Dringliche Anfrage: Braunkohleausstieg erst 2030 - Ist das Ihr Ernst, Herr Oberbürgermeister?

Dringliche Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 26. Juni 2019

Am 19.06.2019 berichtet die LVZ über die offensichtlich geplante Kehrtwende beim Ausstieg des Fernwärmebezuges vom Kohlekraftwerk Lippendorf: „Erst im Dezember hatte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) überraschend angekündigt, Leipzig werde sich schon ab dem Jahr 2023 als erste sächsische Großstadt unabhängig von der klimaschädlichen Braunkohle machen. „Wir müssen raus aus der Braunkohle und jetzt steht dafür ein sehr günstiges Zeitfenster offen“, sagte er damals. Ein Ausstieg aus dem Liefervertrag mit Lippendorf ist nach den Worten von Stadtwerke-Chef Karsten Rogall sogar „technisch bereits 2022 möglich“.

Nun, so die Informationen der Presse, sollen die erforderlichen Kapazitäten zur Wärme-Selbstversorgung nahezu vollständig bis 2023 geschaffen werden, lediglich ein Baustein, nämlich eine Anlage zur thermischen Verwertung von Klärschlämmen, soll erst bis 2030 fertiggestellt werden. Dies impliziert, dass die Zukunft des Braunkohlekraftwerkes über 2023 hinaus gesichert werden soll.

Wir fragen daher an:

  1. Ist es richtig, dass die Leipziger Gruppe beabsichtigt, die Voraussetzungen zur Wärme-Selbstversorgung erst nach 2023 zu schaffen und so weiter von einem Fernwärmebezug aus dem Kraftwerk Lippendorf abhängig zu sein?
  2. Welche grundlegenden Veränderungen haben sich seit dem o.g. Statement des Oberbürgermeisters gegenüber der Presse im Dezember 2018 ergeben?
  3. Welche Bausteine zur Wärme-Selbstversorgung braucht Leipzig konkret, um sich vom Kraftwerk Lippendorf unabhängig zu machen und für wann ist die Realisierung dieser einzelnen Bausteine geplant?
  4. Hat es in den vergangenen Monaten Verhandlungen mit dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zur künftigen Wärmeversorgung gegeben, welchen Charakters und Inhalt waren diese und welche Vereinbarungen wurden dazu getroffen? Haben diese Einfluss auf die Entscheidung zum verlängerten Bezug der Fernwärme aus Lippendorf gehabt?
  5. Wie gestaltet sich die derzeitige Vertragslage zum Fernwärmebezug mit dem Kraftwerk Lippendorf, welche Optionen zur Kündigung oder Verlängerung müssten bis wann getroffen werden?
  6. Hat es zwischen der Stadtspitze, der SWL und den Kraftwerksbetreibern seit Dezember Gespräche und Vereinbarungen gegeben und welchen Charakters und mit welcher Zielstellung waren diese ausgerichtet?
  7. Haben Sie, Herr Oberbürgermeister, Interesse an einem Fernwärmebezug aus Lippendorf über das Jahr 2023 hinaus oder werden Sie alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um Ihr Versprechen, Leipzig von diesem Kraftwerk ab 2023 unabhängig zu machen, einhalten?
  8. Wird der Stadtrat in die Entscheidung zum Braunkohleausstieg, wie von Ihnen seit einem halben Jahr angekündigt, einbezogen?

Entscheidung der Ratsversammlung am 26. Juni 2019

Die Dringlichkeit der Anfrage wurde in der Ratsversammlung zu Beginn der Tagesordnung von allen Fraktionen außer unserer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Somit wird die Anfrage erst in der nächstfolgenden regulären Stadtratssitzung am 4. September beantwortet. 

Antwort der Verwaltung in der Ratsversammlung am 4. September 2019

Oberbürgermeister Jung:

Zur Frage 1. Nein.

Zur Frage 2. Keine.

Zur Frage 3. Bis 2022 soll die Errichtung des Heizkraftwerks Süd abgeschlossen sein. Bis 2023 ist der Neubau von solarthermischen und Biomasseanlagen geplant. Ab Mitte der 20er-Jahre ergänzt eine energetische Verwertung von Abfall mit hohem Heizwert das Zielportfolio der Erzeugungstechnologien. So der Plan. So der Mix.

Zur Frage 4. Nein.

Zur Frage 5. Die Leipziger Stadtwerke haben das Recht, den bestehenden Fernwärmeliefervertrag zum 30.09. aufzuheben. Die Vertragsbeendigung wird mit einer Frist von drei Jahren zum 30.09.2022 wirksam.

Zur Frage 6. Mit mir zur Person hat es keine Gespräche, keine Vereinbarungen, keine Verhandlungen gegeben. Aber Sie können sich vorstellen, dass die LEAG selbstverständlich mit den Stadtwerken im Gespräch ist. Über die Einzelheiten dieser Gespräche bin ich nicht befugt, die Vertraulichkeit zu brechen.

Zur Frage 7. Natürlich habe ich nicht das Interesse, dass wir über 2023 hinaus Fernwärme braunkohlebasiert beziehen. Natürlich nicht! So schnell wie möglich möchte ich durch neue umweltfreundliche Technologien abgelöst sehen, was wir zurzeit als Fernwärme beziehen. Wie Sie wissen, habe ich die Pflicht, dem übergeordneten Leitbild eines nachhaltigen Wachstums verpflichtet, auch eine vorsorgende Klima- und Energiestrategie zu vertreten. Das heißt, wie auch auf der Pressekonferenz betont: Die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit haben einen höheren Stellenwert als ein festes Ausstiegsdatum um jeden Preis. Leipzig soll so schnell wie möglich über Erzeugungsstrukturen verfügen, die uns unabhängig von den Entwicklungen machen. Technologisch und betriebswirtschaftlich soll das nach Einschätzung unserer Stadtwerke schon bis 2023 möglich sein. Das ist ökologisch sinnvoll, es ist wirtschaftlich ebenso sinnvoll, und das ist auch geboten. Nicht zuletzt deshalb sollen sie ja auch mit der Errichtung eines Gaskraftwerks umgehend beginnen.
Aber man kann die Rechnung nicht ohne den Wirt machen: Der Weg dorthin ist mit Steinen gepflastert. Wenn Sie die Gespräche führen würden mit der Landesdirektion, mit den Genehmigungsbehörden, mit Turbinenanbietern, wüssten Sie: Schon allein für den Bau des Gaskraftwerks gibt es ein komplexes Genehmigungsverfahren, und die Dauer ist in der Tat nicht abgesichert. Die Dauer von formellen Anhörungsverfahren ist nicht genau abgesteckt. Ein fristgerechtes, vorhabenbezogenes Bauverfahren kann heute nicht versprochen werden.
Mit anderen Worten: Es ist nur verantwortlich und sachgerecht, die Versorgungssicherheit sowie eine belastbare wirtschaftliche Tragfähigkeit für unsere Unternehmen und unsere Bürgerinnen und Bürger vorrangig im Blick zu haben. Etwas anderes wäre grob fahrlässig und unverantwortbar.
Ich fasse noch mal zusammen: Wir wollen den Ausstieg bis Ende 2022. Aber das ist ein sehr, sehr ambitioniertes Ziel. Und: Wir brauchen die Auffanglösung für den Tag danach, wenn es bis dahin nicht gelingt aus genehmigungstechnischen oder anderen Gründen.
Zur Frage 8. Das Zukunftskonzept Fernwärme wurde im Nachgang zum Dezember 2018 nach mehreren Monaten erforderlicher und sachgerechter weiterer Analysen und Prüfungen am 02.07. von den Aufsichtsräten der Stadtwerke und der LVV bestätigt. Im Verwaltungsausschuss des Stadtrats wurde das aktuelle Konzept der Stadt-werke in einer Sondersitzung bereits präsentiert. In den nächsten zwei Wochen wird Sie der angekündigte Verwaltungsstandpunkt erreichen, der auf eine ganze Reihe von Anträgen und auch auf die Petition versucht, Antwort zu geben. Ich denke, wir werden dann im Verfahren noch einmal miteinander diskutieren: Gibt es weitere Beratungs- oder Beschlussnotwendigkeit hier im Stadtrat?

Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Vielen Dank, Herr Oberbürgermeister, für die Beantwortung der Frage. Auch wenn Sie manches sehr knapp beantwortet haben, glaube ich, dass es für die Zuhörenden ganz interessant war, zu erfahren, dass bereits eine Sondersitzung des Verwaltungsausschusses stattgefunden hat, wo diese Frage schon beantwortet worden ist. Dennoch wollten wir Ihnen, Herr Oberbürgermeister, die Gelegenheit geben, das im Stadtrat öffentlich zu besprechen.
Manche Antworten waren recht kurz, aber doch sehr klar. Sie haben sich sehr klar ausgedrückt. Das ist, denke ich, immer wieder wichtig. Wichtig ist auch das Signal, dass wir an diesem Ausstieg tatsächlich festhalten und dieser unbedingt erfolgen muss, dass aber natürlich die Versorgungssicherheit vorgeht. Dennoch, gerade dieser Som-mer mahnt uns: Es geht so nicht weiter mit der Braunkohle. Wir müssen da so schnell als möglich raus. Uns geht es darum, dass darüber viel informiert wird. Es wird jetzt auch baulich einiges in der Stadt passieren. Es werden Wärmespeicher gebaut. Das Gaskraftwerk haben Sie eben angesprochen. Es werden auch Blockheizkraftwerke errichtet. Wie wird das informatorisch begleitet? Wird die Stadt selbst oder werden die Stadtwerke hier kommunizierend an die Bevölkerung herantreten und Angebote machen, über die baulichen Maßnahmen, die dafür anstehen, noch mal zu sprechen? Auch dazu gibt es ja Fragen aus der Bevölkerung. Ich denke, es wäre sehr wichtig, dass wir die Bevölkerung an dieser Stelle ganz wesentlich mitnehmen.

Oberbürgermeister Jung: Die Stadtwerke sind von mir beauftragt, insbesondere dort, wo bauli-che Veränderungen vor Ort eingeleitet werden, die spürbar und auch sichtbar sind oder vor denen vielleicht Ängste entwickelt werden, mit der Bevölkerung, mit den Anliegern ins Gespräch zu kom-men. Die ersten Gespräche werden zum Beispiel in der Bornaischen Straße geführt. Sollte es nötig sein, werden wir natürlich auch als Stadt informieren müssen.

Stadtrat Schlegel (DIE LINKE): Herr Oberbürgermeister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ist davon auszugehen, dass dann der Tagebau Schleenhain trotzdem 2021 stillgelegt wird und das Kraftwerk Lippendorf vom Netz geht, oder wird die Verstromung weitergehen? Was pas-siert mit der Fernwärme, die von dort kommt? Wie wird sich das auf die Strompreise auswirken? Das ist die erste Frage. Zweitens. Soweit ich weiß, soll der neue Standort im Süden das ehemalige Heizkraftwerk „Ernst Thälmann“ an der Bornaischen Straße sein. Meine Frage schließt an die von Frau Krefft an: Wird der betroffenen Bürgerschaft in Lößnig, Dölitz und Connewitz das Vorhaben zeitnah vor-gestellt? Und: Wie soll die Gestaltung dieses Baukörpers vonstattengehen? Wird das möglicherweise in einer ähnlichen Art und Weise ablaufen wie beim GuD in der Eutritzscher Straße? Der Baukörper als solcher ist zwar wegen der technologischen Bedingungen vorgegeben, aber es wäre wünschenswert, wenn er ansprechend gestaltet ist, also nicht wie eine schwarze Wolke mitten in der Stadt steht.

Oberbürgermeister Jung: Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Schlegel. Ich habe ja eben schon da-rauf hingewiesen: Die Bevölkerung, die Anlieger, die Nachbarschaft an der Bornaischen Straße wird selbstverständlich einbezogen. Es wäre zu früh, schon jetzt über die Gestaltungsfrage zu reden; wir sind gerade im Plangenehmigungsverfahren. Aber Sie können sicher sein, dass vor allem im Bestand der dortigen Anlagen nach Lösungen gesucht wird. Es wird also kein schwarzes Ungetüm oder ein Hochhaus errichtet werden.
Zu Ihrer ersten Frage sage ich noch einmal ganz deutlich und klar: Ich weiß nicht, wie die Inhaber zum Beispiel von Lippendorf sich insgesamt aufstellen werden. Eines steht fest: Der Strom wird geliefert werden, unabhängig von unserer Fernwärmeabnahme. Damit ist nur sehr bedingt eine Veränderung der Stromproduktion verbunden. Sie wissen auch, dass zurzeit ein Block aus wirtschaftlichen Gründen abgeschaltet ist. Wir wissen nicht, wie die Entwicklung in Sachsen vorangehen wird und wie die Ausstiegsszenarien für Braunkohle insgesamt sind. Aber ich glaube, wir sollten ehrlich und fair und offen kommunizieren: Der Braunkohleausstieg kommt, ob 2038 oder 2030. Er kommt definitiv. Wir sollten uns mit allem, was wir zur Verfügung haben, davon unabhängig machen und eine autarke, emissionsfreie, fossilfreie Versorgung in unserer Stadt anstreben. Wie lange das dauert, weiß ich nicht. Es ist auch nicht meine Aufgabe als Oberbürgermeister von Leipzig, die Energiepolitik der LEAG vorauszusehen. Bürgermeister

Stadtrat Morlok (Freibeuter): Herr Oberbürgermeister, Sie haben gerade gesagt: Wir sollten als Stadt Leipzig eine Versorgung frei von fossilen Energieträgern anstreben. Wie passt dazu der Bau eines Gaskraftwerks, das mit Erdgas betrieben wird? Oberbürgermeister Jung: Ich habe versucht, das in der Pressekonferenz zu erklären. Das ist in der Tat eine Übergangstechnologie. Wir müssen heute schon die Turbinen bestellen, die mit synthetischem Gas oder mit Biogas betrieben werden können. Das ist technologisch möglich, wird aber noch einige Jahre brauchen.

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