Anfrage: Hat die Verwaltung die Erarbeitung der Gründachstrategie eingestellt?

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 19. November 2019

Im Februar 2016 beschloss der Stadtrat den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, eine Gründachstrategie als Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel zu erarbeiten.
Bis heute weigert sich die Verwaltungsspitze, dem Stadtrat den Entwurf einer Leipziger Gründachstrategie zur Entscheidung vorzulegen. Sie ist auch nicht Bestandteil des Arbeitsprogrammes 2023.Im Vorgriff auf die Beschlussfassung dieser Gründachstrategie hat der Stadtrat in den Doppelhaushalt 2019/20 Haushaltsmittel zur Umsetzung von darin enthaltenen Maßnahmen einzustellen (2019: 500.000 € und 2020 1 Mio. €) eingestellt.
Wir erwarten, dass dem Stadtrat umgehend ermöglicht wird diesen wichtigen Grundsatzbeschluss zu fassen. Denn auf der städtischen Webseite heißt es unter der Überschrift “kommunale Strategien zur Klimaanpassung”:  “Zur Unterstützung eines naturnahen Regenwassermanagements arbeitet die Stadt Leipzig darüber hinaus an einer Gründachstrategie, die ebenfalls bei der Planung neuer Wohngebiete und Quartiere Berücksichtigung finden soll.”

Wir fragen den Oberbürgermeister:

  1. Ist es tatsächlich richtig, dass Sie die Einstellung der Erarbeitung einer Leipziger Gründachstrategie veranlasst haben?
  2. Wenn nicht, worin begründet sich das scheinbar sachlich unüberwindbare Problem, denn ein personelles dürfte es nicht sein?
  3. Inwiefern findet das Thema Gründach bei den Quartieren Westseite Hauptbahnhof, Freiladebahnhof Eutritzsch, Krystallpalast Areal, Wilhelm-Leuschner-Platz und Stadtraum Bayerischer Bahnhof Berücksichtigung? Welche (nachgelagerten) Steuerungsmöglichkeiten hat die Stadt zur Durchsetzung von Gründächern bei den oben genannten innerstädtischen Potentialflächen aber insbesondere auch in Geltungsbereichen des §34?
  4. Welche Bedeutung haben Gründächer bei den Gewerbe- und Industrieansiedlungen, insbesondere im flächenversiegelten Nordraum? Wie sieht dort die Bilanz diesbezüglich seit 2016 (Stadtratsbeschluss) aus? Welche vertragliche Regelung wird grundsätzlich hinsichtlich Dachbegrünungen zwischen der Stadt und den jeweiligen Unternehmen vereinbart, wenn städtische Flächen verkauft werden?
  5. Welchen Vorschlag unterbreitet die Verwaltungsspitze dem Stadtrat im Umgang mit den beschlossen Haushaltsmittel?
  6. Wie will die Verwaltungsspitze den Vertrauensschaden wiedergutmachen?

Antwort der Verwaltung in der Ratsversammlung am 19. November 2019

Oberbürgermeister Jung: Danke. Der Kollege Rosenthal beantwortet die Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bürgermeister Rosenthal: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Geehrte Damen und Herren Stadträte!

Zur ersten Frage: Nein, die Erarbeitung einer Gründachstrategie wurde nicht eingestellt. Hinweis dazu: Bereits 2017 wurde durch das Amt für Umweltschutz der Entwurf einer Gründachstrategie erarbeitet und den beteiligten Fachämtern innerhalb der Stadtverwaltung zur Mitzeichnung übergeben. Leider konnte keine Verständigung zu den Inhalten der Gründachstrategie erreicht werden, sodass wir weiter am Entwurf arbeiten.

Zur zweiten Frage: Zahlreiche fachliche Grundlagen, unter anderem die neue Stadt-Klima-Modellierung liegen nunmehr auch erst seit September dieses Jahres vor. Darüber hinaus sind die Ergebnisse des Projektes „KAWI-L - Kommunale Anpassungsstrategien für wassersensible Infrastruktur“ mit zu berücksichtigen. Der komplexe Erarbeitungsprozess der Gründachstrategie konnte - und das ist auch eine personelle Herausforderung - leider dann nicht mit der notwendigen Intensität weiter fortgesetzt werden. Die derzeitigen personellen Kapazitäten im Amt für Umweltschutz werden zur Begleitung und Vorbereitung von Dachbegrünung zum Beispiel im Rahmen von städtebaulichen Wettbewerben in Masterplänen bei der Umsetzung von Städtebauförderprogrammen bei der Aufnahme von Festsetzungen zur Dachbegrünung in B-Plänen und bei Forderungen im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren derzeit eingesetzt.

Zur dritten Frage: Für alle genannten Quartiere sind Bebauungspläne und städtebauliche Verträge in Vorbereitung bzw. bereits beschlossen. Dachbegrünung ist in allen Quartieren Bestandteil der Planung. Die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Kriterien für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens im Innenbereich bieten keine Rechtsgrundlage für die Forderung einer Dachbegrünung. Insoweit bestehen nur geringe Steuerungsmöglichkeiten. Im Rahmen der Beratungen von Vorhabenträgern kann lediglich die Empfehlung für eine Dachbegrünung gegeben werden.

Zur vierten Frage: Zur Gewährleistung gesunder Arbeitsverhältnisse hat die Dachbegrünung neben einem klimaoptimierten städtebaulichen Entwurf und einer intensiven Begrünung der Freiflächen eine Bedeutung für die Minderung der stadtklimatischen Auswirkungen der großflächigen Versiegelung. Der überwiegende Teil der B-Pläne für Gewerbe und Industriegebiete wurde vor 2016 aufgestellt. Festsetzungen zur Dachbegrünung wurden dabei aus ansiedlungspolitischen Gründen eher mit Zurückhaltung getroffen. Gründächer wurden in den seit 2016 rechtskräftig gewordenen B-Plänen in bestimmtem Umfang festgesetzt; zum Beispiel wurde im B-Plan Nr. 236 „Radefelder Allee Südost“, Satzungsbeschluss 2016, die extensive Dachbegrünung auf 60 Prozent der Dachflächen von Nichtproduktionsgebäuden festgesetzt. Eine Bebauung der Flächen hat noch nicht stattgefunden. Im B-Plan Nr. 354 „Wohn- und Gewerbepark Stahmeln“ ist die extensive Dachbegrünung auf 50 Prozent der Dachflächen festgesetzt. Im B-Plan Nr. 208 „Industriegebiet Seehausen II“ ist die extensive Dachbegrünung auf 60 Prozent der Dachflächen vorgesehen. Bei der Veräußerung von Grundstücken werden aktuell keine Auflagen hinsichtlich der Anlage von Gründächern vereinbart, da dies jeweils von der Zulässigkeit des entsprechenden Bauvorhabens im Baugenehmigungsverfahren abhängig ist und im Vorfeld nicht sämtliche möglichen Nutzungsmöglichkeiten ei-nes Grundstücks abgeprüft werden. Es ist jedoch beabsichtigt, zu prüfen, ob die Anlage von Dachbegrünung in das Kriterien-Set im Rahmen von Konzeptvergabeverfahren aufgenommen werden kann.
Zur fünften Frage: Hier noch einmal eine Korrektur zur Anfrage: Entgegen der Darstellung in der Anfrage wurden in den Doppelhaushalt 2019 50.000 Euro und 2020 500.000 Euro zur Umsetzung der Gründachstrategie und zum Auflegen eines kommunalen Förderprogramms eingestellt. Die Haushaltsmittel werden unter anderem für die Erarbeitung der Förderrichtlinie zur Dachbe-grünung verwendet. Die Förderrichtlinie ist Voraussetzung für die Vorbereitung der Abwicklung des Förderprogramms. Nach Ratsbeschluss zum Doppelhaushalt 2019/2020 ist durch das Amt für Umweltschutz intensiv an der Stelleneinrichtung für die Erarbeitung der Fachförderrichtlinie und Umsetzung - sprich, Förderung - externer Dachbegrünung gearbeitet worden. Die Stelle ist im September 2019, also in diesem Jahr, eingerichtet und auch besetzt worden. Das führt dazu, dass derzeit intensiv durch die neue Kollegin an der Fachförderrichtlinie gearbeitet wird. Ich will hier zu Protokoll geben, dass wir spätestens Ende des zweiten Quartals 2020 die Fachförderrichtlinie dem Stadtrat auch zur Beschlussfassung vorlegen wollen, um dann mit Fristsetzung 30.09.2020 beginnend ab 2021 auch städtische Fördermittel für Gründächer bei privaten Bauvorhaben entsprechend ausreichen zu können.
Zur sechsten Frage: Im Rahmen der Vorbereitung von Bauvorhaben, B-Plänen und städtebaulichen Wettbewerben arbeitet die Verwaltung an der Umsetzung sämtlicher Maßnahmen zur Klimawandelanpassung. Die Dachbegrünung stellt dabei einen Baustein dar. Erhalt und Qualifizierung von Grünflächen im Sinne von Klimakomfortinseln, die Begrünung von Stadtplätzen und Innenhöfen mit Großgrün zur sommerlichen Verschattung und die ökologische Regenwasserbewirtschaftung einschließlich der Nutzung für Verdunstungskühlung sind weitere Elemente zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Die Stadt entfaltet in Bezug auf die Umsetzung von Dachbegrünung auf kommunalen Gebäuden mittlerweile Vorbildfunktion. Das korrespondiert ja auch mit dem Ratsbeschluss, der zur Klimathematik geführt wurde und den damit verbundenen Beschluss zur vorbildhaften Dachbegrünung an herausgehobenen Projekten der Stadt im Rahmen des Stadtbaus. Vielleicht so viel dazu.

Oberbürgermeister Jung:
Herzlichen Dank, Herr Rosenthal. Gibt es Nachfragen? - Herr Elschner hat sich gemeldet.

Stadtrat Elschner (Bündnis 90/Die Grünen):
Herr Rosenthal, vielen Dank für die Beantwortung. Was sind denn unüberbrückbare Hindernisse, wenn es darum geht, diese Gründachstrategie zu erarbeiten? Jetzt sind wir im Jahr drei nach der Beschlussfassung, und es ist einfach nicht nachvollziehbar. Wir bekommen auch proaktiv keine Hinweise. Immer wieder wird man von dem einen auf den anderen vertröstet. Braucht es ein Mentoring-Programm? Ich weiß es nicht.

Bürgermeister Rosenthal: Nein, ein Mentoring-Programm braucht es nicht, aber es gibt einfach unterschiedliche Auffassungen der Umweltverwaltung und der Bauverwaltung bezüglich der Frage, was verbindlich regelbar ist und was nicht. Das ist Anwendung von formalem Recht, und da gehen die Sichtweisen eben ein wenig auseinander. Das führt dazu, dass Vorschläge, verbindlich etwas zu regeln, möglicherweise an der Frage des rechtlich Zulässigen nicht abschließend geklärt werden können. Das führt dazu, dass wir bislang im Entwurfsstadium hän-gengeblieben sind.

Stadtrat Elschner (Bündnis 90/Die Grünen): Es gibt doch mittlerweile in größeren und kleineren Städten Deutschlands so viele Gründachstrategien. Die alle haben es hinbekommen. Ist das nicht Vorbild und Ansporn genug für die Stadt Leipzig, so etwas auch hinbekommen zu wollen? Die Frage ist wirklich ernsthaft gemeint - weil Sie sagen, es sei eine neue Stelle eingerichtet worden -, das dann auch zu bewältigen. Am Ende Ihrer Beantwortung haben Sie ausgedrückt, dass es die neue Stelle praktisch schaffen wird, auch mit den Förderrichtlinien. Dazu braucht es ja vorher die Einigung. Können wir denn davon ausgehen, dass jetzt die Einigung kommt?
Bürgermeister Rosenthal: Noch einmal: Das eine ist das, wo Sie einen berechtigten Anspruch haben. Das sollte man gemeinsam hinbekom-men, ja. Das zweite ist ja die Ausreichung von Fördermitteln. Diesbezüglich gehe ich davon aus, dass wird das hinbekommen und spätestens 2021 städtisches Geld auch für private Bauherrn zur Verfügung stellen können.

Stadtrat Elschner (Bündnis 90/Die Grünen): Das heißt, die Mittel aus 2020 werden übertragen?

Bürgermeister Rosenthal: Das ist etwas, was wir intern noch beraten müssen, aber es ist die Zielstellung meinerseits, weil wir dafür auch eine gute Begründung haben, glaube ich.

Oberbürgermeister Jung: Herr Morlok, bitte.

Stadtrat Morlok (Freibeuter): Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass Menschen unterschiedliche Rechtsauffassungen bei denselben Sachverhalten haben. Manchmal haben auch Ämter oder Dezernate unterschiedliche Rechtsauffassungen, so, wie in dem vorliegenden Fall. Das ist soweit erst einmal nicht so problematisch. Die Frage ist: Kennt denn die Verwaltung oder die Verwal-tungsspitze Möglichkeiten zur Lösung von Sachverhalten, bei denen Dezernate unterschiedliche Rechtsauffassungen haben? Wie geht die Verwaltung mit einem solchen Problem um, wenn so etwas aufgetreten ist, und wie wird es dann einer Lösung zugeführt?
Bürgermeister Rosenthal: Wir sind in der Lösungsfindung. Die Verwaltungsspitze steht zumindest in Form des Umweltbeigeordneten vor Ihnen. Wir sind in der Lösungsfindung, und wir werden Ihnen auch eine Gründachstrategie vorlegen. Davon bin ich überzeugt.
Oberbürgermeister Jung: Es gibt eine einmütige Verwaltungshaltung, darauf können Sie sich verlassen. Ich habe eine. Ich kenne das Thema ja noch nicht. Ich höre es gerade zum ersten Mal. - Frau Krefft, bitte hören Sie genau zu. Den rechtlichen Konflikt höre ich gerade zum ersten Mal. Den gibt es noch nicht in der Lösung.

Zurück