Antrag: Schrittweise Einführung eines 365-Euro-Tickets
Gemeinsamer Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD vom 22. März 2022
Beschlussvorschlag
- Der Oberbürgermeister wird beauftragt, ein 365-Euro-Jahresticket für alle Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres einzuführen. Dafür wird das personengebundene Jahres-Abo (Abo light) auf 365 Euro pro Jahr für diese Personengruppe abgesenkt. Die Einführung dieses 365-Euro-Jahrestickets soll mit dem Fahrplanwechsel am 1. August 2022 erfolgen.
- Dazu prüft der Oberbürgermeister die Sicherstellung der notwendigen Finanzierung auch vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise im Jahr 2022, die Auswirkungen auf die L-Gruppe haben kann, und legt dieses Prüfergebnis bis zum 30.05.2022 dem Stadtrat zur weiteren Entscheidung über den Einführungszeitpunkt vor.
- Eine Fortführung dieses Projekts wird für die Jahre 2023 und 2024 angestrebt und entsprechende Mittel im Haushalt eingeplant. Dabei sind die Entwicklungen am Energiemarkt zu berücksichtigen.
- Im Jahr 2024 wird die Neuregelung dahingehend evaluiert, wie das Angebot angenommen wurde und wie eine Weiterfinanzierung – auch mit Hilfe von Förderprogrammen des Bundes und des Landes – ermöglicht werden kann. Über die Ergebnisse der Evaluation sowie einen Ausblick auf eine mögliche Fortführung des 365-Euro-Tickets wird dem Stadtrat bis zum 3. Quartal 2024 in geeigneter Form informiert.
Begründung
Die aktuelle Kostenexplosion bei den Energiekosten, vor allem bei den Spritpreisen, zeigt erneut die Notwendigkeit eines finanzierbaren öffentlichen Personennahverkehrs. Allen voran Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen müssen einen überdurchschnittlichen Anteil ihres Einkommens für Energie und Mobilität ausgeben. Die hohen Spritpreise können daher dazu führen, dass deutlich mehr Menschen auf den ÖPNV angewiesen sind.
Das 365-Euro-Ticket soll ein Beitrag dafür sein, den ÖPNV attraktiver zu machen und den urbanen Verkehr entsprechend der beschlossenen Mobilitätsstrategie neu zu strukturieren. Mit Blick auf die Verkehrswende und unsere beschlossenen Klimaschutzziele, die wir schaffen müssen und schaffen wollen, halten wir es für sinnvoll, das 365-Euro-Ticket für erste Nutzergruppen einzuführen. Eine Einführung für alle Nutzergruppen ist aktuell finanziell nicht darstellbar. Grundsätzlich ist jedoch wichtig, das die Preise für Abo-Tickets möglichst stabil gehalten werden und Jobticketangebote ausgebaut werden.
Speziell soll sich das Angebot zunächst an jungen Leipzigerinnen und Leipziger unter 27 Jahren richten, um ihnen für den Einstieg in oder Umstieg auf den ÖPNV ein attraktives Angebot zu machen. Gerade bei Berufseinsteigern ist ein preiswertes Angebot sinnvoll, da diese noch nicht auf ein bestimmtes Verkehrsmittel festgelegt sind und somit eine Kundenbindung über das Studium bzw. die Ausbildung hinaus möglich ist. Zudem ist die Kaufkraft vieler junger Menschen nach Studium oder Ausbildung noch nicht so ausgeprägt (z.B. durch eine neue Wohnung oder Familiengründung), weshalb es sinnvoll ist, die Differenz zwischen dem günstigen Azubi/Semesterticket und dem Normaltarif zu verringern.
Die Finanzierung des 365-Euro-Tickets für Unter-27-Jährige soll im Jahr 2022 über Haushaltsausgabereste erfolgen und für die Jahre 2023 und 2024 sollen im Haushalt entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Im Jahr 2024 wird das Projekt evaluiert und bis zum 3. Quartal 2024 wird der Stadtrat in geeigneter Weise über die Ergebnisse und mögliche Fortführungsszenarien informiert.
Angesichts der noch nicht abschätzbaren Herausforderungen für die Stadt Leipzig aufgrund des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen Energiekostensteigerung ist es wichtig, dass der Oberbürgermeister genau prüft, wie das Ticket sozialverträglich finanziert werden kann. Mit einem Prüfergebnis bis 30.05.2022 entscheidet dann der Stadtrat über den Zeitpunkt der Einführung eines solchen Tickets.
Verwaltungsstandpunkt:
Der Verwaltungsstandpunkt wurde unter Einbeziehung einer Stellungnahme der Leipziger Gruppe erstellt.
9 €-Ticket des Bundes
Um die finanziellen Auswirkungen der gestiegenen Energiekosten für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft abzumildern, hat die Bundesregierung mit zwei Paketen Maßnahmen zur Entlastung und sozialen Unterstützung auf den Weg gebracht. Darüber hinaus soll ein weiteres Maßnahmenpaket zur Unterstützung der von Sanktionen bzw. dem Kriegsgeschehen betroffenen Unternehmen verabschiedet werden.
Im „Maßnahmenpaket zum Umgang mit den hohen Energiekosten“ ist auch das „9 Euro-Ticket“ enthalten, dass im Zeitraum 1.6.-31.8.2022 für 9 € pro Kalendermonat zur Fahrt in Bussen und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr berechtigt. Mit dem „9 Euro-Ticket“ wird somit ein sehr stark verbilligtes ÖPNV-Ticket angeboten und damit die gewünschte finanzielle Entlastung der Bürgerinnen und Bürger im ÖPNV erreicht.
Um abschätzen zu können, ob die Einführung eines 365-€-Tickets für alle Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres möglich, strategisch sinnvoll und finanzierbar ist, sollten zunächst die Erfahrungen aus dem 9 €-Ticket abgewartet und ausgewertet werden. Hierfür wird nach dem Ende des Aktionszeitraums eine Evaluation des 9 €-Tickets durchgeführt. Die entsprechenden Untersuchungen können frühestens im September beginnen, sodass mit einer Auswertung Ende des Jahres 2022 gerechnet wird.
Kostenentwicklung / Finanzierung eines 365 €-Tickets
Die derzeitigen Kostenentwicklungen (insbesondere die Steigerung der Energiepreise, der Personal- und Sachkosten sowie die pandemiebedingt verzögerte Nachfrageentwicklung) setzt auch die Nahverkehrsunternehmen massiv unter Druck. Aktuell ist davon auszugehen, dass für die Unternehmen im MDV-Gebiet 2023 gegenüber der mittelfristigen Kostenplanung insgesamt Mehraufwendungen in Höhe von mindestens 50 Mio. € pro Jahr entstehen; anteilig wirkt dies bereits im aktuellen Wirtschaftsjahr 2022.
Konkret führen die steigenden Ausgleichsbeträge für die Verkehrsleistung zusammen mit den finanziellen Folgen der Anforderungen an die Versorgungssicherheit und die Klimaneutralität trotz wirksamer Kostensenkungsprogramme des LVV-Konzerns langfristig sogar zur Überforderung der Finanzierungsfähigkeit der L-Gruppe. Vor diesem Hintergrund und der sich aufdrängenden Priorisierung immer knapper werdender Mittel ist die (teilweise) Einführung eines 365-Jahres-Tickets in absehbarer Zeit innerhalb der L-Gruppe nicht finanziell darstellbar.
Für die nachhaltige Finanzierung eines 365-€-Jahrestickets für Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres bzw. ggf. weiterführender 365 €-Tickets sind neben städtischen Haushaltsmitteln dementsprechend auch zwingend Gelder des Bundes und/oder des Landes erforderlich. Die Einführung sollte daher auch nicht vor einem erneuten Förderprogramm-Aufruf erfolgen, um die Möglichkeit einer entsprechenden (Anlauf-)Finanzierung offen zu halten. Insofern gilt es, sich weiterhin für Förderprojekte wie die „Modellprojekte zur Stärkung des ÖPNV“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zu bewerben, wie bereits 2020 mit dem leider abgelehnten Projekt „PELIKKAN“.
Prinzipiell haben sich seit dem abgelehnten Förderantrag, in dem auch die Einführung eines 365-€-Jahrestickets für Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres vorgesehen war, einige Rahmenbedingungen geändert. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie und der Einführung neuer Produkte für Kunden in der Altersgruppe der Zielgruppe des „Starter-Tickets“ wie dem BildungsTicket, sowie der Ausweitung des Mitte 2019 eingeführten AzubiTicket Sachsen, muss das der Nachfrageabschätzung zugrundeliegende Stückzahlgerüst neu bewertet werden. Eine vorläufige Abschätzung der Kosten eines 365 €-Tickets für Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres kann nur als Beispielrechnung auf der Grundlage der ab 01.08.2022 gültigen Preise erfolgen. Dementsprechend ist mit zusätzlichen Kosten in Höhe von ca. 1 Mio. € in 2023 (bei Einführung des Tickets ab 01.08.2023) und ab 2024 mit ca. 3 Mio. € / Jahr, inklusive der Risiken für Ausgleichszahlungen sowie einer zusätzlichen Reserve für die Tarifanpassungen 2023 und 2024, zu rechnen. Auch in den Folgejahren ab 2025 sind dauerhafte Ausgleichszahlungen aus dem kommunalen bzw. Bundes-/Landes-Haushalt notwendig.
Somit ist es auch aus der finanziellen Perspektive heraus sinnvoll, zunächst die Auswertung des 9 €-Tickets abzuwarten, um die tatsächlich anfallenden Kosten und die konkreten Wirkungen eines solchen vergünstigten Tickets abschätzen zu können.
Einführungszeitpunkt neuer Tickets und Tarife
Hinsichtlich der Einführung von ÖPNV-Produkten im MDV-Tarif bedarf es grundsätzlich der mehrheitlichen Zustimmung der Aufsichtsräte der LVB und des MDV – umfangreiche, mehrmonatige Abstimmungen in den MDV-Gremien vorausgesetzt. Dies gilt auch für Produkte, die ausschließlich in Leipzig angeboten werden und betrifft auch den Einführungszeitpunkt. Der Tarifantrag für den Tarif ab August 2022 wurde bereits bei der Genehmigungsbehörde eingereicht. Auf Basis des nötigen Abstimmungsbedarfes, der Gremienvorläufe sowie der sich anschließenden Bearbeitungsfrist der Genehmigungsbehörde wäre die Einführung neuer Tickets bzw. Tarife generell frühestens sechs Monate nach einer grundsätzlichen Entscheidung des Stadtrates möglich. Sofern sich aus der Evaluierung des 9 €-Tickets ergibt, dass ein 365 €-Ticket für Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres möglich, strategisch sinnvoll und vor allem finanzierbar ist, könnte dieses mit dem Tarifwechsel zum 01.08.2023 umgesetzt werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Einführung eines 365 €-Tickets für Leipzigerinnen und Leipziger bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgen sollte, da zum einen zunächst die Wirkungen des 9 €-Tickets ausgewertet und die Erfahrungen ggf. auf ein 365 €-Ticket angewendet werden sollten und zum anderen die vielschichtigen finanziellen Aspekte geklärt werden müssen.
Realisierungs- / Zeithorizont (entfällt bei Ablehnung des Antrags)
Nach Ende des Aktionszeitraums des 9 €-Tickets vom 1.6.-31.8.2022 erfolgt die Evaluation frühestens ab September 2022, sodass mit einer Auswertung gegen Ende des Jahres 2022 zu rechnen ist.