Anfrage: Strafbare Versammlungen?
Anfrage zur Beantwortung am 15. März 2023
Durch die Stadt Leipzig wurde im vergangenen Jahr Anzeige gegen mehrere Personen gestellt, denen vorgeworfen wird, mittels nicht zuvor angemeldeter Versammlungen gegen einen Aufzug einer rechten Demonstration protestiert zu haben (01.08.2022). Im Anzeigedokument der Stadt wird dabei auch abwertend von sogenannten Rädelsführer*innen gesprochen, denen allerdings keine konkrete Tat zur Last gelegt wird.
Andererseits kam es in den vergangenen Jahren insbesondere aus der Szene der Coronakritiker*innen immer wieder zu nicht angemeldeten Aufzügen. Zuletzt versammelten sich in Leipzig Stötteritz nach einem Aufruf des Telegramkanals ‚Stötteritz steht auf‘ Bürger*innen zu einer unangemeldeten Versammlung, auf der unter anderem durch einen AfD-Stadtrat Flyer ohne Angabe eines ‚V.i.S.d.P.‘ (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) verteilt wurden.
Vor diesem Hintergrund fragen wir:
- Wie viele nicht ordnungsgemäß angemeldete Versammlungen, die nicht als Eil- und Spontanversammlung klassifiziert werden konnten, fanden seit Januar 2020 in Leipzig statt?
- In wie vielen Fällen hat die Stadt Anzeige gestellt oder arbeitet mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um die Umgehung des Versammlungsgesetzes zu verhindern?
- Hat die Stadt nach der nicht angemeldeten Versammlung in Leipzig Stötteritz, die vor Ort durch eine Person angemeldet wurde, die regelmäßig Anmelder/Leiter der mit Rechtsextremen durchsetzten Montagsdemonstrationen ist, Anzeige gestellt? Wenn nein, warum nicht?
- Ist es zutreffend, dass die Stadt insbesondere bei den sogenannten „Corona-Spaziergängen“ vom Vorliegen einer anmeldepflichtigen Versammlung ausgegangen ist und diese trotz fehlender Anmeldung (Straftatbestand) dennoch versammlungsfreundlich hat gewähren lassen? Wie viele Anzeigen wegen Verstoß gegen die Anmeldepflicht wurden konkret aufgenommen oder durch die Stadt initiiert?
- Das Versammlungsrecht gehört zu den anspruchsvollsten Materien des Verwaltungsrechts. Wie oft und inwieweit werden die Einsatzkräfte des Stadtordnungsdienstes, die regelmäßig Versammlungen begleiten, geschult und wie werden die Einsätze innerhalb der Stadt ausgewertet?
Antwort vom 14. März 2023
1. Wie viele nicht ordnungsgemäß angemeldete Versammlungen, die nicht als Eil- und Spontanversammlung klassifiziert werden konnten, fanden seit Januar 2020 in Leipzig statt?
Seit dem 01.01.2020 wurden der Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig 57 Versammlungen (Kundgebungen und Aufzüge) bekannt, welche erst vor Ort angezeigt wurden und nicht den Charakter einer Eil- oder Spontanversammlung aufwiesen.
Für den gleichen Zeitraum wurden 106 Versammlungen bekannt, für welche zu keinem Zeitpunkt eine Anzeige getätigt wurde.
2. In wie vielen Fällen hat die Stadt Anzeige gestellt oder arbeitet mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um die Umgehung des Versammlungsgesetzes zu verhindern?
Durch die Stadt Leipzig, insbesondere aber durch die Polizei werden bei Feststellung versammlungsrechtlicher Verstöße Anzeigen gefertigt. Regelhaft unterstützt die Stadt Leipzig die Ermittlungsbehörden hierbei durch die Übermittlung vorhandener Erkenntnisse. Eine statistische Erhebung der Anzahl gestellter Anzeigen erfolgt dabei allerdings nicht.
3. Hat die Stadt nach der nicht angemeldeten Versammlung in Leipzig Stötteritz, die vor Ort durch eine Person angemeldet wurde, die regelmäßig Anmelder/Leiter der mit Rechtsextremen durchsetzten Montagsdemonstrationen ist, Anzeige gestellt? Wenn nein, warum nicht?
Die Stadt Leipzig hat keine Anzeige gegen den Leiter der am 05.02.2023 im Bereich der geplanten Flüchtlingsunterkunft unter dem Motto "Mahnwache: Flüchtlingsunterkunft Stötteritz Dialog und Miteinander statt Hass und Hetze! Wir brauchen gesellschaftlichen Diskurs!" durchgeführten Kundgebung erstattet. Die in Rede stehende Person zeigte die in Rede stehende Kundgebung vor Ort gegenüber den Mitarbeitern der Operativgruppe an.
Es konnte hingegen nicht festgestellt werden, dass diese Person auch schon vor der Anzeige eine Veranstalter- oder Leiterfunktion innehatte. Eine Strafbarkeit gem. § 27 Nr. 2 SächsVersG wegen Durchführens einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne eine nach § 14 erforderliche Anzeige kam somit nicht in Betracht.
4. Ist es zutreffend, dass die Stadt insbesondere bei den sogenannten „Corona-Spaziergängen“ vom Vorliegen einer anmeldepflichtigen Versammlung ausgegangen ist und diese trotz fehlender Anmeldung (Straftatbestand) dennoch versammlungsfreundlich hat gewähren lassen? Wie viele Anzeigen wegen Verstoß gegen die Anmeldepflicht wurden konkret aufgenommen oder durch die Stadt initiiert?
Bei einer Vielzahl der als „Corona-Spaziergänge“ durchgeführten Aufzüge konnte durch Vertreter der Versammlungsbehörde vor Ort eine Versammlungseigenschaft festgestellt werden.
Hierzu ist zu konstatieren, dass allein das Fehlen einer nach § 14 Abs. 1 SächsVersG erforderlichen Anzeige noch keinen Auflösungsgrund darstellt (st. Rspr., vgl nur BVerfG NVwZ 2005, 80; NJW 1985, 2395). Vielmehr muss eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hinzutreten, die darauf beruhen kann, aber nicht muss, dass die Polizei wegen der zwar möglichen, aber dennoch unterbliebenen Anzeige keine gefahrenabwehrenden Sicherheitsmaßnahmen treffen konnte.
Soweit dies nicht der Fall war, wurde im Sinne des hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit in Zusammenarbeit mit dem Polizeivollzugsdienst eine Durchführung der Aufzüge unter Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ermöglicht.
5. Das Versammlungsrecht gehört zu den anspruchsvollsten Materien des Verwaltungsrechts. Wie oft und inwieweit werden die Einsatzkräfte des Stadtordnungsdienstes, die regelmäßig Versammlungen begleiten, geschult und wie werden die Einsätze innerhalb der Stadt ausgewertet?
Die Zuständigkeit zur Unterstützung der Versammlungsbehörde und der Präsenz vor Ort bei ausgewählten Versammlungen liegt bei der OP-Gruppe.
Eine umfassende versammlungs-rechtliche Schulung der Mitarbeiter der OP-Gruppe findet regelhaft sowie anlassbezogen statt. Die OP-Gruppe steht dabei sowohl im Rahmen der Vor- als auch der Nachbereitung der Versammlungslagen mit der Versammlungsbehörde sowie der Polizei in engem Kontakt.
Das Aufgabenfeld des Stadtordnungsdienstes beschränkte sich bisher lediglich auf Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Umsetzung von verkehrsrechtlichen Anordnungen zur Freihaltung von Verkehrs- und Aufstellflächen. Eine gezielte Schulung zum Versammlungsrecht war daher bis dato nicht erforderlich und wurde auch nicht durchgeführt.