Gedenkreise nach Auschwitz gemeinsam mit der Delegation des Zentralrats deutscher Sinti und Roma 01.08. bis 05.08.2016

Erlebnisbericht von Petra Cagalj Sejdi, Stadträtin

„Auschwitz war die Hölle – doch das was danach kam hat mich mein Leben lang traumatisiert“ Peter Höllenreiner – Auschwitzüberlebender

Der 2. August ist ein trauriger Tag in der Geschichte der Roma und Sinti Europas. An diesem Tag wurde 1944 das „Zigeunerlager“ in Auschwitz aufgelöst, die noch arbeitsfähigen Menschen wurden in andere Lager weiter verschleppt. Alle verbliebenen wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 ermordet. Es waren 2897 Männer, Frauen und Kinder.

Durch einen Erlass Himmlers wurden im Jahr 1943 das „Zigeunerlager Auschwitz“ errichtet. In den darauffolgenden zweieinhalb Jahren wurden insgesamt 20.943 Roma und Sinti dorthin deportiert. Mehr als die Hälfte der Häftlinge starben im Lager an Mangelernährung, Krankheiten, durch die Folgen medizinischer Experimente oder wurden erschossen und vergast. Im „Zigeunerlager Auschwitz“ wurden 371 Kinder geboren, von denen keines überlebte. Bei einem großen Teil der Häftlinge ließen sich später die einliefernden Polizeidienststellen und deren „Dienststellen für Zigeunerfragen“ identifizieren, auch Leipzig ist in dieser Liste der Deutschen Städte zu finden. Unterstützung erhielt die Leipziger Polizei bei diesem Verbrechen damals vor allem vom Ethnologischen Institut der Universität Leipzig.

Nach Schätzungen wurden in Deutschland und im nationalsozialistisch besetzten Europa 500.000 Roma und Sinti ermordet. Der 2. August gilt als Gedenktag an den Genozid an den Roma und Sinti und wird in Polen seit einigen Jahren als staatlicher Feiertag begangen. Leider haben sich bisher weder Deutschland noch andere EU-Staaten dieser Tradition angeschlossen. Der Genozid an den Sinti und Roma bleibt nach wie vor ein tabuisiertes trauriges Thema.

Seit mehreren Jahren treffen sich Sinti und Roma aus ganz Europa an diesem Tag in Auschwitz. Aus Polen, Ungarn, Österreich, Frankreich und Deutschland reisten auch in diesem Jahr wieder Überlebende und deren Angehörige an und gedachten gemeinsam mit polnischen Regierungsvertretern und Vertretern aus Ungarn, Österreich und Deutschland - wie z.B. der Nordrhein Westfälischen Ministerin für Schule und Weiterbildung Sylvia Löhrmann (Bündnis 90 / Die Grünen) - den Opfern. Erstmals waren in diesem Jahr auch Vertreter des sächsischen Romavereins Romano Sumnal e.V. zu dieser Reise eingeladen. Was mir als Mitglied von Romano Sumnal e.V. und als grüne Stadträtin zum ersten Mal ermöglichte Roma und Sinti zu treffen, die die Hölle Auschwitz überleben konnten.

Unsere Reise dauerte fünf Tage. Höhepunkt bildete die offizielle Gedenkveranstaltung am 2. August an den Baracken des ehemaligen „Zigeunerlagers“ in Auschwitz Birkenau. Sinti- und Romavertreter aus Ungarn, Österreich, Frankreich und Deutschland sprachen hier und appellierten an die heutige Gesellschaft aus den alten Vergehen zu lernen und diese nicht zu wiederholen. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, sagte in seiner Rede: „ Heute müssen wir miterleben, wie nationalistische und populistische Bewegungen die Spaltung Europas immer weiter vorantreiben. Für uns Sinti und Roma bergen diese sich verschärfenden gesellschaftlichen Konflikte eine große Gefahr. Denn antidemokratische Strömungen brauchen Feindbilder, um die Ängste von Menschen für ihre politischen Zwecke auszubeuten. Dabei fällt Minderheiten stets die Rolle des Sündenbocks zu.“

Die Gedenkveranstaltungen wurden ebenfalls von 350 jugendlichen Roma und Sinti aus ganz Europa besucht, die sich in diesem Rahmen zu einer Jugendbegegnung des europäischen Roma-Jugend-Netzwerkes TERNYPE unter dem Motto „Dik he na bister – Look and don't forget“ in Auschwitz trafen. Ein besonderer Höhepunkt dieser Jugendbildungsfahrt waren die Begegnungen mit Zeitzeugen, wie zum Beispiel dem Auschwitzüberlebenden Peter Höllenreiner, der nach mehr als 70 Jahren zum ersten Mal wieder an diesen schrecklichen Ort zurück kam und den jungen Roma und Nicht- Roma vor allem eines mitgeben wollte: „Egal woher ein Mensch kommt und wer er ist, man muss allen Menschen gleich gegenübertreten und darf niemanden dafür unterdrücken, dass er anders ist als man selbst“. Höllenreiner, der im Alter von drei bis sechs Jahren im KZ leben musste und gemeinsamen mit seinen Geschwistern zu den Kindern gehörte, die vom Lagerarzt Mengele zu grausamen medizinischen Versuchen missbraucht wurden, erzählte aber vor allem eines: Die Zeit in Auschwitz sei schlimm gewesen, noch viel stärker habe ihn aber die Diskriminierung und Unterdrückung traumatisiert, die er während seiner Kindheit und Jugend nach dem Krieg in München erleben musste. Diese sei bis heute existent und Höllenreiner gab den jugendlichen Roma und Sinti mit auf den Weg stark zu sein und ihre Zugehörigkeit und Kultur nicht zu verstecken.

Leider konnten die jungen Mitglieder des eingeladenen sächsischen Roma Vereins Romano Sumnal e.V. nicht an der Jugendbegegnungsfahrt teilnehmen. Drei von Ihnen leben mit einer Duldung in Deutschland, ihnen wurde die Ausreise nach Polen nicht gestattet. Trotz wochenlanger Bemühungen des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, des Dokumentationszentrums und des sächsischen Vereins Romano Sumnal und trotz vieler prominenter Unterstützer aus Politik, Kirche und Gesellschaft in Sachsen konnte die Leipziger Ausländerbehörde nicht umgestimmt werden: Was jungen Roma in anderen deutschen Städten ermöglicht wurde, blieb in Leipzig unmöglich. Nach Aussage der Ausländerbehörde wäre eine Auslandsreise im Rahmen einer Klassenfahrt nach Auschwitz möglich gewesen, eine Reise nach Auschwitz für Angehörige einer Opfer-Gruppe zum Gedenken an ihre Opfer im Nationalsozialismus blieb unmöglich. Diese Ablehnung machte die Jugendlichen so betroffen, dass alle beschlossen sich solidarisch zu erklären und in Leipzig zu bleiben. Dieses Ereignis hat wieder einmal mehr gezeigt wie viel Aufarbeitung in Deutschland noch fehlt und das der Genozid an den Roma und Sinti noch lange nicht in allen Köpfen präsent ist.

Unsere Gedenkreise endete am Donnerstagabend den 4. August 2016 mit einer festlichen Bootsfahrt auf der Weichsel, bei der es an Musik, Tanz und guter Laune nicht fehlte. Auf die Frage einer Mitreisenden, warum wir nach solch traurigen Erlebnissen und Erinnerungen mit einem Fest abschließen würden, antwortete Herr Rose, Vorsitzender des Zentralrats: „Wir feiern am Ende dieser Woche jedes Jahr, dass wir überlebt haben und weiter überleben werden!

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