Gemeinsame Anfrage: Aktuelle Situation der Gewaltschutzprojekte in der Stadt

Gemeinsame Anfrage der Stadträt*innen Marsha Richarz, Beate Ehms und Pia Heine zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 24. September 2025

Am 18.08.2025 fand in Leipzig ein Femizid statt: Eine Frau wurde von ihrem Ex-Partner getötet, der gemeinsame Sohn dabei schwer verletzt. Auch die Halbjahresstatistik 2025 zum Gewaltschutz in Leipzig zeigt eine dramatische Entwicklung. Trotz Einrichtung einer zweiten Interventionsstelle beim Gesundheitsamt verzeichnet die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt (KIS) einen alarmierenden Anstieg: 792 polizeiliche Mitteilungen – 122 mehr als im Vorjahreszeitraum. 357 Gewaltbetroffenen konnte kein Beratungsangebot gemacht werden. Gleichzeitig wurden 123 Hochrisikofälle betreut, darunter erstmals auch direkt durch die Polizei gemeldete Kinder.
Insgesamt wurden 663 Personen beraten, 678 Kinder waren mitbetroffen. Diese Zahlen sind umso beunruhigender vor dem Hintergrund des kürzlich verübten Femizids in Leipzig, bei dem das Opfer zuvor nicht polizeibekannt war – ein deutlicher Hinweis auf die Wichtigkeit niedrigschwelliger Beratungsangebote.
Jeden Tag kann zwei Personen kein Beratungsangebot gemacht werden. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass ein funktionierender Gewaltschutz nicht nur von den spezialisierten Einrichtungen abhängt, sondern auch von angrenzenden Vereinen und Institutionen, wie bspw. SPRINT, die im Hilfenetzwerk eine unverzichtbare Rolle spielen. Eine mögliche Kürzung der Mittel würde daher nicht nur die direkt betroffenen Projekte, sondern das gesamte Hilfesystem gefährden.


Angesichts dieser Statistik bitten wir die Verwaltung um Beantwortung folgender Fragen:

  1. Wie bewertet die Verwaltung die Entwicklung der Fallzahlen im Bereich häuslicher und sexualisierter Gewalt?
  2. Welche konkreten Maßnahmen plant die Verwaltung, um die strukturelle Unterversorgung im Bereich der Gewaltschutzeinrichtungen zu beheben, insbesondere im Hinblick auf die häufige Abweisung Schutzsuchender aufgrund fehlender Kapazitäten?
  3. Inwieweit wurden die Ergebnisse der Halbjahresstatistik bei der aktuellen Haushaltsplanung berücksichtigt, und welche Auswirkungen hätte eine mögliche Haushaltssperre auf die Finanzierung der Gewaltschutzprojekte und angrenzender Institutionen?
  4. Wie stellt die Verwaltung sicher, dass die im Rahmen der Istanbul-Konvention eingegangenen Verpflichtungen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt trotz möglicher Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen erfüllt werden können?
  5. Wie bereitet die Verwaltung die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes vor?
  6. Welche präventiven Maßnahmen plant die Verwaltung, um die Anzahl der Fälle häuslicher und sexualisierter Gewalt zu reduzieren und die Versorgungssituation der Betroffenen nachhaltig zu verbessern?

Antwort der Verwaltung vom 23. September 2025

1. Wie bewertet die Verwaltung die Entwicklung der Fallzahlen im Bereich häuslicher und sexualisierter Gewalt?

Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nehmen die Straftaten im Bereich Häuslicher Gewalt und sexualisierter Gewalt in Leipzig tendenziell zu. Im Berichtsjahr 2024 sind im Freistaat Sachsen mehr Fälle Häuslicher Gewalt registriert worden als 2023. Es wurden 10.202 Fälle erfasst, das entspricht im Schnitt etwa 28 Fällen pro Tag. Der Anstieg der Fälle gegenüber dem Jahr 2023 lag bei 2,6 Prozent. Er ist ausschließlich auf die Entwicklung der Straftaten Innerfamiliärer Gewalt zurückzuführen.

99 schwere Sexualdelikte hat die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für die Stadt Leipzig im Jahr 2024 erfasst. Neben Vergewaltigungen fallen darunter auch sexuelle Nötigungen und sexuelle Übergriffe im besonders schweren Fall. Aufgeführt sind nur jene Straftaten, die von der Polizei bearbeitet und an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden.

Die Kennzahlen zur Auslastung des Leipziger Hilfesystems bilden das aktuelle Hellfeld der Fälle von Häuslicher Gewalt in Leipzig ab und weisen ebenfalls eine Fallzunahme auf. Kennzahlen zu Beratungen bei sexualisierter Gewalt liegen nicht vor.

2. Welche konkreten Maßnahmen plant die Verwaltung, um die strukturelle Unterversorgung im Bereich der Gewaltschutzeinrichtungen zu beheben, insbesondere im Hinblick auf die häufige Abweisung Schutzsuchender aufgrund fehlender Kapazitäten?

Das bedarfsgerechte Vorhalten und die Weiterentwicklung von Angeboten sind eine Herausforderung, der sich die Stadt Leipzig insbesondere vor dem Hintergrund der Einwohnerentwicklung der letzten Jahre stellt. Neue Kapazitäten in Frauenschutzhäusern, Beratungsstellen und für die Täterarbeit wurden seit 2020 geschaffen. Gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen wurde ein weiteres Schutzhaus für Frauen und eine Clearingstelle in Leipzig eingerichtet (Beschluss VII-DS-00705 der Ratsversammlung vom 15.07.2020). Zudem wurde der Personalschlüssel in den Leipziger Frauenschutzhäusern erhöht (Beschluss VII-A-01566 der Ratsversammlung vom 14.10.2020). Die städtische Förderung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder wurde in den letzten Jahren stetig erhöht. Die finanzielle Förderung der Leipziger Frauen- und Kinderschutzhäuser, der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking, der Fach- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt/Frauennotruf, der Beratung für queere Betroffene von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung und der Beratungsstelle zur täterorientierten Anti-Gewaltarbeit stieg von 952.065 Euro (2023) auf 977.094 Euro (2024). Für 2025 ist eine Förderung in Höhe von 1.059.082 Euro geplant. Zum 01.10.2024 wurde, befristet für 3 Jahre, eine kommunale Beratungs-, Interventions- und Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt eingerichtet (IKS; Beschluss VII-DS-09753 des Oberbürgermeisters vom 29.04.2024).

Die Stadtverwaltung plant den weiteren Ausbau der Angebote des Gewaltschutzes entsprechend der Beschlüsse des Stadtrates (VIII-HP-10414 - Beratung und Prävention sexualisierte Gewalt und VIII-HP-10234 - Beratung und Prävention zum Schutz von Männern vor häuslicher Gewalt). Aufgrund der aktuellen Haushaltssituation können jedoch neue Projekte derzeit nicht umgesetzt werden. Das betrifft auch die neu geplanten Angebote des Gewaltschutzes.

3. Inwieweit wurden die Ergebnisse der Halbjahresstatistik bei der aktuellen Haushaltsplanung berücksichtigt, und welche Auswirkungen hätte eine mögliche Haushaltssperre auf die Finanzierung der Gewaltschutzprojekte und angrenzender Institutionen?

Der Haushalt 2025/2026 wurde im Jahr 2024 geplant. Die Halbjahreszahlen 2025 konnten dabei nicht berücksichtigt werden.

Aktuell ist eine Haushaltsperre im Anschluss an die Beendigung der vorläufigen Haushaltsführung vorgesehen. Die konkreten Auswirkungen auf die Finanzierung der Projekte und angrenzenden Institutionen müssen im Zusammenhang mit den der Haushaltssperre zugrundeliegenden möglichen Auflagen bei Genehmigung des Haushaltes 2025/2026 durch die Landesdirektion bewertet werden.

Die IKS des Gesundheitsamtes wird über die Richtlinie Chancengleichheit vom Freistaat Sachsen gefördert. Eine Haushaltssperre hätte daher in 2025 aufgrund der bestätigten Förderung keine Auswirkungen. Die Fördermittel für 2026 werden beantragt. Für die Haushaltsplanung 2027/2028 wird ein Vorschlag erarbeitet, ob und in welchem Umfang das Projekt über den 30.09.2027 hinaus fortgeführt werden soll.

4. Wie stellt die Verwaltung sicher, dass die im Rahmen der Istanbul-Konvention eingegangenen Verpflichtungen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt trotz möglicher Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen erfüllt werden können?

Die finanzielle Förderung der Angebote des Gewaltschutzes erfolgt im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Die Angebote werden bei möglichen Kürzungen freiwilliger Leistungen in Abwägung mit anderen Beratungs- und Unterstützungsangeboten, die von der Stadt Leipzig gefördert werden, berücksichtigt.

5. Wie bereitet die Verwaltung die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes vor?

Die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes obliegt den Ländern (neue Pflichtleistung). Die Stadt Leipzig beteiligt sich an der vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt durchgeführten Entwicklungsplanung für die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes.

6. Welche präventiven Maßnahmen plant die Verwaltung, um die Anzahl der Fälle häuslicher und sexualisierter Gewalt zu reduzieren und die Versorgungssituation der Betroffenen nachhaltig zu verbessern?

Durch die Erweiterung des Angebotes der IKS werden präventive Maßnahmen in Leipzig-Südwest ausgebaut, beispielsweise begleitet die kommunale IKS polizeiliche Schulungen vom Polizeirevier Südwest und bietet Beratungsangebote für verschiedene Institutionen an.

 

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