Anfrage: Wohnungslosigkeit in Leipzig

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 24. Februar 2021

Im Verlauf der Pandemie hat die Fraktion Bündnis `90/ Die Grünen mehrfach die Situation prekärer Gruppen erfragt. Mit dieser Anfrage möchten wir die Situation einkommensschwacher und insbesondere von Wohnungslosigkeit bedrohter und bereits wohnungsloser Menschen erfragen. Im Zuge der Vorgaben zum Schutz der Gesundheit wurden wohnungslose Menschen verstärkt in einer zusätzlich geschaffenen Unterkunft versorgt, insgesamt werden 170 Schlafplätze angeboten. (Quelle https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/soziale-hilfen/hilfe-bei-obdachlosigkeit-in-leipzig/#c145628) . Der aktuellste Sozialreport 2020 führt aus:

Im Jahr 2019 wurden 3.398 Wohnungsnotfälle/Haushalte betreut. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Abnahme von rund 7 % (2018: 3.655). Darunter waren 2019 insgesamt 2.162 neu bekannt gewordene Wohnungsnotfälle (minus 6,1 %).

Wir fragen:

  1. Wir haben sich die Armutslagen in der Pandemie/ im Lockdown entwickelt? Welche Unterschiede gibt es bei Männern, Frauen, divers, Menschen mit Kindern, Alleinerziehenden?
  2. Welche Erkenntnis hat die Stadt zur Situation der verdeckten Wohnungslosigkeit, nachdem die Stadt aktuell verstärkt unterbringt? (Zahl der Wohnungslosen)
  3. Welche Erkenntnis hat die Stadt zur Schwere und Komplexität der Fälle von Wohnungslosigkeit?
  4. Welche Beratungsangebote werden im Lockdown vorgehalten, wie ist die Erreichbarkeit, wie hat sich die Nachfrage verändert?
  5. Welche Schlüsse und Folgerungen zieht die Stadt Leipzig aus der Entwicklung (in Bezug auf Prävention, zusätzliche Kapazitäten, usw..)?

Antwort vom 24. Februar 2021

1. Wie haben sich die Armutslagen in der Pandemie/ im Lockdown entwickelt? Welche Unterschiede gibt es bei Männern, Frauen, divers, Menschen mit Kindern, Alleinerziehenden?

 

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Armutsgefährdung in Leipzig lassen sich derzeit noch nicht umfassend beschreiben.

 

Eine erste Einschätzung ist auf Grundlage der Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit möglich. So ist die Arbeitslosenquote von 6,3 % im März auf 8,4 % im August 2020 gestiegen. Bis zum Ende des Jahres sank sie dann wieder auf 7,7 %. Die Anzahl der Arbeitslosen stieg von März bis August 2020 um 35,2 % (plus 8.114). 2019 war im gleichen Zeitraum ein Anstieg von 4,3 % (plus 110) zu verzeichnen. Im August 2020 waren 43 % aller Arbeitslosen weiblich. Der prozentuale Anteil von Männern und Frauen blieb in diesem Zeitraum etwa gleich.

 

Der Anstieg erfolgte besonders im Rechtskreis des SGB III (Arbeitslosengeld 1). Die Anzahl der Leistungsempfänger/-innen (SGB III) stieg von März bis August 2020 um 49,2 % (plus 3.446). Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 6,9 % (plus 454). Die Anzahl der Leistungsempfänger/-innen im SGB II stieg um 27,5 % (plus 3.511). Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 3,0 % (plus 393).

 

Die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II hat sich von März bis August 2020 um 9,4 % erhöht. Im Vorjahreszeitraum war ein Rückgang um 3,5 % zu verzeichnen. Dabei zeigten sich im Jahr 2020 keine besonderen Unterschiede nach Haushaltstypen. Der Anteil der erwerbfähigen leistungsberechtigten Frauen lag im August 2020 bei 48 % und blieb im Vergleich zum Vorjahr in etwa unverändert.

 

Seit August 2020 bis Jahresende 2020 sank die Anzahl der Arbeitslosen wieder. Zur Einschätzung der Auswirkungen des zweiten Lockdowns stehen noch keine vollständigen Daten zur Verfügung.

 

2. Welche Erkenntnisse hat die Stadt zur Situation der verdeckten Wohnungslosigkeit, nachdem die Stadt aktuell verstärkt unterbringt? (Zahl der Wohnungslosen)

 

Valide Daten zu verdeckter Wohnungslosigkeit liegen der Stadt Leipzig nicht vor. Ein Merkmal verdeckter Wohnungslosigkeit ist, dass die Wohnungslosigkeit verschwiegen wird und öffentliche Hilfen nicht in Anspruch genommen werden.

Festzustellen ist aber, dass sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie die Inanspruchnahme der Notunterkünfte mehr als verdoppelt hat. Im Januar 2020 erfolgten insgesamt 2.221 Übernachtungen in den Notunterkünften der Stadt Leipzig. Im Januar 2021 waren es bereits 4.868. Dabei könnte es sich bei einigen Personen um Menschen handeln, die zuvor verdeckt wohnungslos waren oder das Hilfesystem pandemiebedingt erst jetzt in Anspruch nehmen.

 

3. Welche Erkenntnisse hat die Stadt Leipzig zur Schwere und Komplexität der Fälle von Wohnungslosigkeit?

 

Nach Rückmeldungen der in der Wohnungsnotfallhilfe tätigen Sozialarbeiter/-innen hat die Komplexität der Problemlagen von Menschen, die die Notunterkünfte in Anspruch nehmen, nicht maßgeblich zugenommen. Festzustellen sei jedoch eine Zunahme der Anzahl der Fälle mit komplexen Problemlagen. Die Anzahl der Fälle mit komplexen Problemlagen wird jedoch statistisch nicht erfasst.

 

4. Welche Beratungsangebote werden im Lockdown vorgehalten, wie ist die Erreichbarkeit, wie hat sich die Nachfrage verändert?

 

Das Sozialamt berät und unterstützt vorrangig telefonisch, postalisch oder per E-Mail. Bei Bedarf können Beratungstermine wahrgenommen werden. In besonders dringenden Fällen finden persönliche Vorsprachen auch ohne vorherige Terminvereinbarung statt.

 

Die niedrigschwellige soziale Beratung in den Tagestreffs und der Bahnhofsmission findet weiterhin statt. Straßensozialarbeit, einschließlich des Angebotes des Hilfebusses, wird durchgeführt. Aufgrund der extremen Witterungsbedingungen wurde der Hilfebus in der 7. Kalenderwoche 2021 durch zwei weitere Fahrzeuge unterstützt, um obdachlose Menschen mit Schlafsäcken und heißen Getränken zu versorgen oder diese in die Notschlafstellen zu fahren.

 

Das ambulant betreute Wohnen wird uneingeschränkt fortgesetzt. Auch die ehrenamtlichen medizinischen Sprechstunden in den Tagestreffs und im Übernachtungshaus für wohnungslose Männer finden weiterhin statt. Die Angebote der verschiedenen Schuldnerberatungsstellen und die allgemeine soziale Beratung stehen zur Verfügung, erfordern jedoch eine telefonische Terminvereinbarung.

 

Die Nachfrage nach den Beratungsangeboten ist vor allem in den Tagestreffs und in der Bahnhofsmission gestiegen. Darüber hinaus fragen wohnungslose Menschen eine stärkere Unterstützung beispielsweise zur Terminvereinbarung mit Behörden nach.

 

5. Welche Schlüsse und Folgerungen zieht die Stadt Leipzig aus der Entwicklung (in Bezug auf Prävention, zusätzliche Kosten, usw…)?

 

Die Stadt Leipzig hat während der Corona-Pandemie schnell auf die Bedarfe von wohnungslosen Personen reagiert. Durch die ganztägige Öffnung der Übernachtungseinrichtungen, die kostenlose Speisenversorgung sowie die Aussetzung der Gebührenerhebung wurden Barrieren der Inanspruchnahme von Notunterkünften gesenkt. Dadurch nahmen die Nutzerzahlen in den Notunterkünften deutlich zu.

 

Die zusätzlichen Bedarfe zur Unterbringung wohnungsloser Personen wurden mit der Eröffnung einer zusätzlichen Notschlafstelle in der Torgauer Straße 290 gedeckt. Es ist davon auszugehen, dass auch nach der Aufhebung der Kontaktbeschränkungen ein höherer Bedarf an Unterbringungsplätzen besteht als vor der Pandemie. Aus diesem Grund soll im Zuge der baulichen Sanierung des Übernachtungshauses für wohnungslose Männer in der Rückmarsdorfer Straße 7 eine dauerhafte Kapazitätserweiterung von gegenwärtig 45 auf dann bis zu 85 Plätzen erfolgen. Darüber hinaus wurde ein erhöhter Bedarf an Notunterbringungsplätzen für wohnungslose Menschen mit Suchterkrankungen sichtbar. Die Kapazitäten für diesen Personenkreis sollen deshalb ab 01.04.2021 um weitere 40 Plätze erhöht werden.

 

Die gestiegenen Bedarfe haben die Verwaltung veranlasst in ihren Verwaltungsmeinungen zu den Haushaltsanträgen der Fraktionen eine zusätzliche Stelle für den Hilfebus, zwei zusätzliche Stellen für Straßensozialarbeit durch das Sozialamt, sowie eine zusätzliche Stelle in der Bahnhofsmission, wobei im Rahmen einer Leistungsvereinbarung das Angebot für Obdachlose noch spezifischer ausgerichtet werden soll, zu befürworten.

 

Die Folgen der Corona-Pandemie haben erneut die Bedeutung professioneller Sozialarbeit zur Vermeidung von und Unterstütung bei Obdachlosigkeit aufgezeigt.

 

Präventive Arbeit ist und bleibt ein wesentlicher Grundbaustein in der Wohnungsnotfallhilfe.

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