Anfrage: „Ist Arbeit nur eine unangenehme Unterbrechung unserer Freizeit, Herr Finanzbürgermeister?“ (Nachfrage zur Anfrage VIII-F-01285)
Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 27. August 2025
In der Ratsversammlung am 25. Juni 2025 wurde unsere Anfrage VIII-F-01285 nur sehr ausweichend beantwortet. Anlass waren die Äußerungen des Ersten Bürgermeisters und Kämmerers der Stadt Leipzig im Stadtmagazin Kreuzer (Ausgabe 05/25), als er in seiner Rolle für die Stadtverwaltung erklärte: „Aber viele Berufseinsteiger wollen mir heute erklären, sie schaffen keine 40 Stunden Woche mehr. Die würde ich eher zum Betriebsarzt schicken. Wir sind keine Leistungsgesellschaft mehr, verzocken aus meiner Sicht den Volkswirtschaftlichen Reichtum dieses Landes. […]“ Des Weiteren erklärt der CDU-Finanzbürgermeister, er würde beim Wort Work-Life Balance „Pickel im Gesicht“ bekommen. In der mündlichen Ausführung auf unsere Nachfragen in der Ratsversammlung bezog er sich mit Äußerungen wie "dass wir in unserem Land zu wenig arbeiten" und "dass wir hart am Rand sind, unseren gesellschaftlichen Wohlstand durch zu wenig Arbeit zu verspielen" auf ein "Gutachten der Wirtschaftsweisen". Die aktuellen Gutachten der Wirtschaftsweisen bestätigen zwar, dass die deutsche Wirtschaft schwächelt, das Wachstum gering ist und die Arbeitslosigkeit steigt. Sie machen dafür aber vor allem strukturelle Probleme wie Bürokratie, schleppende Digitalisierung, hohe Energiepreise und eine schwache Exportnachfrage verantwortlich.
Wir stellen deshalb folgende Nachfragen:
- Wie hat sich das Arbeitszeitvolumen in Leipzig insgesamt sowie innerhalb der Stadtverwaltung in den Jahren seit 2010 verändert und welche Veränderungen gab es im BIP pro Kopf in Leipzig im gleichen Zeitraum? Wie spiegelt sich dies in der wirtschaftlichen Situation Leipzigs wider?
- Wie hat sich die Teilzeitquote in der Stadtverwaltung verändert, besonders auch bei den vom Ersten Bürgermeister erwähnten Berufseinsteiger*innen? Welche Faktoren beeinflussen diese Entwicklung?
- Welche Fortschritte wurden bei der Vollzeitquote bei Frauen in der Stadtverwaltung erzielt und gibt es Initiativen, die speziell darauf abzielen, diese Quote zu erhöhen?
- Welche konkreten Maßnahmen wurden ergriffen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung zu verbessern, und welche Effekte konnte die Verwaltung als Arbeitgeberin damit erzielen?
- Wie wollen Sie die Interessen und Bedürfnisse der Beschäftigten (z.B. Work-Life-Balance, Gesundheitsschutz) mit den Sparvorgaben und dem Ziel eines genehmigungsfähigen Haushalts in Einklang bringen?
- Wie viele Mehrarbeitsstunden haben die Beschäftigten der Stadtverwaltung 2023, 2024 und bisher in 2025 insgesamt geleistet?
- Wie beurteilt die Verwaltung den Zusammenhang zwischen Arbeitsumfang und Krankheitsquote der Beschäftigten, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Studienlage? Bitte auf die Krankheitsquote nach Bereichen eingehen.
- Gibt es konkrete Erkenntnisse darüber, dass eine erhöhte Teilzeitbeschäftigung mit einem Rückgang des Wohlstands einhergeht und wie rechtfertigen Sie die Forderung nach längeren Arbeitszeiten als Lösung für die kommunale Haushaltskrise, obwohl die Hauptursachen für das Defizit struktureller Natur sind (z.B. Sozialausgaben, Einnahmenrückgang, externe Vorgaben)?
- Können Sie konkret belegen, dass die Wirtschaftsweisen eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche oder längere Arbeitszeiten als zentrale Lösung für die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands fordern?
- Wie stehen Sie zu Investitionen in Digitalisierung, Bildung und Innovation, die laut den Wirtschaftsweisen und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) als entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gelten und welche konkreten Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität und Effizienz – jenseits von Arbeitszeitverlängerungen und Personalabbau – planen Sie, um die Handlungsfähigkeit der Stadt zu erhalten?
Antwort der Verwaltung vom 26. August 2025
Das Arbeitszeitvolumen der Stadtverwaltung Leipzig hat sich in den Jahren seit 2010 wie folgt entwickelt:
|
Jahr* |
Anzahl der Beschäftigten (in Köpfen) |
Anzahl der Beschäftigten (in VZÄ) |
Arbeitszeitvolumen in Stunden pro Woche |
|
2010 |
6.459 |
5.579,00 |
223.160 |
|
2011 |
6.643 |
5.701,62 |
228.065 |
|
2012 |
6.946 |
5.646,32 |
225.853 |
|
2013 |
7.056 |
5.794,42 |
231.777 |
|
2014 |
7.170 |
5.917,00 |
236.680 |
|
2015 |
7.121 |
6.196,65 |
247.866 |
|
2016 |
7.317 |
6.299,96 |
251.998 |
|
2017 |
7.543 |
6.785,51 |
271.421 |
|
2018 |
7.790 |
7.050,00 |
282.000 |
|
2019 |
8.178 |
7.457,70 |
298.308 |
|
2020 |
8.443 |
7.653,05 |
306.122 |
|
2021 |
8.535 |
7.722,52 |
308.901 |
|
2022 |
8.761 |
7.957,59 |
314.649 |
|
2023 |
9.009 |
8.230,15 |
321.621 |
|
2024 |
9.250 |
8.460,63 |
330.619 |
*Stichtag der Betrachtung ist jeweils der 31.12. des angegebenen Jahres; 2022 und 2023 hat sich die Arbeitszeit der Tarifbeschäftigten auf 39,5 bzw. 39 Wochenstunden reduziert
Basis für die Berechnung des Arbeitszeitvolumens bildet die arbeits- bzw. dienstvertraglich vereinbarte Arbeitszeit der Beschäftigten mit der Stadtverwaltung Leipzig.
Antwort zu Frage 2:
Es wird zunächst auf die Antwort der Frage 4 der Anfrage VIII-F-01285 („Mit wie vielen Stimmen spricht eigentlich die Verwaltung? Der Finanzbürgermeister im Kreuzer-Interview auf Abwegen“) verwiesen. Dort wurde bereits dargestellt, wie viele Beschäftigte aktuell in Teilzeit bei der Stadtverwaltung tätig sind. Darüber hinaus wird auf die Personalberichte der vergangenen Jahre (2024: VIII-Ifo-01446) verwiesen, in denen jeweils ein Einblick zum Thema Teilzeitbeschäftigung gegeben wird.
Bei Betrachtung der Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen (hierzu werden gezählt, welche am Stichtag die Erfahrungsstufe 1 entsprechend der Stufenzuordnung des TVöD haben) zeigt sich eine steigende Tendenz in der Nutzung von Teilzeit. Waren am 31.12.2020 noch 32,3 % der Beschäftigten in Erfahrungsstufe 1 in Teilzeit tätig, waren es am 31.12.2024 bereits 41,5 %.
Antwort zu Frage 3:
Der Anteil der weiblichen Beschäftigten, welche in Vollzeit tätig sind, hat sich im Vergleich der Stichtage 31.12.2020 und 31.12.2024 nicht wesentlich verändert. Am 31.12.2020 waren 41,7 % der weiblichen Beschäftigten in Vollzeit tätig, am 31.12.2024 waren es 40,6 %.
Antwort zu Frage 4:
Seitens der Stadt Leipzig gibt es eine Reihe an Maßnahmen, welche die Gleichstellung von Frauen im Berufsleben sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zum Ziel haben.
Grundlage hierfür bietet der Gleichstellungsplan der Stadtverwaltung Leipzig für den Zeitraum von 2025 bis 2028, welcher auf den Vorgaben des Sächsischen Gleichstellungsgesetzes basiert. Im Vorzeitraum galt entsprechend des vorherigen Sächsischen Frauenförderungsgesetzes der städtische Frauenförderplan.
Inhaltlicher Schwerpunkt des Gleichstellungsplans ist die Formulierung mehrerer zentraler Ziele für den Zeitraum bis 2028 und die Festlegung konkreter Maßnahmen zur Umsetzung. Die wichtigsten Ziele dabei sind:
- Die Stärkung einer familienfreundlichen und gender- sowie diversitätssensiblen Unternehmenskultur: Dies wird als Hauptziel des Plans betrachtet, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das Vielfalt und Chancengleichheit fördert und gendergerechte Rahmenbedingungen setzt.
- Beseitigung von Unterrepräsentanz: Hierbei geht es darum, mehr Frauen für Führungspositionen in den Führungsebenen zu gewinnen, in denen sie unterrepräsentiert sind.
- Bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben: Dieses Ziel fokussiert darauf, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu ermöglichen, ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen besser in Einklang zu bringen.
Zu den wichtigsten Maßnahmen, die zur Erreichung dieser Ziele ergriffen werden sollen, gehören unter anderem:
- die Erweiterung von Angeboten zur Führungskräfteentwicklung insbesondere für Frauen in unterrepräsentierten Bereichen
- die kontinuierliche Entwicklung und Anpassung von Fortbildungsangeboten, um Diversitätsthemen dort stärker zu verankern,
- die Verbesserung des Zugangs zu Informationen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die keinen regelmäßigen Zugang zum Intranet haben, insbesondere während Eltern- und Pflegezeiten,
- die Förderung eines partnerschaftlichen Umgangs am Arbeitsplatz und
- die stärkere Berücksichtigung der Belange von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Pflegeverantwortung sowie von Männern mit familiären Sorgeaufgaben.
Der Stand der Umsetzung der Maßnahmen und ihre Wirksamkeit werden regelmäßig ausgewertet und überprüft, um die Erreichung der Ziele des Gleichstellungsplans sicherzustellen. Zu wesentlichen Schritten und Ergebnissen wird informiert. Nach zwei Jahren erfolgt die gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung des Gleichstellungplans.
Antwort zu Frage 5:
Die Konsolidierung des städtischen Haushaltes und die Bedürfnisse der städtischen Bediensteten – zu letzteren gehören neben den in der Frage benannten Themen z. B. auch Aspekte von Arbeitsorganisation, bereichsübergreifender Zusammenarbeit, Führungskultur, Arbeitsplatzausstattung, konkrete Aufgaben – sind keine Gegensätze, wie die Frage intoniert. Vielmehr ist die Haushaltskonsolidierung nicht ohne die hochwertigen Leistungen dauerhaft motivierter und gesunder städtischer Bediensteter möglich. Die gilt ungeachtet der Tatsache, dass eine Konsolidierung ohne die schnelle und deutliche Beseitigung der strukturellen Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte kaum gelingen wird.
Antwort zu Frage 6:
Eine Auswertung aller geleisteten Mehrarbeitsstunden ist nicht möglich, da in der Stadtverwaltung bisher keine flächendeckende elektronische Erfassung der Arbeitszeiten und Mehrarbeitsstunden erfolgt.
Antwort zu Frage 7:
Die Stadtverwaltung unterstützt und fördert durch ein ganzheitlich aufgestelltes Betriebliches Gesundheitsmanagement auf verschiedenen Ebenen die gesundheitliche Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Basis dafür ist die nach § 5 Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen. Die Gefährdungsbeurteilung ist das wichtigste betriebliche Instrument im Arbeitsschutz und ist eine systematische Vorgehensweise, bei der alle Arbeitsbereiche und Tätigkeiten analysiert werden, um Gefährdungen zu identifizieren, die zu Unfällen oder gesundheitlichen Schäden führen können. Im Ergebnis werden ganz konkrete Maßnahmen festgehalten, die die Gefährdungen minimieren können und arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten vermeiden.
Dabei umfasst die Gefährdungsbeurteilung nicht nur physische, mechanische, chemische oder biologische Gefahren (z. B. Maschinen, Lärm, Gefahrstoffe), sondern auch psychische Belastungen, um eine ganzheitliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen. Es werden dabei Arbeitsinhalt und Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen und Arbeitsumgebung in die Gefährdungsanalyse einbezogen und arbeitsbereichsbezogene Maßnahmen festgelegt, damit die Arbeit nicht die Gesundheit der Mitarbeitenden gefährdet.
Bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung werden die Führungskräfte durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte und den Betriebspsychologen fachlich begleitet und unterstützt.
Zu aktuellen Krankheitsdaten wird auf den Personalbericht 2024 verwiesen.
Darüber hinaus weist die Stadtverwaltung darauf hin, dass Erkrankungen sowohl mit Blick auf ihre Ursachen als auch ihre Ausprägung stets individuell ist und Korrelationen keine Kausalitäten beschreiben und eine hohe Gefahr von Fehlschlüssen besteht. (Bereichsbezogene) Verallgemeinerungen ließen dann z. B. die fehlschließende Frage aufkommen, warum im Jahr 2024 (vgl. Personalbericht 2024; S. 10, 16) der Bereich der Stadtverwaltung mit der höchsten Teilzeitquote (75,9 %, Dez. VII) gleichzeitig auch die höchste Krankenquote (7,9 % Erkrankung mit Lohnfortzahlung, 3,7 % Langzeiterkrankung ohne Lohnfortzahlung) aufweist.
Antwort zu Frage 8:
Die Stadtverwaltung weist darauf hin, dass es nicht Bestandteil der mit dem Fragerecht verbundenen Kontrollfunktion der Mitglieder Ratsversammlung ist, frei verfügbare Informationen durch die Stadtverwaltung zusammenzutragen und anschaulich aufbereiten zu lassen.
Darüber hinaus sind die Ursachen der kommunalen Unterfinanzierung bereits an anderer Stelle mehrfach benannt und diskutiert, insbesondere in den Gremien der Ratsversammlung.
Antwort zu Frage 9:
Im Bereich der sächsischen Beamtinnen und Beamten ist eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche nicht notwendig, da dies der regelmäßigen wöchentlichen Durchschnittsarbeitszeit entspricht (§ 1 Abs. 1 SächsAZVO).
Letztlich entscheidet aber nicht die Stadtverwaltung über eine mögliche Veränderung der Arbeitszeit, da dies dem Gesetzgeber bzw. den Tarifvertragsparteien obliegt. Mit dem jüngsten Tarifergebnis wurde die grundsätzliche Möglichkeit geschaffen, die Arbeitszeit freiwillig auf bis zu 42h/Woche (durchschnittliche Wochenarbeitszeit) zu erhöhen.
Darüber hinaus weist die Stadtverwaltung darauf hin, dass es nicht Bestandteil der mit dem Fragerecht verbundenen Kontrollfunktion der Mitglieder Ratsversammlung ist, frei verfügbare Informationen durch die Stadtverwaltung zusammentragen und anschaulich aufbereiten zu lassen.
Antwort zu Frage 10:
Im Rahmen der Digitalisierungsoffensive 2025/26 haben alle Beigeordneten der Stadtverwaltung ihre priorisierten Digitalisierungsvorhaben erarbeitet und sich auf gemeinsame Fokusthemen verständigt.
Die Auswahl und Priorisierung der Themen erfolgte nach klar definierten Kriterien, zu denen unter anderem die erwarteten Effizienzgewinne, die Anzahl der betroffenen Nutzerinnen und Nutzer sowie die Förderung der Nutzung von Standards, etwa im Sinne der EfA-Initiative („Einer für Alle“), zählen.
Für die Umsetzung dieser Vorhaben steht laut Haushaltsplan ein zentrales Budget in Höhe von ca. 4,5 Mio. € zur Verfügung, was eine Verdopplung gegenüber den Vorjahren darstellt. Zudem zielt die laufende Aufgaben- und Strukturkonsolidierung insbesondere auf Effizienzsteigerung sowie die Entlastung der Mitarbeitenden durch Digitalisierung, Struktur- und Prozessoptimierung ab. Ergänzend dazu wird im Doppelhaushalt 2025/26 deutlich stärker in eine angemessene und zeitgemäße Personalentwicklung und das Betriebliche Gesundheitsmanagement investiert, um die Verwaltung auch im Hinblick auf die zukünftigen Anforderungen strategisch und personell nachhaltig aufzustellen.