Antrag: Erinnerungspolitik Parkstadt Dösen

Antrag vom 18. Juni 2021

Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Dösen in Leipzig soll in angemessener aber deutlich sichtbarer Form an die Geschichte der Nervenheilanstalt unter besonderer Berücksichtigung der NS-Zeit und den Opfern der Kindereuthanasie gedacht werden. Hierbei ist unter anderem auch die Errichtung einer Tafel, die an die Geschichte erinnert, zu prüfen.

Begründung:

Der Antrag greift eine bereits vielfach im Stadtbezirksbeirat Südost besprochene Initiative zum angemessenen Umgang mit dem Gedenken an die Opfer der Euthanasie in Leipzig auf.

Die im städtebaulichen Vertrag mit dem Investor zur Parkstadt Dösen getroffenen Vereinbarungen reichen dazu nicht aus und sind vor diesem Hintergrund nicht nur zu unbestimmt, sondern finanziell auch nicht untersetzt.

Zwischen 1918 und 1928 und nochmals von Januar bis April 1940 leitete Hermann Paul Nitsche die Klinik. Zum 1. Januar 1940 kam Direktor Hermann Paul Nitsche von Pirna-Sonnenstein für vier Monate wieder nach Leipzig-Dösen zurück und übernahm am 1. Februar 1940 die dortigen Amtsgeschäfte. Nitsche entwickelte und „erprobte“ im Vorfeld der nationalsozialistischen Kinder-„Euthanasie“ mit Assistenz der Oberärzte Georg Renno und Herbert Schulze in Dösen ein Vergiftungsschema mit Luminal, wonach den Kindern über mehrere Tage leicht überdosierte Luminalgaben in Tablettenform oder intravenös verabreicht wurden. In Verbindung mit einer zeitgleich stattfindenden systematischen Unterernährung führte dies in kurzer Zeit zum Tod der Kinder durch Lungenentzündung.

Nitsches Nachfolger als Direktor war Emil Eichler (1875–1949), der das Amt bis zu seiner Pensionierung 1943 kommissarisch führte. Unter seiner Leitung wurde auf Initiative des Pädiaters Werner Catel (Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universitätskinderklinik/ Städtisches Kinderkrankenhaus Leipzig) im Oktober 1940 eine kinderpsychiatrische Abteilung eingerichtet. In dieser vom Arzt Arthur Mittag geleiteten „Kinderfachabteilung“ wurden zwischen November 1940 und 7. Dezember 1943 (dem Tag der Verlegung der Kinderfachabteilung in die Landesanstalt Großschweidnitz bei Löbau) 551 Kinder und Jugendliche nach Nitsches „Luminal-Schema“ systematisch ermordet.

Der Anstaltsleiter Nitsche wurde im Dresdner Euthanasie Prozess 1947 schließlich zum Tode verurteilt.

Gerade vor dem Hintergrund der systematischen Ermordung psychisch kranker Kinder, die mit dem Ort untrennbar verbunden ist, ist es unabdingbar, dies in die Erinnerungskultur der Stadt miteinfließen zu lassen und in angemessener Form daran zu gedenken.

Quellen:

Stadt Leipzig: Euthanasieverbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus in Leipzig. Informations-Material für Lehrer und Schüler der 9. und 10. Klassen in Mittelschulen und Gymnasien in Leipzig, 2007,

Klaus-Dietmar Henke: „Kinder-Euthanasie“ in Sachsen. In: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.): Tödliche Medizin im Nationalsozialismus. Von der Rassenhygiene zum Massenmord. Böhlau, Köln u. a. 2008, ISBN 978-3-412-23206-1, S. 143–148 (Volltext in der Google-Buchsuche – Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 7).

Zu Einrichtung und Personal der „Kinderfachabteilung“ Leipzig-Dösen vgl.: Ulrich Rottleb und Thomas Seyde: Kinderfachabteilung Leipzig-Dösen – eine wissenschaftliche Aufarbeitung, in: Arbeitskreis Pflege in der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie / Günter Storck und Hilde Schädle-Deininger (Hrsg.): 75 Jahre Euthanasie-Erlass, Köln 2015, S. 27–41; Online (PDF).

Götz Aly: Der saubere und der schmutzige Fortschritt, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Band 2, Reform und Gewissen. „Euthanasie“ im Dienst des Fortschritts, Berlin, Rotbuch Verlag 1985, S. 9–78; zu Georg Friedrich hier S. 65 f.

Verwaltungsstandpunkt vom 20. September 2021

Zustimmung mit Ergänzung

Beschlussvorschlag:

Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Dösen in Leipzig wird in angemessener, aber deutlich sichtbarer Form an die Geschichte der Nervenheilanstalt unter besonderer Berücksichtigung der NS-Zeit und den Opfern der Kindereuthanasie gedacht werden. Hierzu sollen eine oder mehrere Gedenkstelen errichtet werden, die an die Geschichte der zukünftigen Parkstadt Dösen erinnern. Die vollständige Finanzierung ist über die Einwerbung von Fördermitteln und Spenden abzusichern.

Begründung:

Der Geschichte der ehemaligen Nervenheilanstalt Leipzig-Dösen ist auf dem Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt/des ehemaligen Bezirkskrankenhauses/des ehemaligen Parkklinikums Leipzig zu gedenken. Dabei ist sowohl an die Geschichte des Baus der Einrichtung für psychisch kranke Menschen durch die Stadt Leipzig und dem Beginn einer für die damalige Zeit sehr fortschrittlichen und humanen Behandlung, als auch auf die sehr wechselvolle z.T. verbrecherische Geschichte über die verschiedenen politischen Systeme, zu erinnern.

Einer der Schwerpunkte der Geschichte sind dabei die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus, die an hunderten von geistig behinderten und psychisch kranken Menschen auf dem Gelände der ehemaligen Anstalt verübt worden sind. Dabei ist vor allem sowohl an die Ermordung erwachsener psychisch kranker und geistig behinderter Anstaltsinsassen als auch an die systematische Ermordung von behinderten Kindern aus ganz Sachsen zu erinnern.

Die politische und öffentliche Unterstützung für eine angemessene und deutlich sichtbare Form des Gedenkens an die Geschichte der Euthanasieverbrechen auf dem Gelände der ehemaligen Klinik, ist dabei für die Umsetzung des Vorhabens überaus hilfreich. Ergänzt dies doch das Engagement der Stadt Leipzig, das schon seit den 1990iger Jahren diesen historisch einmaligen menschenverachteten Vorgängen gewidmet ist (Gedenkort für die Opfer der Kindereuthanasieverbrechen im Friedenspark, Grabmal für die ermordeten erwachsenen Psychiatriepatienten und behinderten Kindern auf dem Ostfriedhof, Abschnitt Euthanasieverbrechen in der ständigen Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum). Ein weiterer Baustein bereits umgesetzter Erinnerungskultur ist die zukünftige Benennung der Straßen nach Opfern der Euthanasie-Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus in der Parkstadt Dösen (Vorlage: VII-DS-02446, Beschluss Ratsversammlung vom 23.06.2021).

Für die in diese Verbrechen einbezogenen zahlreichen Einrichtungen der Stadt – wie Universitätskinderklinik, städtisches Gesundheitsamt, Erbgesundheitsgericht, Zwangsarbeitsanstalt– gibt es mit der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Leipzig Dösen immer einen zentralen Ort, der in all diese Verbrechen einbezogen war. Einer Initiative von behinderten Menschen ist es zu verdanken, dass es seit 2016 eine Stolperschwelle zur Erinnerung an die Euthanasieverbrechen auf der gegenüber liegenden Seite des Klinikgeländes gibt. Eine Erinnerung auf dem Gelände der Klinik ist deshalb mehr als überfällig.

Erinnert werden sollte aber auch an die Initiative von jungen Ärzten nach dem Ende der Naziherrschaft, die unter dem Eindruck dieser Verbrechen, weitreichende Verbesserungen in der Behandlung psychisch kranker Menschen auf den Weg gebracht haben.

Der Beginn der Leipziger Sozial- und Gemeindepsychiatrie – mit ersten Reformen in den Kliniken – nahm schon Ende der 1950iger Jahre - durch die kriegsbedingt auf das Dösener Gelände verlegte Universitätspsychiatrie - ihren Anfang. Diese Aktivitäten führten zu deutlichen Verbesserungen in der Behandlung der psychisch kranken Menschen, später auch zum Aufbau ambulanter Versorgungsangebote, der als systematischer gemeindenaher Ansatz auch weit über Leipzig hinaus bekannt geworden ist.

Die Erinnerung soll in Form von einer oder mehreren Gedenkstelen realisiert werden, die je nach Baufortschritt der „Parkstadt Dösen“ auch schrittweise ab dem Jahr 2023 aufgestellt werden können. Zur Umsetzung besteht die grundsätzliche Bereitschaft der Grundstückseigentümerin und Projektentwicklerin, die sich auf der Grundlage des abgeschlossenen Städtebaulichen Vertrages "Parkstadt Dösen" an der Finanzierung der Gedenkstelen beteiligen wird. Die vollständige Finanzierung ist über die Einwerbung von Fördermitteln und Spenden abzusichern.

Die Inhalte des Bebauungsplanes und Belange der Denkmalpflege stehen dem Vorhaben nicht entgegen.

Realisierungs-/Zeithorizont:

Schrittweise ab dem Jahr 2023 mit der Fertigstellung der Parkstadt Dösen.

Verwaltungsstandpunkt vom 1. Oktober 2021

Zustimmung mit Ergänzung:

Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Dösen in Leipzig wird in angemessener, aber deutlich sichtbarer Form an die Geschichte der Nervenheilanstalt unter besonderer Berücksichtigung der NS-Zeit und den Opfern der Kindereuthanasie gedacht werden. Hierzu sollen eine oder mehrere Gedenkstelen errichtet werden, die an die Geschichte der zukünftigen Parkstadt Dösen erinnern. Die vollständige Finanzierung ist über die Einwerbung von Fördermitteln und Spenden abzusichern.

 

Begründung:

Der Geschichte der ehemaligen Nervenheilanstalt Leipzig-Dösen ist auf dem Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt/des ehemaligen Bezirkskrankenhauses/des ehemaligen Parkklinikums Leipzig zu gedenken. Dabei ist sowohl an die Geschichte des Baus der Einrichtung für psychisch kranke Menschen durch die Stadt Leipzig und dem Beginn einer für die damalige Zeit sehr fortschrittlichen und humanen Behandlung, als auch auf die sehr wechselvolle z.T. verbrecherische Geschichte über die verschiedenen politischen Systeme, zu erinnern.

Einer der Schwerpunkte der Geschichte sind dabei die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus, die an hunderten von geistig behinderten und psychisch kranken Menschen auf dem Gelände der ehemaligen Anstalt verübt worden sind. Dabei ist vor allem sowohl an die Ermordung erwachsener psychisch kranker und geistig behinderter Anstaltsinsassen als auch an die systematische Ermordung von behinderten Kindern aus ganz Sachsen zu erinnern.

Die politische und öffentliche Unterstützung für eine angemessene und deutlich sichtbare Form des Gedenkens an die Geschichte der Euthanasieverbrechen auf dem Gelände der ehemaligen Klinik, ist dabei für die Umsetzung des Vorhabens überaus hilfreich. Ergänzt dies doch das Engagement der Stadt Leipzig, das schon seit den 1990iger Jahren diesen historisch einmaligen menschenverachteten Vorgängen gewidmet ist (Gedenkort für die Opfer der Kindereuthanasieverbrechen im Friedenspark, Grabmal für die ermordeten erwachsenen Psychiatriepatienten und behinderten Kindern auf dem Ostfriedhof, Abschnitt Euthanasieverbrechen in der ständigen Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum). Ein weiterer Baustein bereits umgesetzter Erinnerungskultur ist die zukünftige Benennung der Straßen nach Opfern der Euthanasie-Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus in der Parkstadt Dösen (Vorlage: VII-DS-02446, Beschluss Ratsversammlung vom 23.06.2021).

Für in diese Verbrechen einbezogenen zahlreichen Einrichtungen der Stadt – wie Universitätskinderklinik, städtisches Gesundheitsamt, Erbgesundheitsgericht, Zwangsarbeitsanstalt– gibt es mit der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Leipzig Dösen immer einen zentralen Ort, der in all diese Verbrechen einbezogen war. Einer Initiative von behinderten Menschen ist es zu verdanken, dass es seit 2016 eine Stolperschwelle zur Erinnerung an die Euthanasieverbrechen auf der gegenüber liegenden Seite des Klinikgeländes gibt. Eine Erinnerung auf dem Gelände der Klinik ist deshalb mehr als überfällig.

Erinnert werden sollte aber auch an die Initiative von jungen Ärzten nach dem Ende der Naziherrschaft, die unter dem Eindruck dieser Verbrechen, weitreichende Verbesserungen in der Behandlung psychisch kranker Menschen auf den Weg gebracht haben.

Der Beginn der Leipziger Sozial- und Gemeindepsychiatrie – mit ersten Reformen in den Kliniken – nahm schon Ende der 1950iger Jahre - durch die kriegsbedingt auf das Dösener Gelände verlegte Universitätspsychiatrie - ihren Anfang. Diese Aktivitäten führten zu deutlichen Verbesserungen in der Behandlung der psychisch kranken Menschen, später auch zum Aufbau ambulanter Versorgungsangebote, der als systematischer gemeindenaher Ansatz auch weit über Leipzig hinaus bekannt geworden ist.

Die Erinnerung soll in Form von einer oder mehreren Gedenkstelen realisiert werden, die je nach Baufortschritt der „Parkstadt Dösen“ auch schrittweise ab dem Jahr 2023 aufgestellt werden können. Zur Umsetzung besteht die grundsätzliche Bereitschaft der Grundstückseigentümerin und Projektentwicklerin, die sich auf der Grundlage des abgeschlossenen Städtebaulichen Vertrages "Parkstadt Dösen" an der Finanzierung der Gedenkstelen beteiligen wird. Die vollständige Finanzierung ist über die Einwerbung von Fördermitteln und Spenden abzusichern.

Die Inhalte des Bebauungsplanes und Belange der Denkmalpflege stehen dem Vorhaben nicht entgegen.

 

 

Beschluss der Ratsversammlung am 13. Oktober 2021

Der Antrag wurde vom Stadtrat mehrheitlich unter Übernahme des Ergänzungsantrages der SPD-Fraktion wie folgt beschlossen:

Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Dösen in Leipzig soll wird in angemessener, aber deutlich sichtbarer Form an die Geschichte der Nervenheilanstalt unter besonderer Berücksichtigung der NS- Zeit und den Opfern der Kindereuthanasie sowie dem ab 1939 in den früheren Häusern B und D untergebrachten israelitischen Krankenhaus und den von dort in die Konzentrationslager deportierten Mitarbeitern und Patienten gedacht werden. Hierbei ist unter anderem auch die Errichtung einer Tafel, die an die Geschichte erinnert, zu prüfen. Hierzu sollen eine oder mehrere Gedenkstelen errichtet werden, die an die Geschichte der zukünftigen Parkstadt Dösen erinnern. Die vollständige Finanzierung ist über die Einwerbung von Fördermitteln und Spenden abzusichern.

 

Zwischenbericht zum Stand der Umsetzung vom 14.09.2023

Zwischen dem Kulturamt und dem Vorhabenträger wurde vertraglich vereinbart, dass auf dem Gelände der Parkstadt Dösen an vier Orten mit Tafeln an die vielschichtige Geschichte der ehemaligen Nervenheilanstalt erinnert wird. Dabei wird den Opfern der NS- Zeit und damit den Opfern der Kindereuthanasie und den von diesem Ort in die Konzentrationslager deportierten Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern, Patientinnen und Patienten besonders gedacht.

Das Gesundheitsamt wird im Jahr 2023 die Recherchen zur Geschichte des Ortes abschließen. Auf dieser Grundlage können im Jahr 2024 die Texte verfasst und entsprechende Abbildungen für die vier Tafeln zusammengestellt werden.

Die Umsetzung ab dem Jahr 2025 ist abhängig von der Einwerbung von Fördermitteln und Spenden, um die sich das Gesundheitsamt bemüht.

 

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