Antrag: Gedenken an politisch motiviertes Unrecht im Gebäudekomplex Riebeckstraße 63 (Neufassung)

Antrag vom 26. Januar 2018 (Neufassung vom 11. Mai 2018)

Beschlussvorschlag:

Die Stadtverwaltung wird beauftragt im Zuge der Umbauten in der Riebeckstraße 63, in geeigneter Form dauerhaft auf die schreckliche Geschichte des Gebäudekomplexes zum Beispiel als städtische Arbeitsanstalt im Nationalsozialismus und als venerologische Station zu DDR-Zeiten aufmerksam zu machen.

Recherche und Ausarbeitung einer Gedenkform sollen in Zusammenarbeit mit dem sächsischen Psychiatriemuseum, welches bereits in der Vergangenheit zu der Geschichte des Hauses geforscht hat, und der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig stattfinden.

Für die Finanzierung des Vorhabens sind Anträge an relevante Stiftungen zu stellen bzw. Spendenmittel einzuwerben.

Begründung:

Der Gebäudekomplex in der Riebeckstraße 63 diente in der Vergangenheit nicht immer nur positiven Zwecken. Als sogenannte städtische Arbeitsanstalt diente die Einrichtung im Nationalsozialismus der Demütigung, Inhaftierung und Auslieferung von Menschen. Opfer der Nationalsozialisten, die als „Kriminelle, Asoziale, renitente Arbeiter, psychisch Kranke...“ eingestuft wurden, wurden in die Arbeitsanstalt eingewiesen. Viele von ihnen wurden von dort aus nach Sachsenhausen, Auschwitz und in andere Vernichtungslager deportiert. Die Einweisung in die Riebeckstraße war für sie der erste Schritt in den sicheren Tod, ihre letzte (unfreiwillige Adresse) in Leipzig.

Auch zu DDR-Zeiten diente das Haus zur Ausgrenzung und Demütigung von Menschen. Als venerologische Station getarnt, wurden hier Frauen, unter dem Vorwand sie hätten eine Geschlechtskrankheit, festgehalten, gequält und für Versuche genutzt.

Die Geschichte des Hauses ist geprägt von Ausgrenzung, Diskriminierung und Qual.
Mit der Umwandlung zum Kindergarten wird das Haus mit neuem Leben erfüllt. Doch sollte die Vergangenheit nicht gänzlich vergessen werden und den Opfern des Hauses ein würdiges Gedenken gegeben werden. Eine Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Psychiatriemuseum, welches bereits umfangreiche Recherchen zur Geschichte des Hauses gemacht hat, wäre hierbei von Vorteil, auch wäre die Zusammenarbeit mit einer der umliegenden Schulen denkbar, um ein nachhaltiges und sinnvolles Gedenken zu schaffen.

Verwaltungsstandpunkt vom 22. März 2018

Die Verwaltung empfiehlt Zustimmung zum Antrag mit Ergänzung:

Beschlussvorschlag:

Die Stadtverwaltung wird beauftragt im Zuge der Umbauten in der Riebeckstraße 63, in geeigneter Form dauerhaft auf die schreckliche Geschichte des Gebäudekomplexes zum Beispiel als städtische Arbeitsanstalt im Nationalsozialismus und als venerologische Station zu DDR-Zeiten aufmerksam zu machen.

Recherche und Ausarbeitung einer Gedenkform sollen in Zusammenarbeit mit dem sächsischen Psychiatriemuseum, welches bereits in der Vergangenheit zu der Geschichte des Hauses geforscht hat, und der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig stattfinden.

Für die Finanzierung des Vorhabens sind Anträge an relevante Stiftungen zu stellen bzw. Spendenmittel einzuwerben.

Begründung:

Es handelt sich bei dem Gebäudekomplex um ein bauliches Ensemble des ehemaligen städtischen Arbeitshauses, mit einer bis in die unmittelbare Vergangenheit reichenden Geschichte der Ausübung institutioneller Gewalt gegenüber verschiedenen marginalisierten Bevölkerungsgruppen.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier zahlreiche Verbrechen an Juden, Sinti und Roma, psychisch kranken und geistig behinderten Menschen, Zwangsarbeitern und politisch Verfolgten begangen. In dieser Zeit war die Einrichtung u.a. Polizei-Ersatzgefängnis, seit 1935 auch Unterbringungsstätte für politische Schutzhäftlinge, Gefängnis und Durchgangsanstalt für ausländische Zwangsarbeiter, Zwangsarbeitsort für Leipziger Juden, sowie 1943 ebenfalls Internierungsort/Sammelstelle für Juden und Sinti und Roma. Ab 1937 waren ehemalige Psychiatriepatienten der Heil- und Pflegeanstalt Dösen in die Einrichtung verlegt worden, die 1940/41 im Rahmen der T4-Mordaktion von hier aus über Zwischenanstalten in die Tötungsanstalt verbracht und ermordet worden sind.

Nach Ende des Krieges setze sich der repressive Charakter der Einrichtung fort, indem der Gebäudekomplex als Fürsorgeheim Thonberg zur Zwangsbehandlung von und als Arbeits-anstalt für die zwangsweise Unterbringung „asozialer Elemente“ weiter genutzt wurde.

Seit Mitte der 70er Jahre wurde eine Außen-Abteilung des Bezirkskrankenhauses Leipzig-Dösen eingerichtet, in der bis zu 120 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen – zum Teil auch geschlossen – untergebracht waren.

1990 wurde die venerologische Station geschlossen und alle Häuser als Wohnheim für psychisch Kranke und/oder geistig behinderte Menschen genutzt. Das Wohnprojekt Riebeckstraße wurde 1999 in den Städtischen Eigenbetrieb Behindertenhilfe überführt und nach Eröffnung kleinerer Nachfolgeeinrichtungen im Jahr 2012 als Unterbringungsort für behinderte Menschen geschlossen. Es erfolgte der Umbau zur Unterkunft für Geflüchtete. Haus 3 wurde zur stationären Einrichtung der Jugendhilfe umgebaut und 2016 in Betrieb genommen. In 2018 wird der Umbau von Haus 2 zur integrativen Kindertagesstätte für 198 Kinder vorgenommen.

Mit der Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen Arbeitsanstalt und der Schaffung eines Gedenkens an die Opfer soll die Öffentlichkeit über die Ausgrenzung, Diskriminierung und Verbrechen dieses Ortes informiert und Opfern dieser Gewalt ein öffentliches Gedenken ermöglicht werden. Hierzu sind alle vorhandenen historischen Arbeiten in eine Gesamtüber-sicht zusammenzufassen und ggf. durch gezielte Recherchen zu ergänzen. Initiativen und Einrichtungen wie die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig und das Sächsische Psychiatriemuseum werden daran beteiligt.

Beschluss der Ratsversammlung am 16. Mai 2018

Der Antrag wurde vom Stadtrat bei einer Gegenstimme beschlossen.


Zwischenbericht der Verwaltung zur Beschlussumsetzung vom 30. November 2018:

in Arbeit

Seit Juni  2018 sind für die Vorbereitung eines Gedenkens zum Gebäudekomplex Riebeckstraße die Gedenkstätte für Zwangsarbeiter Leipzig, das Sächsische Psychiatriemuseum und der Verein Romano Sumnal e.V. - sowohl in Vor-Ort-Terminen als auch in Arbeitsbesprechungen zum Thema - einbezogen worden. Die zugängliche Literatur zu den Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus in der Riebeckstraße (Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, Juden, psychisch kranke und geistige behinderten Menschen, politischen Häftlingen) und zur Zwangsunterbringung von Frauen in der Zeit der DDR ( Venerologie) wurde zusammengetragen und bewertet. Für die Vorbereitung einer Dokumentation – als Grundlage einer Aufgabenbeschreibung für ein zukünftiges Gedenken an den Gebäudekomplex und für die Vorbereitung einer umfassenden Dokumentation - ist für den 15. und 16. März 2018 ein Symposium zur Aufarbeitung und Gedenken der Geschichte der ehemaligen Arbeitsanstalt Riebeckstraße 63 geplant.

2019 wird es auf dieser Grundlage ein künstlerisches Auswahlverfahren geben, um ein Gedenken am Ort vorzubereiten. Stiftungen und potentielle Kostenträger wurden für die Schaffung eines Gedenkens angesprochen. Darüber hinaus liegen weitere Konzepte für die Umsetzung eines Gedenkens in Form der alternativen Nutzung der vorhandenen Häuser vor. Der Städtischen Eigenbetrieb Behindertenhilfe – als Träger des Gebäudekomplexes- ist in die Erarbeitung einer Gedenkkonzeption einbezogen und hat von sich aus alle Vor-Ort-Aktivitäten unterstützt.

Für das öffentliche Gedenken der Stadt Leipzig am 27. Januar 2019 ist durch die Kinder- und JugendKulturWerkstatt JOJO unter Einbeziehung von Schülern des Humboldt Gymnasiums eine erste künstlerische Aufarbeitung zum Thema Euthanasieverbrechen in der Riebeckstraße 63 in der Zeit des Nationalsozialismus vorbereitet, die an diesem Tag im Rahmen der Ausstellungeröffnung der Euthanasie-Ausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gezeigt wird.

Zwischenbericht der Verwaltung zur Beschlussumsetzung vom 31. Mai 2019:

An der Umsetzung eines Gedenkens arbeitet seit 2018 unter Federführung des Gesundheitsamtes eine Arbeitsgruppe, in dem die im Ratsbeschluss festgehaltenen Bereiche Sächsisches Psychiatriemuseum, Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, darüber hinaus der Verein Romano Sumnal e.V. und der Städtische Eigenbetrieb Behindertenhilfe einbezogen sind.

Ein erstes Ziel dieser Gruppe war, möglichst schnell die öffentliche Wahrnehmung des Ortes und seiner widersprüchlichen Geschichte zu verbessern. So wurde im Herbst 2018 ein Projekt der Kinder- und JugendKulturWerkstatt JOJO unterstützt, bei dem Jugendliche des Humboldtgymnasiums die Geschichte von Opfern der Euthanasieaktion aus der Riebeckstraße 63 mit künstlerischen Mitteln aufarbeiten konnten. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde am 27. Januar 2019 im Rahmen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus – das Video „R 63“-  der Öffentlichkeit im Neuen Rathaus präsentiert. In diesem Film wurde das Schicksal einer Insassin der ehemaligen Arbeitsanstalt in der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet, die im Rahmen des Euthanasiemordprogramms in Pirna Sonnenstein ermordet worden ist.

Für die Vorbereitung eines Gedenkens, wurden weiterhin die bisher zu den verschiedenen Opfergruppen vorhanden Materialien gesammelt und ergänzt, sowie erste Gestaltungsvorschläge geprüft und bewertet. Dabei wurde deutlich, dass die Umsetzung der Aufgabe, bedingt durch die Dimension der am Ort verübten Verbrechen, dem Fakt, dass es sich bisher um den einzigen Ort Leipzigs handelt, in dem alle Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus verübt wurden, mit einer am Ort angebrachten Gedenktafel nicht genüge getan wird. Vielmehr sollte – nach den bisher vorliegenden Ideen - der gesamte Gebäudekomplex stärker in ein Gedenken einbezogen sein und nach Möglichkeit im Gelände ein langfristig zu entwickelnder Gedenk- und Studienort eingerichtet werden.

Ein weiteres Ziel war, eine breitere Unterstützung des Vorhabens durch stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit und die Gewinnung von weiteren Interessenten für das Vorhaben und zugleich die Einbeziehung von externen Experten, die sich auf jeweils spezialisiertem Gebiet mit der Geschichte der ehemaligen städtischen Arbeitsanstalt beschäftigen, möglich zu machen.

Für die Umsetzung dieser Ziele wurde im März 2019 ein wissenschaftliches Symposium mit dem Titel: „Verfolgung – Ausgrenzung – Verwahrung. Die ehemalige städtische Arbeitsanstalt von 1892 bis heute“ durchgeführt. Die dort vorgestellten Beiträge beleuchteten alle Aspekte der Nutzungsgeschichte der ehemaligen Arbeitsanstalt und zeigten zugleich Leerstellen der Forschung auf. Ein Bericht der Tagung kann unter https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/gesundheit/psychiatrische-und-psychosoziale-hilfe/veranstaltungen-zur-aufarbeitung-der-geschichte/ nachgelesen werden. Die im Symposium vorgetragenen wissenschaftlichen Ergebnisse sollen in einer Dokumentation veröffentlicht werden. Diese Dokumentation wird gerade bearbeitet und soll Ende 2019 erscheinen.

Als Rahmenprogramm des Symposiums im März wurde in einem der Häuser eine zeitweilige Ausstellung eingerichtet und für die Öffentlichkeit historische Führungen angeboten. Alle drei Angebote – Symposium, Ausstellung und historische Führung - sind auf gute öffentliche Resonanz gestoßen. Zahlreiche Bürger der Umgegend, ehemalige Bewohner, Vertreter weiterer Institutionen und Vereine, Kirchen und Bürgervereine und Vertreter der aktuell auf dem Gelände befindlichen Einrichtungen haben die Angebote genutzt, um dessen Geschichte kennenzulernen bzw. ihre eigenen Erfahrungen einzubringen. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde ein Initiativkreis gegründet, der sich künftig für ein Gedenken und Lernen am historischen Ort der Arbeitsanstalt einsetzen wird.  Für Juli 2019 ist ein weiteres Treffen dieser Initiativgruppe geplant, bei dem zum aktuellen Diskussions- und Planungsstand zur Nutzung der Gebäude in der Riebeckstraße 63 informiert wird und zugleich einen Ideenaustausch angeregt werden soll, wie aus dem Geschichtsort ein Ort lebendiger Erinnerung werden kann.

Bericht zum Stand der Umsetzung vom 31.05.21

in Arbeit

 

An der Umsetzung eines Gedenkens arbeitet seit 2018 unter Federführung des Gesundheitsamtes eine Arbeitsgruppe, in dem die im Ratsbeschluss festgehaltenen Bereiche Sächsisches Psychiatriemuseum, Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, darüber hinaus der Verein Romano Sumnal e.V. und der Städtische Eigenbetrieb Behindertenhilfe einbezogen sind.

Seit März 2019 hat sich dieser Arbeitsgruppe um weitere Mitglieder - unter anderem Pantechaion Herberge e.V. - zu einem Initiativkreis erweitert, der sich die Schaffung eines Gedenk-, Lern- und Begegnungsortes in der Riebeckstraße 63 zum Ziel gesetzt hat. Eine Vereinsgründung ist aus dieser Gruppe heraus vorbereitet und soll 2021 erfolgen. Der Verein könnte dann zukünftig Träger der Erinnerungsarbeit und aller damit in Zusammenhang stehenden Fragen sein.

In dieser Initiative wurden Recherchen in Archiven durchgeführt, deren umfangreicher Inhalt in historischen Rundgänge in der Riebeckstraße 63 eingeflossen sind und auch als Tondokument (Podcast) zur Verfügung steht. Im April 2021 wurde von Mitgliedern des Initiativkreises ein Symposium mit dem Thema "Von der Initiative zum aktiven Erinnerungsort" durchgeführt - bei dem Expert*innen aus Erinnerungsorten anderer Städte (Aktives Museum - Faschismus und Widerstand Berlin, Erinnerungsort Topf & Söhne Erfurt, Friedrichshain-Kreuzberg Museum Berlin) ihre Erfahrungen der Umsetzung von historischem Gedenken in Leipzig einbringen konnten. Das Symposium hatte eine stadtweite positive Resonanz und gute Beteiligung. Ergebnisse dieses Treffens sollen in die konzeptionelle Arbeit der Initiative - z. B. die Einbeziehung der Nachbarschaft/partizipative Ideen - einfließen.

Für die räumliche Nutzung eines Gedenk-, Lern- und Begegnungsortes wird durch den Städtischen Eigenbetrieb Behindertenhilfe ein Raum im Pförtnerhaus umgebaut, der ab Sommer 2021 zur Nutzung bereitstehen wird. Die Initiative ist inzwischen öffentlich am Ort dargestellt und hat ihre Postadresse am Ort Riebeckstraße 63.

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