Anfrage: Landschaftsplan und Biotopverbund
Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 13. April 2022
Im Landschaftsplan der Stadt Leipzig sind eine Reihe von Flächen eingezeichnet worden, um dort Waldmehrung zu betreiben bzw. ausweislich der Entwicklungsziele den Biotopverbund bzw. Grünzug zu stärken. Feststellbar ist, dass zwar die Bautätigkeiten in der Stadt vorankommen, aber viele Bürger*innen beklagen, dass immer mehr Grünflächen verschwinden, ohne dass dafür adäquater Ersatz geschaffen wird. Der NaBu zählt einen Verlust von mehr als 300 Grünflächen in den letzten Jahren in Leipzig.
Wir fragen an:
- Wie viele Grün- und Brachflächen sind in den letzten 5 Jahren aufgrund von Bautätigkeiten der Stadt oder privater Bauherren in Leipzig verschwunden?
- Wie beurteilt die Stadt die Entwicklung der Grünflächen und grünen Infrastruktur in der Stadt hinsichtlich von Quantität und Qualität? Teilt die Stadt die Einschätzung des NaBu, dass wir einen sehr starken Verlust von Grünflächen in den letzten Jahren haben? Falls ja, welche Maßnahmen will die Stadt ergreifen, um Ausgleich zu schaffen? Falls nein, warum nicht?
- Welche Maßnahmen zur Stärkung des Biotopverbundes und des Grünzugs aus dem Flächennutzungsplan hat die Stadt seit Bestehen des Landschaftsplanes umgesetzt oder begonnen?
- Welche Flächen zur Waldmehrung aus dem Flächennutzungsplan wurden inzwischen beplant?
- Teilt die Stadt die Einschätzung, dass offenbar in weiten Teilen der Gesellschaft das Wissen über die Bedeutung von Biotopen und Ökosystemen als Grundlage des Lebens unterentwickelt ist und wie will die Stadt das Bewusstsein für die Bedeutung stärken, wenn sie zum Teil selbst mit schlechtem Beispiel vorangeht?
Antwort vom 13. April 2022
- Wie viele Grün- und Brachflächen sind in den letzten 5 Jahren aufgrund von Bautätigkeiten der Stadt oder privater Bauherren in Leipzig verschwunden?
Öffentliche Grünflächen:
Bezüglich der Grünflächen können verlässliche Aussagen von Seiten des Amtes für Stadtgrün und Gewässer nur bezüglich der öffentlichen Grünflächen getroffen werden, die dem Amt als Liegenschaft zugeordnet sind bzw. in diesem Fall waren.
In den Jahren 2017 bis 2022 sind ca. 55.000 m2 an zuvor als öffentliches Grün ausgewiesene Flächen durch Bebauung verloren gegangen.
- Ca. 21.000 m2 für den Bau von Kitas und Schulen inkl. deren Freiflächen,
- 15.000 m2 hat die Branddirektion benötigt und bei
- ca. 8.000 m2 handelte es sich um Flächen in Privatbesitz, die zuvor als öffentliche Grünfläche nutzbar waren und nun von Seiten der Eigentümer bebaut worden sind.
- Bei den verbleibenden 11.000 m2 handelt es sich um kleinere Flächen, die
z. B. als Tauschflächen für die LWB oder andere Wohnbauprojekte zur Verfügung gestellt wurden.
Dabei waren speziell in den denkmalgeschützten Anlagen keine nennenswerten Verluste zu verzeichnen.
Im Gegenzug sind an anderer Stelle aber durchaus auch Flächenzugänge zum öffentlichen Grün im Kataster des Amtes für Stadtgrün und Gewässer in einer Größenordnung von ca. 120.000 m2 zu verzeichnen, wie z. B. durch die Entwicklung am Bürgerbahnhof Plagwitz, also zumeist auf zuvor schon vegetationsgeprägten Brachflächen.
Brachflächen:
Die nachfolgenden Angaben aus dem Brachflächenkataster, das im Amt für Stadtgrün und Gewässer geführt wird, beziehen sich auf Nachnutzungen von ehemals ungenutzten Flächen (Brachflächen), welche im Zuge von Baumaßnahmen entwickelt bzw. einer neuen, d. h. veränderten Nutzung zugeführt wurden.
D. h. Flächen, auf denen es sich um eine Wiederaufnahme einer vorherigen Nutzung handelt, sind im Sinne der hier formulierten Abfragelogik (Nachnutzung im Zuge von Bautätigkeiten) nicht mit enthalten.
Der Sachverhalt einer neuen Nutzung in diesem Sinne betrifft für den Zeitraum von 2017 - 2022 (mit Stand vom 07.04.2022) 1.930 Flurstücke mit einer Gesamtfläche von ca. 302 ha im gesamten Stadtgebiet. Die Verteilung im Stadtgebiet auf Ortsteilebene ist in der Anlage 1 dargestellt, für die Stadtbezirke lässt sich folgendes feststellen:
- SB Mitte: 27,2 ha
- SB Nordost: 44,7 ha
- SB Ost: 40,8 ha
- SB Südost: 24,4 ha
- SB Süd: 8,2 ha
- SB Südwest: 36,0 ha
- SB West: 12,3 ha
- SB Alt-West: 32,6 ha
- SB Nordwest: 32,2 ha
- SB Nord: 43,6 ha
(Hinweis: Es handelt sich hierbei um den aktuellen Bearbeitungsstand zum jetzigen Zeitpunkt, d. h. die Daten insbesondere für die Jahre 2021 und natürlich 2022 werden sich noch erheblich verändern im Zuge der weiteren kontinuierlichen Laufendhaltung des Katasters.)
Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass hier nicht nur bauliche Nachnutzungen enthalten sind, sondern sich die Nachnutzungen in die nachfolgenden Kategorien (Umweltindikatoren) unterteilen:
- Freizeit/Grün/Gemeinbedarf
- Gewerbe
- Parken/Stellplätze
- Verwaltung/Handel
- Wohn-/Geschäftshaus
- Wohnen
Die Kategorie Freizeit/Grün/Gemeinbedarf wird hierbei nochmals unterteilt in nachfolgende Unterkategorien um eine bessere Aussagekraft der Daten zu erhalten:
- Bildung, Gesundheit, Soziales
- Freizeit
- Gärten, urban gardening
- Grün
- Infrastruktur
Festzuhalten ist, dass von 302 ha dabei ca. 33 ha in eine „grüne“ Entwicklung (insb. Kompensationsflächen, zum geringen Teil öffentliche Grünflächen) gegangen sind und nur knapp über 1 ha zu Gärten/Urban Gardening-Flächen entwickelt wurden.
Eine detaillierte Übersicht liegt hierzu im Kataster des Amtes für Stadtgrün und Gewässer vor.
- Wie beurteilt die Stadt die Entwicklung der Grünflächen und grünen Infrastruktur in der Stadt hinsichtlich von Quantität und Qualität? Teilt die Stadt die Einschätzung des NaBu, dass wir einen sehr starken Verlust von Grünflächen in den letzten Jahren haben? Falls ja, welche Maßnahmen will die Stadt ergreifen, um Ausgleich zu schaffen? Falls nein, warum nicht?
Die Stadt Leipzig hat sich nicht zuletzt mit dem Integrierten Stadtentwicklungskonzept INSEK 2030 dem Ziel der „doppelten Innenentwicklung“ verpflichtet und damit grundsätzlich auch auf den Vorrang der Innenentwicklung und Nachverdichtung vor einer baulichen Außenentwicklung. Damit ist die bauliche Inanspruchnahme, insbesondere von Brachflächen in der Stadt immanent mit dieser Zielsetzung verankert. Konkret sind die in der Antwort zu Frage 1 dargestellten Größenordnungen vor allem durch die bauliche Nachnutzung ehemals brach gefallener Flächen zu verzeichnen. Entsprechende Instrumente, die eine „doppelte Innenentwicklung“, sprich eine bessere Balance zwischen Verdichtung und Freiraum befördern können, wie eine Freiflächengestaltungssatzung, erste B-Pläne zur Sicherung eines angemessenen Grünanteils oder auch Fördermaßnahmen für Dach- und Fassadenbegrünung, befinden sich in der Umsetzung.
Weiterhin liefert der Masterplan Grün zukünftig raumbezogene Aussagen, wo besondere Qualitäten aber auch Problemsituationen und Entwicklungspotenziale in Bezug auf Freiraumversorgung als Indikator auch für die Themen Gesundheit und Umweltgerechtigkeit sowie bezüglich Klimaanpassung in Leipzig zu verzeichnen sind. Im Ergebnis werden explizit mittelfristige Projekteentwicklungen angestrebt, die unter diesen Leitthemen stehen und damit nicht nur zur Sicherung und Qualifizierung bestehender Freiräume beitragen, sondern auch neue Freiraumprojekte initiieren werden, die auch im Zusammenspiel mit vorhandenen Freiräumen auch deren Verbundwirkung verstärken werden. Ebenso werden mit Hilfe der umfänglichen Analysen aus dem Masterplan Grün auch Schwerpunkträume identifiziert, in denen eine „doppelte Innenentwicklung“ im Rahmen der Nachverdichtung besonders dringlich umgesetzt werden muss.
Die Analyse und Auswertung stadtweit vergleichbarer Daten im Rahmen der Erarbeitung des Masterplan Grün lassen ebenso erkennen, dass es gilt die Datenlage bezüglich der Qualität für die Sicherung und Entwicklung der biologischen Vielfalt weiter zu verbessern, weil mit den vorhandenen Daten nur in Bezug auf schutzwürdige Gebiete im Sinne des Naturschutzgesetzes Aussagen getroffen werden können, aber kaum einzelflächenbezogene.
Daher wird, was die Biotopqualität angeht, aktuell eine entsprechende Kartierung insbesondere von Brachflächen als Grundlage für eine entsprechende Biotopverbund-planung zur Umsetzung des Beschlusses (VII-P-00832-DS-02) vorbereitet.
Aktiv erprobt das Amt für Stadtgrün und Gewässer bereits seit 2019 in einigen bestehenden Parkanlagen in Zusammenarbeit mit der Stadtreinigung Leipzig, dem Amt für Umweltschutz und der Hochschule Anhalt sowie im Austausch mit den Naturschutzverbänden eine qualitative Aufwertung/Verbesserung der zum Teil sehr verarmten Grünlandbestände. Nach jetzigem Kenntnisstand konnte in allen untersuchten Parks eine Erhöhung der floristischen Artenvielfalt nachgewiesen werden, was zu einer qualitativen Verbesserung auch an dieser Stelle führt.
- Welche Maßnahmen zur Stärkung des Biotopverbundes und des Grünzugs aus dem Flächennutzungsplan hat die Stadt seit Bestehen des Landschaftsplanes umgesetzt oder begonnen?
Der Landschaftsplan ist wichtige Entscheidungs- und Abwägungsgrundlage bei allen Prozessen, Planungen und Umsetzungen der Stadtentwicklung. Die regionalen Grünzüge sind zudem auch im Regionalplan verankert und entsprechend zu berücksichtigen. Entsprechend wird dieser Aspekt bei allen Planungen berücksichtigt. Als konkrete Projekte zu Stärkung der Grünzüge bzw. der Grünverbindungen aus dem integriertem Entwicklungskonzept des Landschaftsplans aus den letzten Jahren können die Umsetzung der Retentionsfläche Sellerhausen an der östlichen Rietzschke, die Integration der Kompensationsflächen in die zukünftige linienhafte Parkanlage des Bayerischen Bahnhof als Auftakt in Richtung südliches Neuseenland, die Entwicklung der Bürgerparks inkl. des Urbanen Waldes am Plagwitzer Bahnhof sowie die im Jahr 2022 anlaufende Umsetzung des Parkbogen Ost benannt werden.
- Welche Flächen zur Waldmehrung aus dem Flächennutzungsplan wurden inzwischen beplant?
Jede Fläche, die sich für eine Aufforstung eignet und nach einer Prüfung zur Verfügung steht, wird unabhängig vom Flächennutzungsplan für Aufforstungen genutzt.
Hier wären beispielhaft zu nennen:
- der renaturierte Brückenstumpf am Schleußiger Weg/Nonne,
- das renaturierte Gelände der Stadtwerke an der Koburger Straße
- Urbane Waldgebiete, z. B. Bahnhof Plagwitz, Gärtnereiholz, Grünau und Schönau sowie
- die renaturierte Fläche des ehemaligen Klinkerwerkes in Liebertwolkwitz
Sind Waldumwandlungen beispielsweise bei der Anlage von Straßen oder bei Wohnbebauung vorgesehen, ist der Ausgleich nach forstfachlichen und ggf. auch nach naturschutzfachlichen Maßgaben zu erbringen.
- Teilt die Stadt die Einschätzung, dass offenbar in weiten Teilen der Gesellschaft das Wissen über die Bedeutung von Biotopen und Ökosystemen als Grundlage des Lebens unterentwickelt ist und wie will die Stadt das Bewusstsein für die Bedeutung stärken, wenn sie zum Teil selbst mit schlechtem Beispiel vorangeht?
Die konkrete Frage nach dem Bewusstsein der Leipziger Stadtgesellschaft über die Bedeutung von Biotopen und Ökosystemen als Grundlage des Lebens wurde den Bürger/-innen in der Form noch nicht gestellt, weshalb sie nicht direkt beantwortet werden kann.
Aufschlüsse zu deren Einstellungen zur Natur liefert jedoch eine Befragung des Instituts für Soziologie der Universität Leipzig, die 2017 im Rahmen der Kommunalen Bürgerumfrage der Stadt Leipzig als Teil des Projektes Lebendige Luppe durchgeführt wurde. Die Inhalte der Befragung orientierten sich z. T. an den bundesweiten Umfragen zum Thema Naturbewusstsein, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) seit einigen Jahren regelmäßig durchführt.
Die Ergebnisse der repräsentativen Befragung, die als BfN-Skript 541 (Leben am Auwald) veröffentlicht worden ist zeigen, dass die Befragten der Natur eine hohe Bedeutung beimessen – sowohl als Lebensraum für Tiere und Pflanzen und Raum für die Artenvielfalt und zugleich als Erholungsraum und für die Gesundheit.
Den Begriff Biologische Vielfalt haben darüber hinaus drei Viertel der Befragten nach eigener Angabe gehört und kennen zudem auch seine Bedeutung. 22 Prozent haben den Begriff schon einmal gehört, aber keine Vorstellung von dessen Bedeutung. Nur 3 Prozent der Befragten sind dagegen in völliger Unkenntnis des Begriffs. Zum Vergleich: Einer Studie zum Naturbewusstsein des BfN im Jahr 2011 zufolge meinten knapp 42 Prozent der Befragten, den Begriff zu kennen und auch zu wissen, was er bedeute. Rund 30 Prozent hatten den Begriff schon gehört, kannten seine Bedeutung aber nicht, und ein Viertel hatte noch nie davon gehört. Der deutlich höhere Bekanntheitsgrad in Leipzig ist beachtenswert, dürfte aber auch durch die wachsende Bedeutung des Themas in der Gesellschaft in den letzten Jahren positiv beeinflusst sein.
Als dritte und abschließende Aussage zu Ökosystemleistungen der Leipziger Auenlandschaft nehmen die Leistungen Lebensraum für Pflanzen und Tiere, Erhalt der biologischen Vielfalt und Arten- und Biotopschutz in der Frage nach der Wichtigkeit verschiedener Ökosystemleistungen die vordersten Plätze ein (Zustimmungswerte > 95 %).
Demzufolge finden sich in den Ergebnissen der repräsentativen Befragung im Rahmen des Projektes Lebendige Luppe keine Anhaltspunkte darüber, dass das Wissen über die Bedeutung von Biotopen und Ökosystemen in der Stadtgesellschaft unterentwickelt ist.
Auch aus den im Rahmen der laufenden Erarbeitung des Masterplan Grün durchgeführten Onlineumfragen lässt sich kein unterentwickeltes Bewusstsein erkennen.
Aus der zweiten Onlinebeteiligung zum Masterplan, die aus Dezember 2021/Januar 2022 datiert geht hervor, dass Bürgerinnen und Bürger in Leipzig sich mit der Biodiversität als auch der Bedeutung von Biotopen und Ökosystemen auseinandersetzen. Inwieweit das Wissen dahingehend vertieft ist, kann aufgrund der Umfrage allerdings nicht repräsentativ ermittelt werden. Bürgerinnen und Bürger wünschen sich in Parkanlagen oft eine Aufwertung durch extensive Flächen (hauptsächlich Blühwiesen/Wiesen für Insekten) und im generellen mehr Entsiegelung. Ebenfalls bezeichnend ist der Wunsch, dass Brachflächen in öffentliche Freiräume umgewandelt werden, zudem oft mit der Anforderung auch Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu sichern.
Schon aus der ersten Umfrage wurde ersichtlich, dass das Thema Biodiversität in der Stadtgesellschaft als sehr wichtig empfunden wird.
So vertraten 62% der Teilnehmenden die Meinung, dass sowohl gepflegtes als auch naturbelassenes Stadtgrün seine Berechtigung hat und 36% sind der Meinung es sollte überwiegend natürlich und wenig gepflegt sein. Darauf lassen auch die Hinweise aus der Bevölkerung schließen, die ergeben, dass sich in Parkanlagen mehr extensive Flächen gewünscht werden und auch einen Zusammenhang von Lebensräumen und Biodiversität herstellen
Es ist somit auch aus diesen Umfragen durchaus zu erkennen, dass die Stadtgemeinschaft einen Fokus auf biologische Vielfalt im Sinne der Biotopbedeutung für die Umwelt legt.