Antrag: Genehmigungskriterien für Gebiete mit Satzungen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung
Antrag vom 28. Mai 2020
Beschlussvorschlag:
Betrifft: Anlage 1 der Vorlage VII-DS-08248
Beschreibung des Standards für Gebiete in der Stadt Leipzig mit „Sozialer Erhaltungssatzung“ zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung nach § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Baugesetzbuches
Die Regelung Nummer 3.3., Punkt 2 wird wie folgt gefasst:
„Nutzungsänderung von leerstehendem Wohnraum in Erdgeschosslage in Gewerbe sowie einzelnem Wohnraum in kulturelle oder soziale Nutzung, wenn damit die Stadtteilentwicklung gemäß städtischer Ziele oder die Wiederbelebung in Magistralen erfolgen kann“
Begründung:
Die von der Stadtverwaltung vorgeschlagene Regelung der ‚Leipziger Standards“ sieht vor, dass im Einzelfall eine Umwandlung von Wohnraum in gewerbliche Nutzungen in Erdgeschosslage zulässig ist, wenn damit positive Impulse für die Entwicklung von Stadtteilen bzw. Magistralen erfolgen kann. Die erfolgreiche Leipziger Stadterneuerungspolitik hat in den letzten Jahrzehnten jedoch nicht nur auf die positiven Effekte gewerblicher, sondern ebenso kultureller und sozialer Nutzungen gesetzt. Insbesondere im Leipziger Osten und Westen hat sich – oft aus leerstehendem Wohnraum heraus - eine lebendige Szene von Hausprojekten, Soziokultur und alternativen Projekten an der Schnittstelle von Kultur, Sozialem und Gewerbe entwickelt. Diese Projekte sind durch die Immobilienmarktentwicklung und die Umwandlung von zwischengenutzten Flächen zu teilweise hochpreisigem Wohnraum akut gefährdet. Um die Existenz und Weiterentwicklung dieser Projekte zu ermöglichen, sollte es im Einzelfall möglich sein, auch weiterhin einzelnen Wohnraum für kulturelle oder soziale Nutzungen umzuwandeln. Entscheidendes Kriterium sollte dabei der positive Effekt für die jeweilige Stadtteil- und Magistralenentwicklung sein.
Verwaltungsstandpunkt vom 21. Juli 2020
Der Sachverhalt ist bereits berücksichtigt, da Nutzungsänderungen nach § 172 BauGB generell einer Einzelfallprüfung unterliegen
Strategische Ziele
Der Auftrag zur Umsetzung von Sozialen Erhaltungssatzungen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB leitet sich aus dem Wohnungspolitischen Konzept (WoPoKo) der Stadt Leipzig von 2015 ab (Beschluss der Ratsversammlung Nr. VI-DS-1475-NF-002 vom 28.10.2015, Seite 23). Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept Leipzig 2030 (INSEK) (VI-DS-04159-NF-01, Beschluss vom 31.05.2018) greift im Fachkonzept Wohnen diesen Auftrag auf.
Die Umsetzung von Sozialen Erhaltungssatzungen ist ein Baustein zur Umsetzung des INSEK-Ziels „Leipzig schafft soziale Stabilität“ mit dem Handlungsschwerpunkt „Bezahlbares Wohnen“. In Quartieren mit nachgewiesener besonderer Nachfragedynamik und einem hohen Aufwertungspotenzial des Gebäudebestandes sowie Aufwertungsdruck als auch einem nachgewiesenen Verdrängungspotenzial der im Gebiet ansässigen Bevölkerung soll mit dem Einsatz dieses Instruments die Zusammensetzung der Bevölkerung und damit der Zusammenhang von Wohnraum, Einwohner/-innen und (öffentlicher) Infrastruktur erhalten bleiben.
Begründung
Die Ergänzung der Anlage 1 zur Vorlage VI-DS-08248 im Punkt 3.3, 2. Spiegelstrich ist entbehrlich und insofern bereits berücksichtigt, da Nutzungsänderungen nach §172 BauGB generell einer Einzelfallprüfung unterliegen. Darüber hinaus stünde auch hier dem Stadtrat kein Entscheidungsrecht zu, wie ein nach BauGB gegebenes Prüfverfahren durchzuführen ist. Das trifft auch für den ÄA-02 zu diesem Antrag zu.
Begründung der Rechtswidrigkeit:
Der Beschluss von Genehmigungskriterien für Gebiete mit einer Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB wurde seitens des Oberbürgermeisters unter der Vorlagennummer VI-DS-08248 in der Dienstberatung am 05.05.2020 gefasst. Die rechtliche Prüfung hat ergeben, dass für den benannten Beschluss eine eigene Zuständigkeit des Oberbürgermeisters im Rahmen der Geschäfte der laufenden Verwaltung gemäß § 53 Abs. 2 S. 1 Var. 1 SächsGemO besteht. Eine Beschlusszuständigkeit der Ratsversammlung besteht dann nicht.
Gemäß § 28 Abs. 1, 2 Nr. 4 SächsGemO entscheidet die Ratsversammlung über den Erlass der Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB. Der Katalog der Genehmigungskriterien wird jedoch nicht als Regelungsteil der Erhaltungssatzungen sondern als interne Verwaltungsvorschrift zur Berücksichtigung im Rahmen der Genehmigungs- bzw. Versagungsentscheidungen nach §§ 173, 172 Abs. 4 BauGB gefasst. Dies dient der Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis, ersetzt jedoch nicht die Prüfung im Einzelfall und stellt insbesondere keine Vorweggenehmigung für bestimmte Vorhaben dar.
Für die zum Vollzug der Satzung erforderliche erhaltungsrechtliche Genehmigungsentscheidung im einzelnen Verwaltungsverfahren ist der Oberbürgermeister gemäß § 53 Abs. 2 S. 1 Var. 1 SächsGemO im Rahmen der Geschäfte der laufenden Verwaltung zuständig (Vinke/ Rehak, in: Quecke/Schmid/u.a., SächsGemO, § 53 Rn. 44).
Bei der erhaltungsrechtlichen Genehmigungsentscheidung nach §§ 173, 172 Abs. 4 BauGB handelt es sich in der Regel nicht um eine Ermessensentscheidung sondern um eine gebundene Entscheidung. Daher ist, soweit die Voraussetzungen der Versagung nach § 172 Abs. 4 S. 1 BauGB oder des Genehmigungsanspruchs nach § 172 Abs. 4 S. 2, 3 BauGB vorliegen, die entsprechende Entscheidung zu erteilen. Die Auslegung der in diesen Vorschriften enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe ist vollständig verwaltungsgerichtlich überprüfbar (ausdrücklich Seifert/Ferner, in: Kröninger/Aschke/Jeromin, BauGB, § 172 Rn. 19 ff.). Die nach § 172 Abs. 4 S. 1 BauGB erforderliche Prognoseentscheidung bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Vorhabens entspricht dabei der Sache nach denselben Anforderungen wie bei Erlass der Satzung jedoch bezogen auf das konkrete Einzelvorhaben (hierzu ausführlich Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 172 Rn. 175
ff.). Sie kann verwaltungsgerichtlich dahingehend kontrolliert werden, ob die der Prognose zugrunde gelegten Maßstäbe methodisch fachgerecht erstellt wurden und ihnen keine willkürlichen Annahmen oder offensichtliche Unwahrscheinlichkeiten zugrunde gelegt wurden (BVerwG, Urteil vom 18.06.1997 - 4 C 2/97). Eine Ermessensentscheidung kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich für atypische Einzelfälle in Betracht (z.B. BVerwG, Urteil vom 18.06.1997 - 4 C 2/97).
Der vorgesehene Kriterienkatalog trifft keine ermessensleitenden Vorgaben für atypische Einzelfälle. Er enthält durch die Festlegung eines "Leipziger Standards" wohl vielmehr Auslegungshinweise zu dem unbestimmten Rechtsbegriff des "zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen" gemäß § 172 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 BauGB und gibt Anhaltspunkte für die nach § 172 Abs. 4 S. 1 BauGB erforderliche Prognoseentscheidung. Die Ableitung der Kriterien erfolgte laut Vorlage durch eine fachliche Begutachtung der Wohnstandards in den Satzungsgebieten unter Auswertung der aufgeführten Ermittlungsgrundlagen.
Ein inhaltlicher Gestaltungsspielraum der Gemeinde für diese Entscheidungen besteht daher nicht. Die Grundsätze nach denen der Beschluss ermessensleitender oder ermessensbindender Verwaltungsvorschriften nicht als Geschäfte der laufenden Verwaltung zu betrachten ist und ein Gemeinderatsbeschluss für die Ausübung eines weitreichenden gemeindlichen Gestaltungsermessens erforderlich ist (dazu Vinke/ Rehak, in: Quecke/Schmid/u.a., SächsGemO, § 53 Rn. 45), sind daher vorliegend nicht anzuwenden.
Bei dem Kriterienkatalog handelt es sich eher um eine Zusammenfassung der im Rahmen der fachlichen Begutachtung ermittelten Fachinhalte zur Anwendung der benannten unbestimmten Rechtsbegriffe, die im Rahmen des Vollzuges der Erhaltungssatzungen für die Einzelfallentscheidungen anzuwenden sind. Ihre Vorgabe ist daher Teil der Zuständigkeit des Oberbürgermeisters für den Vollzug der Satzung und die Entscheidung im Einzelfall im Rahmen der Geschäfte der laufenden Verwaltung.
Realisierungs- / Zeithorizont
Zur Umsetzung der Genehmigungspraxis erfolgt halbjährlich ein Sachstandsbericht an den Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau.