Anfrage: Gehölze schützen – wird die Ausnahme zur Regel?

Anfrage vom 30. August 2021

Immer wieder werden während der Brutsaison vom 1. März bis 30. September Gehölze von der Stadt Leipzig zur Fällung freigegeben. Was eigentlich eine Ausnahme sein sollte, scheint immer mehr zum Regelfall zu werden. Nach §39 Bundesnaturschutzgesetz dürfen Gehölze nicht in der Brutsaison beseitigt werden. §67 Bundesnaturschutzgesetz schafft dafür zwar eine Befreiung bei überwiegendem öffentlichen Interesse. Dies ist aber als Ausnahmetatbestand konstruiert, sodass zwingende Gründe vorliegen müssen. Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht hat, dass dies nicht zur Umkehrung führen darf.

Die Gehölzfällungen im Sommer haben nicht nur negative Auswirkungen auf die Tierarten wie Brutvögel, denen der Lebensraum genommen wird, sondern verschlimmern auch das Problem der Bodentrockenheit, führen zu einer verstärkten Erosion und verstärken die Überhitzung der Stadt.

Wir fragen daher:

  1. Wie viele Anträge auf Fällungen, die einer Ausnahme nach § 39 BNatSchG bedürfen, sind seit März 2021 bei der Stadt Leipzig eingegangen? Wie viele davon wurden genehmigt und mit welcher Begründung wurde seitens des AfU eine Befreiung erteilt?
  2. Wie wird ein überwiegend öffentliches Interesse in Anbetracht von Arten- und Klimakrise begründet? Wie schätzt die Stadt Leipzig die bisherige Abwägungspraxis ein?
  3. Wie setzt sich die Stadt dafür ein, im Falle von Ausnahmegenehmigungen nach § 39 BNatSchG, flexible und sofortige Lösungen/Abhilfemaßnahmen für betroffene Arten vor Ort zu finden (z.B. Ersatzhabitate für Brutvögel, die von zeitlich versetzten Ausgleichsmaßnahmen zunächst keinen Gebrauch machen können)?
  4. Wie bewertet die Stadt die Genehmigungspraxis für Baugenehmigungen in Hinblick auf die Priorisierung von Erhalt vorhandener Gehölze?
  5. Welche Strategie verfolgt die Stadt um Bauherrn zukünftig stärker in die Pflicht zu nehmen, vorhandene Gehölze stehen zu lassen, da die bisherigen Sanktionsmöglichkeiten offenbar nicht ausreichen?

 

Antwort vom 13. Oktober 2021

  1. Wie viele Anträge auf Fällungen, die einer Ausnahme nach § 39 BNatSchG bedürfen, sind seit März 2021 bei der Stadt Leipzig eingegangen? Wie viele davon wurden genehmigt und mit welcher Begründung wurde seitens des AfU eine Befreiung erteilt?

Seit März 2021 wurden bei der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig (uNB) 562 Anträge auf Durchführung von Fäll- bzw. Schnittmaßnahmen während der Brutsaison eingereicht (Stand 30.09.2022).

163 Anträgen wurde stattgegeben. Die naturschutzrechtlichen Befreiungen waren gemäß § 67 Abs. 1 BNatSchG zu erteilen, weil seitens der Antragsteller entweder ein überwiegendes öffentliches Interesse (Freistellung von Rettungswegen; Herstellung des Lichtraumprofils; Havarien an Wasserleitungen) oder Unzumutbarkeit (drohender Verlust von Fördermitteln; durch den Antragsteller nicht verschuldete überlange Baugenehmigungsverfahrensdauer; nicht von § 39 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 c) BNatSchG erfasste Verkehrssicherungsmaßnahmen) glaubhaft gemacht werden konnte. Die Befreiungserteilung erfolgte bei Vorliegen von Anhaltspunkten auf eine mögliche Betroffenheit geschützter Arten stets unter der Bedingung, dass die Gehölze durch eine fachkundige Person vor und während des Eingriffs auf artenschutzrelevante Merkmale wie Nist- oder Ruhestätten von besonders geschützten Tierarten (z.B. Fledermausarten, Vogelarten, Eremiten, Rosenkäferarten) geprüft werden und dass der Eingriff bei einem entsprechenden Fund sofort zu unterbrechen, die Naturschutzbehörde zu informieren und deren Entscheidung zum weiteren Verfahren abzuwarten ist.

Der überwiegende Teil der eingereichten Anträge war wegen eines gemäß § 39 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 c) BNatSchG plausibel gemachten akuten Verkehrssicherungserfordernisses als bloße Anzeige zu werten. Insoweit fehlte es an einer rechtlichen Grundlage für eine Ablehnung oder Bewilligung.

In vielen Fällen konnte die uNB durch fachliche Beratung von (potentiellen) Antragstellern darauf hinwirken, dass Anträge wegen fehlender Aussicht auf Erfolg erst gar nicht gestellt oder zurückgezogen bzw. laufende Verfahren mit Einverständnis des Antragstellers eingestellt werden. Zudem können sich potentielle Antragsteller über die Erfolgsaussichten einer Antragstellung auf der Homepage der Stadt Leipzig informieren. Die uNB hat eigens für dieses Thema ein „Merkblatt zum Gehölzschnittverbot in der Zeit vom 1. März bis 30. September nach dem Bundesnaturschutzgesetz“ veröffentlicht, um die Bürger*innen der Stadt Leipzig über das Thema aufzuklären und einer Befassung mit Anträgen, welche von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben, entgegenzuwirken.

  1. Wie wird ein überwiegend öffentliches Interesse in Anbetracht von Arten- und Klimakrise begründet? Wie schätzt die Stadt Leipzig die bisherige Abwägungspraxis ein?

Voranstellend wird darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung der Erteilung einer Befreiung von dem unter § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG statuierten Verbot, „Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen“, ausschließlich eine Entscheidung über den Zeitraum eines (ansonsten zulässigen bzw. bereits genehmigten) Eingriffs getroffen wird. Bei einem Vorkommen von gemäß § 44 BNatSchG geschützten Arten oder Lebensstätten sind Eingriffe nur unter den zusätzlichen (deutlich strengeren) Voraussetzungen der §§ 44 ff. BNatSchG möglich.

Bei der Prüfung der Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung ist stets über die im konkreten Einzelfall widerstreitenden (öffentlichen) Interessen zu entscheiden: Hier auf der einen Seite das öffentliche Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben aus § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG und auf der anderen Seite die im jeweiligen Einzelfall widerstreitenden, seitens des Antragstellers geltend gemachten bzw. sich sonst aufdrängenden Gründe.

Betreffend die bisherige Abwägungspraxis ist zu beachten, dass eine detaillierte/ausführliche rechtliche Prüfung jedes einzelnen Antrags sowie Prüfung von Ablehnungsgründen abseits der bisherigen Praxis (z. B. durch Aufstellung neuer Argumentationslinien abseits der bislang durch Rechtsprechung/Literatur beschrittenen Wege samt Verteidigung gegen Rechtsanwälte sowie vor Gericht; z. B. durch eine Argumentation, wonach das öffentliche Interesses an der Einhaltung des Gehölzschnittverbots während der Brutsaison wegen der Arten- und Klimakrise stets bzw. nahezu stets überwiegt, insbesondere in Bezug auf die unter 1. dargestellten Befreiungsgründe) im Rahmen der zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten nicht möglich ist.

  1. Wie setzt sich die Stadt dafür ein, im Falle von Ausnahmegenehmigungen nach § 39 BNatSchG, flexible und sofortige Lösungen/Abhilfemaßnahmen für betroffene Arten vor Ort zu finden (z.B. Ersatzhabitate für Brutvögel, die von zeitlich versetzten Ausgleichsmaßnahmen zunächst keinen Gebrauch machen können)?

Eine Planung von Ersatzlebensräumen erfolgt im Rahmen der Prüfung und Entscheidung über Anträge auf Erteilung einer Befreiung von dem Verbot aus § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG, Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, grundsätzlich nicht. Hierfür fehlt es an einer rechtlichen Grundlage.

  1. Wie bewertet die Stadt die Genehmigungspraxis für Baugenehmigungen in Hinblick auf die Priorisierung von Erhalt vorhandener Gehölze?

In Baugenehmigungsverfahren werden baumschutzrechtliche Aspekte grundsätzlich geprüft. In diesem Zusammenhang werden auch regelmäßig Eingriffe in durch die Baumschutzsatzung geschützte Gehölze versagt. In Einzelfällen können diese Versagungen von Eingriffen in den Gehölzbestand durch eine rechtliche Prüfung der Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgehoben werden, so dass Bäume baurechtlich zulässigen Vorhaben weichen müssen. Wertvolle Baumbestände auf Baugrundstücken werden zudem oftmals nicht im Sinne eines Erhalts in Planungen einbezogen. Eine Berücksichtigung von Bäumen in Baugenehmigungsverfahren im Sinne der Erhaltenswürdigkeit und der Erhaltensfähigkeit ist dann bei fortgeschrittenen Planungen nur noch in unzureichendem Maß oder nicht mehr möglich.

  1. Welche Strategie verfolgt die Stadt um Bauherrn zukünftig stärker in die Pflicht zu nehmen, vorhandene Gehölze stehen zu lassen, da die bisherigen Sanktionsmöglichkeiten offenbar nicht ausreichen?

Unter Berücksichtigung der Ziele des Bebauungsplanes wird der Erhalt erhaltenswerter Bäume angestrebt. Es werden dazu ggf. Planungsvarianten entwickelt und Festsetzungen zum Erhalt von Bäumen (§ 9 Abs. 1 Nr. 25b BauGB) getroffen. Dabei erfolgt in Bebauungsplänen eine Abwägung der öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander (§ 1 Abs. 7 BauGB). Um eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung zu betreiben, die ökologische, soziale und ökonomische Aspekte integriert, kann es erforderlich sein, dass Bäume entfernt werden müssen. In der Regel wird jedoch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Anpflanzen von Bäumen festzusetzen (§ 9 Abs 1 Nr. 25a BauGB). Auch Verpflanzungen von Bäumen können festgelegt werden.

Im Bereich von Baulücken nach § 34 BauGB lässt sich bauplanungsrechtlich nicht in gleicher Weise der Erhalt von Bäumen verankern. Bei Beratungen zur Vorbereitung von Bauanträgen wird die Erhaltung von Bäumen (wenn es ein wertvoller Bestand ist, der aus städtebaulichen Gründen erhalten werden sollte) angeregt.

Seitens des Amtes für Stadtgrün und Gewässer wird der Erhalt von Bäumen priorisiert, auch wenn eine Änderung der Bauplanung damit einhergehen kann.

Da Bauplanungen vielfältigen Vorgaben unterworfen sind, ist der Erhalt von Bäumen aber oft nicht möglich. Vorgaben, die dem Erhalt von Bäumen entgegenstehen sind beispielsweise einzuhaltende Gebäudefluchten oder Vorgaben zur baulichen Einordnung. Dem Baumerhalt stehen aber nicht nur bauliche Vorgaben entgegen, sondern auch die Baumstandorte als solches auf einem zu bebauenden Grundstück. Ungünstige Baumstandorte lassen dann ein integriertes Bauen unter Würdigung und Erhaltung von Bäumen oft nicht im gewünschten Maße zu.

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