Antrag: Verzicht auf Strafantrag durch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) bei sogenannter „Erschleichung von Beförderungsleistungen“
Beschlussvorschlag:
Der Oberbürgermeister beauftragt die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) per Gesellschafterweisung:
Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) verzichten bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ohne Fahrschein auf die Stellung eines Strafantrages oder einer Strafanzeige nach §265a StGB. Die Regelung zum erhöhten Beförderungsentgelt beim Fahren ohne gültigen Fahrschein bleibt hiervon unberührt.
Begründung:
Bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ohne gültigen Fahrschein wird durch die LVB ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 60 € erhoben. Nach aktueller Gesetzgebung liegt bei dem sogenannten „Erschleichen von Leistungen“ darüber hinaus eine Straftat nach §265a StGB vor, deren Verfolgung auf Grund der Geringwertigkeit nach § 248a StGB jedoch nur auf Antrag erfolgt. Dieser wird in der Regel in Fällen gestellt, wenn eine Person wiederholt ohne gültigen Fahrschein eine Beförderungsleistung in Anspruch nimmt.
Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2023 sind 69 Prozent der Deutschen dafür, Nutzung von Verkehrsmitteln ohne gültigen Fahrschein künftig als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Zahlreiche Städte verzichten bereits darauf, Schwarzfahrer anzuzeigen – in Bremerhaven beispielsweise seit 2012. Seit 2023 haben zahlreiche Städte nachgezogen: Karlsruhe, Mainz, Wiesbaden, Köln, Düsseldorf, Münster, Bremen, Halle, Dresden und Potsdam.
Im September 2023 verbüßten laut LVZ im Freistaat 295 Personen eine Ersatzhaft, das waren 9,8 Prozent aller Gefangenen. Einer der Gründe: Beförderung in einem Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein. Exemplarisch kann der Fall einer Leipzigerin genannt werden, die über einen Zeitraum von vier Jahren dreimal wegen einer solchen Tat verurteilt und wegen Zahlungsunfähigkeit der festgesetzten Strafzahlung i.H.v. 1.295 € ersatzweise 110 Tage inhaftiert wurde. Die Kriminologin Nicole Bögelein von der Uni Köln schätzt, dass deutschlandweit 8000 bis 9000 Menschen pro Jahr auf diese Weise in Haft kommen, die meisten von ihnen konnten ihre Strafe nicht bezahlen, ebenso wenig wie ein Fahrticket. Daher sitzen meist arme Menschen ein. Laut der Initiative Freiheitsfonds betreffen Ersatzfreiheitsstrafen vor allem arbeitslose Menschen (87 Prozent), Menschen ohne festen Wohnsitz (15 Prozent) und suizidgefährdete Menschen (15 Prozent).
Am 23.11.2023 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs. Gegenstand dieser geplanten Modernisierung sind unter anderem die Änderung des § 265a StGB (Erschleichen von Leistungen). Die Tatbestandsalternative „Beförderung durch ein Verkehrsmittel“ soll daher durch einen milderen Tatbestand, nämlich eine Ordnungswidrigkeit ersetzt werden. Aus diesem Eckpunktepapier soll ein Gesetzesentwurf entwickelt werden.
Anlass, sich nochmals mit dem Thema zu beschäftigen, ist die nachfolgende Formulierung im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung:
„Wir überprüfen das Strafrecht systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche und legen einen Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz. Das Sanktionssystem einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen überarbeiten wir mit dem Ziel von Prävention und Resozialisierung.“
Niemand darf wegen eines fehlenden Tickets in Haft landen. Bis zu einer erwarteten Reform
des § 265a StGB soll in der Stadt Leipzig auf die Stellung von Strafanträgen wegen Fahrens
ohne Fahrschein verzichtet werden, ohne dabei auf das erhöhte Beförderungsentgelt zu verzichten. Damit ist auch weiterhin eine negative Abschreckungswirkung durch Bestrafung gegeben.