Anfrage: Folgen des anstehenden Brexit für die Leipziger Wirtschaftsförderung

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 18. Januar 2017

Die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bedauert den sich abzeichnenden Austritt Großbritanniens aus der EU.

Nach der Mehrheitsentscheidung im Vereinigten Königreich am 23. Juni 2016 für das Ausscheiden aus der Europäischen Union berät eine Vielzahl von Unternehmen mittlerweile über Vorkehrungen und Konsequenzen für ihre weitere Unternehmenspolitik. Dies betrifft auch die Verlagerung von Firmenniederlassungen aus Großbritannien in andere europäische Städte. Darauf haben deutsche Städte (Berlin, Hamburg, München und Frankfurt) bereits mit gezielter Standortwerbung reagiert.

Wir sind deshalb der Auffassung, dass auch die Stadt Leipzig zielgerichtet und verstärkt für die Ansiedlung von in Großbritannien derzeit ansässigen und wechselwilligen Unternehmen werben soll. Denn der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und der damit verbundene Umzug von Unternehmen in andere Länder der EU bietet neben den negativen Folgen für die EU auch eine besondere Chance, den Wirtschaftsstandort Leipzig, insbesondere vor dem Hintergrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums und der letzten Bevölkerungsprognosen, weiter zu stärken. Deshalb sollte die Stadt Leipzig diese Chancen zur Schaffung von notwendigen neuen Arbeitsplätzen und auch für eine weitere Internationalisierung aktiv nutzen.

Da die Potentiale hierfür aus unserer Sicht vorhanden sind und die Stadt Leipzig deutschlandweit Aufholbedarf bei der Ansiedlung ausländischer Unternehmen hat, ist es nun unseres Erachtens sinnvoll und wichtig, wechselwillige Unternehmen aus Großbritannien aktiv anzusprechen und bei einer Ansiedlung in Leipzig zu unterstützen. Die städtische Wirtschaftsförderung sollte aus unserer Sicht gemeinsam mit Wirtschaftsakteuren und dem Freistaat Sachsen notwendige Maßnahmen für eine gezielte Standortwerbung ergreifen und diese zielführend vorantreiben.

Wir fragen daher an:

  1. Welche Bemühungen hat die Stadtverwaltung bereits unternommen, um in Großbritannien ansässige Unternehmen, Branchen und auch Institutionen, die aufgrund der zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile einen Standortwechsel innerhalb der Europäischen Union erwägen, für eine Ansiedlung in Leipzig zu gewinnen?
  2. Welche Strategie wird hinsichtlich der konkreten Identifikation und Ansprache abwanderungswilliger Unternehmen, denen zukünftig das Agieren auf dem EU-Markt von Großbritannien aus deutlich erschwert wird und die Alternativstandorte suchen, verfolgt?
  3. Welche Überlegungen und Kooperationen wurden und werden dazu mit lokalen Wirtschaftsakteuren (z. B. der Industrie- und Handelskammer, etc.) unternommen?
  4. Wurden bereits seitens des Oberbürgermeisters oder des Bürgermeisters für Wirtschaft und Arbeit Gespräche geführt mit der Landesregierung mit dem Ziel, verbindliche Vereinbarungen zu erreichen, wie Ministerien und Behörden des Freistaates Sachsen die Stadt Leipzig bei der Ansiedlung am Wechsel interessierter Unternehmen und Institutionen tatkräftig unterstützen kann?

Antwort der Verwaltung vom 18. Januar 2017

Bürgermeister Albrecht: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Wirtschaftsförderung Leipzig beobachtet und analysiert, für welche Unternehmen und Branchen sich der Brexit am bisherigen Standort Großbritannien negativ auswirken könnte. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass Großbritannien auch in Zukunft ein attraktiver Standort bleibt, insbesondere für die Fahrzeugindustrie, die Automobilwirtschaft und die Finanzwirtschaft. Die Abwertung des Pfund, angekündigte Steuererleichterungen - in den letzten 48 Stunden sind ja viele Vorhaben der Premierministerin öffentlich geworden -, das Abkoppeln der britischen Wirtschaft von einer Vielzahl bürokratischer Regelungen der EU und die voraussichtlich entgegen vieler Ankündigungen begrenzten Auswirkungen, die vor allem auch im europäischen Eigeninteresse liegen, werden nach jetziger Einschätzung - wie gesagt: das ist nur eine Momentaufnahme; möglicherweise muss man das in vier Wochen korrigieren - die Nachteile für Unternehmen größtenteils kompensieren.
Die von der neuen US-Administration angekündigte Sonderbehandlung des Vereinigten Königreichs bezüglich eines schnellen Freihandelsabkommens könnte den Marktzugang britischer Unternehmen in die Vereinigten Staaten wesentlich erleichtern - wiederum in Konkurrenz zu anderen europäischen Wettbewerbern - und hätte im Grunde genommen keine Standortveränderungen zur Konsequenz.
Die Wirtschaftsförderung erwartet daher keine Schließung von Unternehmen und ihre Verlagerung nach Kontinentaleuropa, nach Deutschland und in die Region, sondern mittelfristig eher die Tendenz zu Neu- oder Erweiterungsinvestitionen an bisherigen Alternativstandorten.
Unsere Strategie bleibt also wie bisher: Dort, wo wir eine Chance sehen, werden wir bei ausländischen Unternehmen mit unserer Standortwerbung aktiv werden, natürlich auch bei Unternehmen, die nicht in Großbritannien, sondern beispielsweise in Japan oder Südkorea angesiedelt sind.

Zur Frage 1. Das Amt für Wirtschaftsförderung hat gemäß Stadtratsbeschluss wesentliche Akquiseaktivitäten in die IAL ausgelagert inklusive der für diese Aufgabe vorgesehenen Mittel aus dem Haushalt. Die Wirtschaftsförderung selbst ist daher im Moment nicht in der Lage, grundsätzlich neue Auslandsmärkte, außer denen, die Sie kennen und die im Ausschuss regelmäßig reportiert werden, zu bearbeiten.

Zur Frage 2. Wir werden keine eigene Strategie im klassischen Sinne entwickeln, sondern versuchen, möglicherweise abwanderungswillige Unternehmen aus Großbritannien zu erreichen. Die Wirtschaftsförderung wird bei der Marktbearbeitung durch die Investregion an traditionellen Industriestandorten eng kooperieren. Von den Zielorten bieten sich die bisherigen, schon als Zielorte definierten Standorte an. Das sind im Jahr 2017 im Wesentlichen Manchester, Birmingham und Bristol.

Zur Frage 3. Die Wirtschaftsförderung arbeitet an dieser Stelle eng mit der IAL selbst, allerdings auch mit der Industrie- und Handelskammer zusammen.

Zur Frage 4. Es gab weder in der Vergangenheit noch gibt es in der Gegenwart verbindliche Vereinbarungen mit Ministerien und Behörden des Freistaates, die Stadt Leipzig bei der Ansiedlung zu unterstützen. Erfahrungsgemäß fokussieren sich Image- und Standortkampagnen sowie konkrete Akquisemaßnahmen des Freistaates auf die priorisierten Förderregionen des Freistaates, nämlich Dresden und Ostsachsen. Das kann man jetzt bedauern, das kann man auch kritisieren; aber das ist so. Die IAL prüft, ob gemeinsame Standortwerbe- und Akquisemaßnahmen mit der Wirtschaftsförderung Sachsen möglich sind. Wann wir darüber Einigkeit erzielen, ist aber - bei dem gebotenen Pessimismus an der Stelle - nicht konkret zu benennen.

Stadtrat Elschner (Bündnis 90/Die Grünen): Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. - Andere Städte führen schon entsprechende Kampagnen und besuchen Messen in England. Es gibt mittlerweile Stadtratsbeschlüsse in anderen deutschen Städten, mit denen die Verwaltung aufgefordert wird, Handlungs- und Maßnahmenkonzepte zu entwickeln. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Sie gesagt haben, Herr Jung, wenn Leipzig weiter so wachsen soll, bräuchten wir 60.000 neue Arbeitsplätze, und: Leipzig müsse internationaler werden. Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wäre es in Bezug auf Großbritannien nicht überlegenswert, unsere Strategie noch einmal zu überdenken und die Aktivitäten in diese Richtung vielleicht doch zu verstärken?

Bürgermeister Albrecht: Einen wichtigen Aspekt haben Sie angesprochen, nämlich Messen und Kongresse. Das beackern wir. Wenn das in meiner Antwort etwas zu kurz gekommen sein sollte, will ich das jetzt noch ergänzen. Messen, Kongresse und Ähnliches werden von uns regelmäßig neu in den Schwerpunktsetzungen geprüft. Das geschieht durch die Investregion selbst, zum Teil aber auch mit Unterstützung der Leipziger Messe und in einigen Fällen auch durch das Amt für Wirtschaftsförderung. Das Thema „Messen und Kongresse“ ist sozusagen klassisches Handwerkszeug. Das verfolgen wir sehr intensiv.
Bei den verschiedenen Imagekampagnen der Landesfördergesellschaften - ich sage ausdrücklich: Landesfördergesellschaften - muss man natürlich sehen, welche Mittel dafür zur Verfügung stehen. Soweit ich weiß, hat das Bundesland Berlin für eine Imagekampagne, die speziell auf das Thema „Unternehmen aus dem Finanzbereich“ ausgerichtet war, etwa 250.000 Euro ausgegeben; der Ansiedlungseffekt ist nach eigener Aussage zurzeit gleich null.

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