Antrag: Biologische Vielfalt – Kennen und Schützen
Antrag vom 22. Februar 2024
Beschlussvorschlag:
- Der Oberbürgermeister wird beauftragt bis zum 3. Quartal 2024 zu prüfen, wie ein regelmäßiges, wissenschaftliches Biodiversitätsmonitoring in Leipzig durchgeführt werden kann. Der Fokus soll dabei besonders auf bedrohte Arten, Biotope und Biotopverbundflächen gelegt werden.
- Die Ausweisung neuer Schutzgebiete, nach den Empfehlungen der 15. Weltbiodiversitätskonferenz, soll verstärkt berücksichtigt werden. Der Fachausschuss Umwelt, Klima, Ordnung wird im 2. Quartal 2024 über den Stand der Schutzgebietsausweisungen informiert.
- Der Oberbürgermeister wird damit beauftragt, geeignete und zielgerichtete Maßnahmen für den Umgang mit Neophyten und Neozoen (ursprünglich nicht heimischen, invasiven Pflanzen- und Tierarten) zu erarbeiten und dem Stadtrat bis zum 1. Quartal 2025 vorzulegen. Ein Fokus soll dabei auf jenen Arten liegen, die die größten Gefahren für bedrohte Arten wie Fledermäuse, Vögel und Amphibien, darstellen sowie auf Neophyten und Neozoen, bei denen ein schnelles Handeln Aussicht auf Erfolg bietet.
- Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bestehende Fördermöglichkeit der EU, des Bundes und des Freistaats umfassend auszuschöpfen, um Artenschutzmaßnahmen, die Ausweisung von Schutzgebieten und den Umgang mit Neophyten und Neozoen umfassend auszuschöpfen.
- Personelle und finanzielle Kapazitäten, die zur Umsetzung der vorgenannten Punkte dienen, sollen bis zur Erstellung des Doppelhaushalts 2025/26 herausgearbeitet werden, damit sie dort entsprechende Berücksichtigung finden können. Der Fachausschuss Umwelt, Klima, Ordnung wird diesbezüglich im 2. Quartal 2024 informiert.
Begründung:
BP1: Die Antwort zur Anfrage VII-F-09310 „Artensterben und Klimawandel“ macht deutlich, dass es gravierende Wissenslücken bezüglich des Zustands der Leipziger Artenvielfalt gibt, um eine objektive Sachlage überhaupt erfassen zu können. Es soll daher ein regelmäßiges, wissenschaftliches Biodiversitätsmonitoring beauftragt werden, welches für die Zukunft eine valide Datengrundlage für städtische Entscheidungen erlaubt. Leipzig verfügt mit der Universität Leipzig und dem Botanischen Garten, dem UFZ, dem iDiv, dem Naturkundemuseum und dem Nationalen Monitoringzentrum zur Biodiversität über hervorragende wissenschaftliche Anlaufstellen, die bei dem Anliegen unterstützen können.
BP2: In der Antwort zur Anfrage VII-F-09310 „Artensterben und Klimawandel“ weist die Verwaltung darauf hin, dass es an Personal mangelt, um neue Schutzgebietsverordnungen (Neuausweisung NSG „Bläulingswiese und Vorholz bei Holzhausen“ und die Erweiterung und Neuausweisung weiterer Landschaftsschutzgebiete) zu erlassen. Auch die Ausweitung des NSG Elster-Pleiße-Auwald (VII-A-01749) harrt einer Umsetzung. Gleichzeitig ist die Unterschutzstellung jedoch ein sehr wirksames Instrument, um Lebensräume nachhaltig zu schützen und muss daher entsprechend priorisiert werden. Auf der 15. Internationalen Biodiversitätskonferenz 2022 im kanadischen Montreal wurde beschlossen 30 % der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen. Dabei geht es uns nicht darum, dass 30 % der Leipziger Stadtfläche unter Schutz gestellt werden sollen, aber die Ausweisung neuer Schutzgebiete und die Überprüfung der Ausweitung der bisherigen Schutzgebiete soll verstärkt berücksichtigt werden.
BP3: Eine Bündelung von zielgerichteten und erfolgversprechenden Maßnahmen im Umgang mit invasiven Tier- und Pflanzenarten soll sowohl den Umgang der städtischen Ämter mit invasiven Arten systematisieren, als auch Hinweise an (Klein-)Gärtner*innen enthalten.
BP4: Aus Antwort 5 zur Anfrage VII-F-09310 „Artensterben und Klimawandel“ wird deutlich, dass es noch ungenutztes Potential hinsichtlich der Förderung von Artenschutzmaßnahmen etc. in Bezug auf Tempo und Quantität gibt. Dieses Potential gilt es umfassend auszuschöpfen, um alle verfügbaren Mittel im Kampf gegen das Artensterben und für den Schutz der Biologische Vielfalt einzusetzen.
BP5: In der Antwort auf Anfrage zur Anfrage VII-F-09310 wurde eindringlich auf fehlende personelle und finanzielle Ressourcen in der Unteren Naturschutzbehörde für Artenschutzmaßnahmen, Biodiversitätsmonitoring, Umgang mit invasiven Arten und Schutzgebietsausweisungen hingewiesen. Insofern soll über haushaltsrelevante Änderungen, die mit Beschluss dieses Antrags einhergehen rechtzeitig vor Erstellung des Doppelhaushalts 2025/26 im Fachausschuss Umwelt, Klima, Ordnung im 2. Quartal 2024 informiert werden.
Verwaltungsstandpunkt vom 18. Juni 2024
Alternativvorschlag:
Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bestehende Fördermöglichkeiten der EU, des Bundes und des Freistaats für Artenschutzmaßnahmen, die Ausweisung von Schutzgebieten und den Umgang mit invasiven Arten im Rahmen der vorhandenen personellen Kapazitäten zu prüfen.
Begründung:
Das hinter dem Antrag stehende Ansinnen, die biologische Vielfalt in Leipzig noch verstärkter in den Blick zu nehmen und durch gezielte Artenschutzmaßnahmen sowie gezielten Lebensraumschutz zu fördern, wird ausdrücklich begrüßt.
Für die Bewahrung und Förderung der Biodiversität haben Bundes- und Landesgesetzgeber den unteren Naturschutzbehörden ein breit gefächertes Instrumentarium zur Verfügung gestellt, vgl. z. B. unter §§ 22 ff. BNatSchG (Unterschutzstellung von Natur und Landschaft, überwiegend Pflichtaufgabe); §§ 40a ff. BNatSchG (Maßnahmen gegen invasive Arten, Pflichtaufgabe) oder §§ 30, 37 f. BNatSchG (Aufstellung und Umsetzung von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen zum Schutz bzw. zur Wiederansiedlung von Tieren und Pflanzen wild lebender Arten in geeigneten Biotopen innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets, freiwillige Aufgabe).
Für die Erfüllung dieser vielfältigen Aufgaben stellen der Freistaat Sachsen, die BRD und die EU Fördermittel im hohen zweistelligen Millionenbereich zur Verfügung (allein über die Förderrichtlinie Natürliches Erbe stellte der Freistaat Sachsen im Zeitraum 2014 bis 2022 ca. 90 Mio. EUR Fördermittel bereit, von denen ca. 60 Mio. EUR in Anspruch genommen wurden).
Zu Ziff. 1. des Antrags
Für einen Großteil der in Leipzig vorkommenden Arten (darunter allein über 10.000 Insektenarten) besteht weder eine Rote Liste noch überhaupt gesetzlicher Schutz. Wenngleich auch für solche Arten ein Monitoring sicherlich wünschenswert wäre, ist dies für alle potenziell gefährdeten Arten weder für die Stadt Leipzig leistbar noch zielführend.
In Bezug auf welche (Ziel-)Arten und welche konkreten Betrachtungsräume ein regelmäßiges, wissenschaftliches Biodiversitätsmonitoring in Leipzig sinnvoll durchgeführt werden kann, bedürfte einer umfassenden Prüfung.
In den Blick genommen werden könnten hierbei (unter Bezugnahme auf § 6 Abs. 3 BNatSchG) insbesondere:
- der Erhaltungszustand der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I der FFH-Richtlinie; der Erhaltungszustand der Arten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie sowie der europäischen Vogelarten;
- das Vorkommen invasiver Arten gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 9 a) BNatSchG nach Maßgabe des Artikels 14 der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014.
Im Rahmen der Konzeption eines stadtweiten Monitoringkonzeptes wären die bereits laufenden bzw. geplanten Monitoringprogramme in das Konzept einzubinden (z. B. aus dem Bereich Biotopverbundplanung oder dem anstehenden Naturschutzgroßprojekt).
Die Naturschutzbehörde schätzt insbesondere ein Amphibien-Monitoring im Auenbereich als dringlich ein. In Folge der Klimaveränderungen, der zunehmenden Stadtverdichtung sowie durch den steigenden Prädationsdruck invasiver Arten hat sich der Amphibienbestand in Leipzig seit 2018 um ein Vielfaches reduziert. Die meisten Vertreter der Artengruppen stehen in Leipzig aktuell kurz vor dem Aussterben oder sind bereits ausgestorben (vgl. zentrale Artdatenbank Sachsen). So gelten die „Auwaldarten“ Laubfrosch (2022) und Moorfrosch (1996) als im Stadtgebiet fast vollständig ausgestorben. Auch die ehemalige „Allerweltsart“ Erdkröte ist nur noch äußerst selten im Stadtgebiet anzutreffen. Hinzu kommt, dass die aktuelle Ausbreitung von Amphibienkrankheiten im nahen Umfeld von Leipzig diese Tendenz voraussichtlich nochmals beschleunigt. Ein Monitoring der Bestandssituationen und hierauf gründend die Konzipierung/Umsetzung erfolgreicher Gegenmaßnahmen sind daher dringend.
Aber auch außerhalb des Leipziger Auwalds trägt die Stadt Leipzig (im Einzelfall sogar die nationale) Verantwortung für den Erhaltungszustand von Arten. So befindet sich in Leipzig/Paunsdorf z.B. das deutschlandweit einzig bekannte Reproduktionsvorkommen der streng geschützten Art Alpenfledermaus. Bestandsverbessernde Maßnahmen und ein engmaschiges Monitoring sind für den Erhalt insbesondere dieser Art zwingend erforderlich. Eine akute Gefährdung besteht derzeit vor allem durch die Umsetzung energetischer Gebäudesanierungsmaßnahmen in Paunsdorf – dem ist bereits rein rechtlich zwingend durch Konzipierung und Monitoring geeigneter Quartierstrukturen für die Alpenfledermaus zu begegnen.
Neben der Fokussierung auf Arten und Lebensraumtypen der Anhänge I, II und IV sollte ein etwaiges Monitoring auch die invasiven Arten gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 9 a) BNatSchG mit einbeziehen. Ziel des Monitorings sollte in der Evaluierung getroffener Gegenmaßnahmen sowie im schnellen Auffinden bisher nicht etablierter Arten liegen. Nur dann können in der Regel erfolgsversprechend Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.
Die fachliche Konzipierung eines regelmäßigen, wissenschaftlichen Biodiversitätsmonitorings für das Leipziger Stadtgebiet ist im Rahmen der personellen Kapazitäten der insoweit gesetzlich zuständigen unteren Naturschutzbehörde nicht möglich. Insoweit wäre eine Verständigung erforderlich.
Zu Ziff. 2. des Antrags
Das effektivste Instrument, Biodiversität flächig sowie effektiv zu schützen und fördern, ist die Ausweisung neuer Schutzgebiete (vgl. §§ 22 ff. BNatSchG, insbesondere Naturschutzgebiete gem. § 23 BNatSchG). Naturschutzfachlich besonders wertvolle Flächen können so zielgerichtet bewahrt sowie Flächen mit hohem Potential gezielt entwickelt werden. Für eine möglichst strukturierte Steuerung der gerade in einer Großstadt wie Leipzig sehr heterogenen Nutzung der Schutzgebiete (z. B. für Artenschutz, Erholung, Naturgenuss, Tourismus, Sport, etc.) hat der Gesetzgeber das Instrument der „Pflege- und Entwicklungsplanung“ zur Seite gestellt (vgl. § 22 Abs.1 S. 2 BNatSchG). Mit diesem Mittel könnte z. B. für den Leipziger Auwald künftig eine ggf. noch strukturiertere bzw. strategischere Lenkung der unterschiedlichen Nutzungen und Interessen erfolgen.
Die Ausweisung neuer Schutzgebiete ist im Rahmen der personellen Kapazitäten der insoweit gesetzlich zuständigen unteren Naturschutzbehörde – wenn überhaupt – nur in einem sehr überschaubaren Tempo möglich.
Auch die Prüfung und Aufstellung von Pflege- und Entwicklungsplänen für die bestehenden Leipziger Schutzgebiete wie z. B. das Landschaftsschutzgebiet „Leipziger Auwald“ (mit dem Ziel, einer Lenkung der sehr heterogenen Nutzungen) oder die Rechtsanpassung von Schutzgebieten, für welche bislang keine Überführung des DDR-Rechts in Bundesrecht erfolgte (mittels Erlass einer Rechtsverordnung) ist im Rahmen der bestehenden personellen Kapazitäten – wenn überhaupt – nur in einem sehr überschaubaren Tempo möglich.
Zu Ziff. 3. des Antrags
Der Fokus könnte aus Sicht der Naturschutzbehörde primär auf invasive Arten gemäß § 7 Absatz 2 Nummer 9 BNatSchG gelegt werden, also auf Arten,
- die in der Unionsliste nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 aufgeführt sind
- für die Dringlichkeitsmaßnahmen nach Artikel 10 Absatz 4 oder für die Durchführungsrechtsakte nach Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 in Kraft sind, soweit die Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 nach den genannten Rechtsvorschriften anwendbar ist oder
- die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 3 aufgeführt sind.
Viele dieser invasiven Arten sind jedoch bereits im Stadtgebiet etabliert. Aufgrund des Fehlens geeigneter, zielgerichteter Maßnahmen für die meisten bereits etablierten Arten könnte der Schwerpunkt auf der Vermeidung einer Etablierung von noch nicht in Leipzig bzw. im Freistaat Sachsen etablierten Arten liegen.
Einige invasive Arten begründen bereits jetzt ein Risiko für die menschliche Gesundheit (z. B. Riesenbärenklau) und es wird von einer künftig deutlichen Zunahme des Eintrags entsprechender Risiken ausgegangen.
Das Management bereits etablierter Arten (z. B. Waschbär) sollte sich auf naturschutzfachlich hochwertige Standorte begrenzen. Die wissenschaftlichen Institutionen Leipzigs (z. B. UFZ, iDiv, Universität, Monitoringzentrum BfN) würden bei der Konzeption und Evaluierung geeigneter Gegenmaßnahmen selbstverständlich mit einbezogen.
Zu Ziff 4. des Antrags:
Es bietet sich an, personelle Kapazitäten für eine zielgerichtete Prüfung/Inanspruchnahme der vielfältigen wie gut ausgestatteten Fördermittelprogramme einzusetzen (vgl. siehe oben zur RL Natürliches Erbe), um möglichst zügig zusätzliches fördermittelfinanziertes Personal für die vorstehend dargestellten Aufgaben sowie Fördermittel für die Maßnahmenplanung und -umsetzung zu akquirieren. Dies würde u. a. beinhalteten: Sichtung bestehender Fördermittelprogramme; Entwurf von Projektskizzen; Findung von Kooperationspartnern; Abstimmungen mit Fördermittelgebern; Antragstellung (bei vielen Fördergegenständen ist eine Antragstellung durch die unteren Naturschutzbehörden explizit vorgesehen); Gewinnung von geförderten Personalstellen bzw. Projektumsetzung; Verwendungsnachweiserstellung und -einreichung; Verfassen von Zwischen- bzw. Abschlussberichten; Prüfung und In-die-Wege-Leitung von „Folgeförderung“ (nach Umsetzung von Investivmaßnahmen kann häufig auch die Pflege durch Fördermittel finanziert werden). Im Rahmen der personellen Kapazitäten der unteren Naturschutzbehörde ist dies – wenn überhaupt – allerdings nur in einem sehr überschaubaren Tempo zu möglich.
Beschluss der Ratsversammlung am 21. August 2024
Der Antrag wurde vom Stadtrat mit 50-0-7 im Sinne des Verwaltungsstandpunktes beschlossen: