Antrag: Kindertagesstätten zukunftsgerecht bauen

Antrag vom 10. Januar 2023

  1. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die Vorgaben zu baulichen Standards für Kindertagesstätten der Stadt Leipzig bis zum IV. Quartal 2023 zu überarbeiten und den Entwicklungen anzupassen. Ziel sollte dabei auch sein, diese Vorgaben auf wesentliche Prämissen zu beschränken, um neben einer nachhaltigen Bauweise wieder mehr Baukultur und architektonische Freiheit sowie mehr Wettbewerb zu ermöglichen.
  2. Losgelöst davon wird die in den aktuell geltenden Vorgaben getroffene Regelung zur Gewährleistung einer ausreichenden Luftqualität in den Aufenthaltsräumen (Zielwert: 1.000 ppm CO2), wonach vorzugsweise eine natürliche Lüftung anzustreben ist, statt eine Lüftungsanlage nach DIN 13779 zu planen, mit sofortiger Wirkung ausgesetzt.

Begründung:

Zu 1.)

Die Vorgaben zu baulichen Standards für Kindertagesstätten der Stadt Leipzig gelten seit September 2017. Seitdem wurden nicht nur die Strom- und Wärmeerzeugungsanlagen weiterentwickelt, auch Rohstoffe, deren Preise und ihre Zugänglichkeit bzw. Verfügbarkeit ist spätestens seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Fokus. Ebenso wurden gesamtstädtische Ziele wie etwa zur Flächenversiegelung, zu Klimawandelanpassungsstrategien aber auch zur Größe von Kindertagesstätten und die Öffnung solcher sozialen Räume in die Quartiere diskutiert und auf den Weg gebracht. Dem allen müssen auch die Vorgaben zu baulichen Standards folgen, eine Überarbeitung und Fortschreibung ist hierzu notwendig, auch wenn es mittlerweile immer mehr lobenswerte Beispiele neuer Kindertagesstätten gibt, die sich im Bau befinden und die Themen wie Nutzungsmischung (Kombination mit Familienzentren, HzE, Verwaltungsunterbringung etc.), Mehrgeschossigkeit und flächensparendes Bauen, Holzbauweise, Kombination aus Grün- und PV-Dach vorbildhaft berücksichtigen.

Zu 2.)

Zum anderen finden sich in den bislang gültigen Standards aber auch Regelungen, die schlichtweg absurd sind, weil sie der Praxis nicht standhalten. Bestes Beispiel dafür sind die Regelungen zur Gewährleistung einer ausreichenden Luftqualität in den Aufenthaltsräumen. Hierfür bedient man sich bislang der Arbeitsstättenverordnung, wonach ein Zielwert von 1.000 ppm CO2 festgeschrieben ist. Grundsätzlich ist dies in Ordnung, wäre da nicht einerseits die Vorgabe, dass „vorzugsweise eine natürliche Lüftung anzustreben“ sei, welche andererseits sowohl durch Vorgaben zur Fenstergröße bei kontinuierlicher Lüftung als auch bei Stoßlüftung einzuhalten ist. Dies ist schon deswegen absurd, weil die Arbeitsstättenverordnung für Büroräume Anwendung findet, in denen sich gewöhnlich nur wenige Menschen, meist 2, dauerhaft aufhalten. In Kitaräumen hingegen sind gewöhnlich 14 Kinder und zwei Erzieher*innen, also am Beispiel achtmal so viele Menschen. Zudem gibt die Arbeitsstättenverordnung vor, lediglich eine der beiden Lüftungsvorgaben (kontinuierliche vs. Stoßlüftung) einhalten zu müssen. Im Gegensatz dazu fordert das Leipziger Gesundheitsamt seit Jahren die Einhaltung beider baulicher Vorgaben. Dies führt in der Praxis dazu, dass Kindertagesstätten aktuell mit vollkommen überdimensionierten und teuren Verglasungen gebaut werden, welche zur Einhaltung der Zielwerte dann aber auch mindestens kontinuierlich, also dauerhaft angekippt, geöffnet sein müssten, sofern man nicht einmal pro Stunde eine mehrminütige Stoßlüftung durchführt. Letzteres ist schlichtweg schon aufgrund der riesigen Fenster und der dadurch bestehenden Lasten sowie der bei geöffneten Flügeln bestehenden Verletzungsgefahr (hier Regelung zu Fensterflügeln: „Öffenbare Flügel und deren Beschläge dürfen nicht in den Spiel- und Bewegungsbereich hineinragen.“) ausgeschlossen. Da auch eine kontinuierliche Lüftung nicht stattfindet, da dies allein schon (mindestens im Herbst und Winter) energetisch vollkommen widersinnig wäre, wird also trotz der aufwendigen baulichen Voraussetzungen eine Einhaltung der Zielwerte zur Gewährleistung einer ausreichenden Luftqualität in den Aufenthaltsräumen weder nachgehalten noch erreicht. Sie findet lediglich auf dem Papier statt.

Vernünftigerweise sollte man daher Abstand von der Utopie nehmen, dass mit den Vorgaben über die Arbeitsstättenverordnung und mit dem Vorrang einer natürlichen Lüftung eine ausreichende Luftqualität in den Aufenthaltsräumen einer Kindertagesstätte erreicht werden kann. Dies führt nur zu einer sinnlosen Verteuerung der Kitabauten durch den weit über das notwenige Maß hinausgehenden Einbau großer Fensterfronten. Viel sinnvoller wäre es stattdessen, Lüftungsanlagen zum Standard zu erklären, da diese tatsächlich zu einer Luftqualität beitragen, die für Kinder und Fachpersonal wichtig ist und durch parallele energetische Zielvorgaben auch trotz eines erhöhten Energieverbrauches in der Gesamtenergiebilanz darstellbar sind.

Grundsätzlich muss hinterfragt werden, wie viele Vorgaben man für die bauliche Umsetzung macht. Bereits heute gelten für die Stadt Leipzig so viele Vorgaben, dass einige Firmen davon Abstand nehmen, kommunale Bauvorhaben umzusetzen. Auch Architekten und Planungsbüros sind durch die hunderte Seiten langen Vorgaben unterschiedlicher Art derart eingeschränkt, dass ernsthaft überlegt werden muss, diesen hohen Regelungsgehalt abzubauen und auf das tatsächlich notwendige Maß zu beschränken. Auch die damalige Diskussion um die „Leipzig-Kitas“ führte zum Ergebnis, dass die Mehrheit der Leipzigerinnen und Leipziger keine Einheits-Kita und ebenfalls keine Baukastenschule haben möchte. Weniger Regelungsgehalt führt letztlich auch zu mehr Innovationskraft, zu mehr Offenheit und mehr Baukultur. Insofern sollte bei einer Weiterentwicklung der baulichen Vorgaben auf die grundsätzlichen Fragestellungen wie platzsparendes, nachhaltiges und energetisch sinnvolles Bauen geachtet, andere konkrete Umsetzungsmöglichkeiten hingegen offen gestaltet werden. Die Regelungen zur Luftqualität zeigen schließlich eindrücklich, dass eine zu konkrete Regelung nicht nur überflüssig, sondern auch kontraproduktiv sein kann.

Verwaltungsstandpunkt:

Alternativvorschlag:

Im Zuge der Überarbeitung der baulichen Standards von Kindertagesstätten wird die Problematik der Lüftung neu betrachtet und formuliert.

 

Der Antrag beinhaltet Vorschläge, die sich bereits im Erarbeitungs- oder Umsetzungsprozess befinden. Mit der Überarbeitung der baulichen Standards für Kindertagesstätten der Stadt Leipzig wurde bereits im Januar 2023 begonnen. Die Beschlussvorschläge des Antrages werden grundsätzlich unterstützt.

Die baulichen Standards für Kindertagesstätten der Stadt Leipzig befinden sich zum Zeitpunkt des Antrags bereits in Überarbeitung, dem Maß der jeweiligen Vorgaben wird sachbezogen und mit Augenmaß Rechnung getragen. Ziel ist ein für Planer eindeutig formulierter Planungsgrundsatz, der bei Einhaltung aller notwendigen gesetzlichen Vorgaben Raum für innovative Gestaltung lässt.

Eine Fertigstellung wird 2024 angestrebt.

Alternativ zum Beschlussvorschlag des Antrages, die Regelung zur Gewährleistung einer ausreichenden Luftqualität in den Aufenthaltsräumen durch vorzugsweise natürliche Belüftung mit sofortiger Wirkung auszusetzen, wird vorgeschlagen, die Lüftungsproblematik im Zuge der Überarbeitung der Standards mit allen fachlich Beteiligten neu zu bewerten.

Eine Lösung zugunsten des sinnvollen Einsatzes natürlicher sowie mechanischer Lüftung wird angestrebt.

Zum Beschlussvorschlag 1 – Überarbeitung der Kita-Baustandards:

Mit der Überarbeitung der baulichen Standards für Kindertagesstätten und den dazu notwendigen ämter- und dezernatsübergreifenden Abstimmungen wurde begonnen. Es ist vorgesehen, die Kitastandards formal an die jüngst überarbeiteten Schulbaustandards anzugleichen, was in der bisherigen Struktur und dem thematischen Aufbau zu Verschiebungen führen wird, die alle inhaltlich sorgfältig und gründlich durchdacht, teilweise neu erarbeitet werden und dezernatsübergreifend mit einer Vielzahl beteiligter Ämter abgestimmt werden müssen. Selbstverständlich erhalten alle Belange der Nachhaltigkeit ihre angemessene Priorität.

Es ist nicht realistisch, diesen Prozess bis zum IV. Quartal 2023 zu beenden, angestrebt wird eine Fertigstellung der Standards in 2024.

Zum Beschlussvorschlag 2 – natürliche und mechanische Lüftung von Kitas:

Neben vielen anderen gesetzlichen Vorschriften sind auch die Anforderungen des Arbeitsstättenrechts in den Kitas einzuhalten. Darin wird ein Lüftungsnachweis für die Stoßlüftung sowie für die kontinuierliche Lüftung gefordert. Gegenwärtig erteilt das dafür zuständige Amt seine Zustimmung nur dann, wenn die kontinuierliche Lüftung über die Fensterlüftung nachgewiesen wird. Technische Lösungen wie bspw. durch eine Lüftungsanlage wurden bisher nicht anerkannt.

Da die Betriebserlaubnis für eine Kindertagesstätte nur dann erteilt wird, wenn alle anderen behördlichen Genehmigungen vorliegen und sämtliche Auflagen erfüllt sind, kann der Beschlusspunkt 2 nur umgesetzt werden, wenn der Lüftungsnachweis vom zuständigen Amt anerkannt wird.

In Anbetracht der hohen Energieverluste bei kontinuierlicher Lüftung über (gekippte) Fenster als natürliche Lüftung wird im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Kita-Baustandards auch eine Neubewertung der kontinuierlichen Lüftung mit Hilfe technischer Anlagen angestrebt.

Aufgrund der steigenden Anforderungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Gebäudeenergieeffizienz und der Klimaschutzziele wird voraussichtlich ab 2025 der Effizienzhaus 40 Standard für Neubauten über das GEG gefordert. Dem trägt die Stadt Leipzig mit ihrer aktuell im Beschlussverfahren befindlichen Neufassung der Energieleitlinie Rechnung. Daraus resultiert hinsichtlich der mechanischen Raumbelüftung ein Zielkonflikt, da diese regelmäßig zur Erreichung des Effizienzstandards EH 40 notwendig ist.

Des Weiteren wird durch begrenzte Standortverfügbarkeit das Thema mechanische Lüftung auch aus Lärmschutzgründen relevant.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die baulichen Standards der Stadt Leipzig als Vertragsbestandteil mit den Planenden diesen eine sehr gute Arbeitsgrundlage bieten und keinesfalls zu „Einheits-Kitas“ führen, da die jeweilige Architektur immer mit konkreter Aufgabenstellung am expliziten Ort entsteht.

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