächtige

Deutsche

Nichtdeutsche

 

5

11

 

Die Anzahl der Opfer ist rückläufig (2019: 69, 2020: 23, 2021: 13).

 

Aufgrund der Ergebnisse der 40. Sicherheitskonferenz des kommunalen Präventionsrates am 07.10.2019 zum Thema „Beziehungsgewalt – Neue Herausforderungen im Gewaltschutz für Leipzig“ erarbeitete das Sozialamt der Stadt Leipzig in Kooperation mit dem Freistaat Sachsen eine Vorlage für ein Modellprojekt „Einrichtung eines zusätzlichen Schutzhauses mit Clearingstelle“ (derzeit: „Ständige Sofortaufnahme der Frauen*-und Kinderschutzeinrichtungen in der Region Leipzig“), die am 08.07.2020 vom Stadtrat beschlossen wurde. Auf Antrag des Gleichstellungsbeirates der Stadt Leipzig wurden die städtischen Versorgungsstrukturen zusätzlich gestärkt und finanzielle Mittel für weitere Stellen im Gewaltschutz in die Haushaltsplanung aufgenommen. Diesen Beschluss fasste der Stadtrat am 24.10.2020. In der „Ständigen Sofortaufnahme der Frauen*-und Kinderschutzeinrichtungen in der Region Leipzig“ finden marginalisierte Personen Erstaufnahme und Schutz.

 

3. Der Beschluss VII-A-01566 hat in allen Schutzhäusern ein Betreuungsschlüssel von 1 VzÄ : 6 Plätzen festgelegt. Darüber hinaus sollten die personellen und räumlichen Kapazitäten der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (+1,0 VzÄ Erwachsenenbildung und +0,5 VzÄ Kinder und Jugendberatung), der Fach- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt – Frauennotruf (+1,0 VzÄ Kinder- und Jugendberatung) und der Beratungsstelle für Täter/-innen häuslicher Gewalt (+0,5 VzÄ Vätergruppen und Krisenfallberatung und +0,5 VzÄ Beratung von Männern mit Migrationshintergrund) erhöht werden. Sind die Beschlüsse mit Stand 25.11.2022 vollumfänglich umgesetzt und die geschaffenen Stellen besetzt?

 

Die Beschlüsse sind vollumfänglich umgesetzt. Die zusätzlichen Stellen bei freien Trägern sind besetzt.

 

4. Die 40. Sicherheitskonferenz (Präventionstag) am 7. Oktober 2019 in Leipzig stellte den wachsenden Bedarf an Hilfe und Beratung in Fällen häuslicher Gewalt fest. Was folgt aus diesen Erkenntnissen für die Arbeit des kommunalen Präventionsrats? Welche Beratungsergebnisse können seit der 40. Sicherheitskonferenz aus dem KPR vorgelegt werden?

 

Der Kommunale Präventionsrat Leipzig ist eine Netzwerkstelle, die interdisziplinär und themenübergreifend Akteure in den Austausch bringt, als Multiplikator wirkt und – wie anlässlich der 40. Sicherheitskonferenz geschehen – aktuelle Präventionsmaßnahmen oder -bedarfe öffentlichkeitswirksam thematisiert bzw. generell bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Die Erkenntnisse aus dieser Veranstaltung veranlassten die Geschäftsstelle des Kommunalen Präventionsrates Leipzig, das Engagement in den Präventionsgremien mit großem Einsatz fortzuführen und aktuelle Entwicklungen weiter zu begleiten.

 

So unterstützt die Geschäftsstelle des Kommunale Präventionsrat Leipzig beispielsweise bei der Organisation und Durchführung des Koordinierungsgremiums gegen häusliche Gewalt und Stalking sowie dessen Unterarbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit. Im Jahr 2020 veröffentlichte der Kommunale Präventionsrat Leipzig eine in Zusammenarbeit mit der Unterarbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit verfasste Broschüre „Social Distancing und Häusliche Gewalt“. Im Juli des gleichen Jahres war die Geschäftsstelle maßgeblich an der Durchführung der Kundgebung „Gemeinsam gegen Femizide“ im Nikolaikirchhof beteiligt.

 

Eine für 2020 bzw. 2021 geplante Ausstellung zu häuslicher Gewalt einschließlich eines umfangreichen Fortbildungsangebotes musste pandemiebedingt ausfallen. Um das in Leipzig bestehende Unterstützungsnetzwerk bekannter und niedrigschwellig zugänglich zu machen, wurde die Internetpräsenz des Netzwerks überarbeitet und die Öffentlichkeitsarbeit verbessert.

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