NEUFASSUNG Änderungsantrag zum Antrag: Ausrufung Klimanotstand

gemeinsame Neufassung des Änderungsantrags durch die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke vom 28. Oktober 2019

Ratsversammlung 30.10. Update: Das Jugendparlament übernimmt diesen Änderungsantrag und bringt damit diesen als Antrag zur Abstimmung.

Beschlussvorschlag:

  1. Die Stadt Leipzig, welche für sich eine Vorreiterrolle im Klimaschutz beansprucht, ruft den Klimanotstand aus und bekennt sich damit zu einem verantwortungsvollen Engagement gegen die wissenschaftlich belegte und fortschreitende globale Erderwärmung. Vorrangiges Ziel ist es, die negativen Auswirkungen auf das Weltklima auch auf lokaler Ebene so gering wie möglich zu halten und wirksame Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen in den verschiedenen Sektoren aktiv zu fördern.
  2. Die Stadt Leipzig verfolgt die ambitionierte Zielsetzung, bis spätestens 2050 den Zustand der Klimaneutralität zu erreichen und damit ihrer originären Verantwortung für die Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen gerecht zu werden. Ein schrittweiser Umsetzungsplan mit kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen soll dafür erstellt werden. Unter anderem ist ein Konzept zur klimaneutralen Verwaltung 2035 bis zum 4. Quartal 2020 und ein Konzept zur klimaneutralen Strom- und Wärmeversorgung der Stadt Leipzig 2040 bis zum 4. Quartal 2022 dem Stadtrat vorzulegen.
  3. Bei allen städtischen Entscheidungen sind damit der Klimaschutz sowie der Schutz der Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels prioritär zu beachten. Die beantragte Vorlagenprüfung hinsichtlich der abschätzbaren Klimawirkungen erfolgt innerhalb der Vorlagensystematik sowie im strategischen Zielsystem des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes Leipzig 2030 (INSEK) unter besonderer Berücksichtigung der Sozialverträglichkeit. Die abschätzbare Klimawirkung einer Vorlage ist so darzulegen, dass die Folgen und ihre Ausmaße im Falle eines Beschlusses ersichtlich werden.
  4. Zur Ausgestaltung und Kommunikation zukünftiger Ziele und Maßnahmen im Energie- und Klimaschutzprozess wird der bestehende Beirat des Forums Nachhaltiges Leipzig beratend einbezogen und um FraktionsvertreterInnen, Mitglieder des Jugendparlamentes sowie externe Fachleute aus Umweltverbänden und -vereinen erweitert.
  5. Die städtischen Eigenbetriebe und Beteiligungsunternehmen sind aufgefordert, auf eine noch stärkere Berücksichtigung klimaschutzrelevanter Aspekte und Aktivitäten im Rahmen ihrer Geschäftspolitik hinzuwirken (u. a. Nachhaltigkeitskriterien für Finanzanlagen). Eine Information über relevante Projekte und Maßnahmen erfolgt im Zuge der Berichterstattung zur Umsetzung von unternehmens- bzw. betriebsspezifischen Eigentümerzielen in den jeweiligen Gremien.
  6. Der Oberbürgermeister berichtet weiterhin im jährlichen Umsetzungsbericht „Europäische Energie- und Klimaschutzkommune" über den Sachstand der Klimaschutzaktivitäten der Verwaltung, ihrer Eigenbetriebe und Beteiligungsgesellschaften. Dieser Bericht wird im Vorfeld einer ab 2020 geplanten, jährlichen klimapolitischen Stunde der Ratsversammlung vorgelegt. Der Umsetzungsbericht für 2018 wird den Gremien noch vor der Sommerpause 2020 zusammen mit einem Sofortmaßnahmenprogramm und einer zukünftigen Prioritätenliste von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele (u. a. unter Berücksichtigung des Flughafens Leipzig/Halle) zur Verfügung gestellt. Zudem wird die Klimaanpassungsstrategie der Stadt Leipzig weiterentwickelt sowie fortgeschrieben und im Rahmen des Umsetzungsberichtes dem Stadtrat zur Kenntnis vorgelegt. Darüber hinaus führt die Stadt Leipzig ein Klimaschutz-Monitoring ein, mit dem Fortschritte oder Rückschritte privater und öffentlicher Maßnahmen beim Klimaschutz messbar gemacht werden.
  7. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich als Präsident des Deutschen Städtetags für eine ambitionierte Klimaschutzpolitik auf Bundesebene einzusetzen, die sich an den verbindlichen Zielvereinbarungen des Pariser Klimaabkommens von 2015 orientiert.
  8. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, den Fortschreibungsprozess des aktuellen Energie- und Klimaschutzprogramms zu nutzen, um Maßnahmenpakete zur wirksamen Reduzierung von Treibhausgasemissionen in allen klimarelevanten Sektoren hinsichtlich der Zielerfüllung der Klimaschutzziele 2030 zu bündeln und zu bewerten. Die Bewertung wird dabei von dem in Punkt 4 genannten erweiterten Beirat vorgenommen, welcher zugleich Maßnahmen vorschlagen kann. Die Eckpunkte des Energie- und Klimaschutzprogramms 2030 werden der Öffentlichkeit im Frühjahr 2020 auf der dritten Leipziger Klimakonferenz präsentiert und zur Diskussion gestellt. Bis dahin werden auch künftige Anreiz- und Förderimpulse aus der Klimaschutzgesetzgebung von Landes- und Bundesebene in die Maßnahmenausrichtung einfließen.
  9. Der Oberbürgermeister wird beauftragt zur Erfüllung der verschiedenen Aufgaben, die im Rahmen des Klimanotstandes zu bearbeiten sind, den Stellenplan der Klimaschutzleitstelle anzupassen und zu einem eigenen Referat für Themen der Nachhaltigkeit (u. a. Klimaschutz und Klimaanpassung) innerhalb der Stadt zu entwickeln und dem Stadtrat bis zum 31.03.2020 einen Vorschlag vorzulegen.

BEGRÜNDUNG

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen umfassen 17 Aspekte zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene. Auch Deutschland hat sich zu deren Umsetzung bis 2030 verpflichtet.

Zu diesen 17 Zielen gehört sowohl das Ende der Armut in all ihren Formen (Ziel 1) als auch der Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen (Ziel 13). Die UN-Agenda sieht dafür vor, global zu denken und lokal zu handeln.

Mit dem Klimanotstand und den vorgeschlagenen Maßnahmen zu seiner Ausgestaltung bekennt sich Leipzig zum Pariser Klimaschutzabkommen und nimmt seine Verantwortung hinsichtlich der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wahr.

Einerseits werden wir ohne nachhaltige Entwicklung den Klimawandel nicht stoppen können. Andererseits ist eine lebenswerte Umwelt Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung.

Um die globale Erwärmung, wie in den Pariser Klimaverträgen festgeschrieben, auf maximal 1,5°C zu begrenzen, darf das weltweite CO2-Budget von 500 Gt nicht überschritten werden. Deutschland bleibt somit anteilig an der globalen Bevölkerung ab 2020 noch 6,6 Gt. Bei der von Deutschland angestrebte Klimaneutralität ab 2050 wird Deutschland jedoch rund 13 Gt CO2 ausgestoßen haben. Das ist weder gerecht noch verantwortungsbewusst. Wer Klimaschutz und Klimagerechtigkeit anstrebt, muss bis 2035 klimaneutral sein.

Als Stadt Leipzig sind unsere Spielräume jedoch beschränkt. Wir werden nicht alle Bereiche des alltäglichen Lebens in Leipzig dekarbonisieren können. Hier Bedarf es Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene. Als Stadt Leipzig können wir jedoch unseren Beitrag leisten. Wir fordern deswegen ein Konzept bis zum 4. Quartal 2020 vorzulegen, das eine CO2-neutrale Verwaltung bis 2035 ermöglicht.

Des Weiteren ist es für uns wichtig, dass der Kampf gegen den Klimawandel nicht auf dem Rücken der Ärmeren ausgetragen wird. Schon jetzt sind sie am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen und zahlen prozentual mehr für dessen Bekämpfung. Wir werden deswegen alle Maßnahmen sozialverträglich gestalten.

Die Prioritätenliste von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele muss natürlich auch die größten Verursacher von Schadstoff- und Lärmemissionen in Leipzig und Region umfassen. Darunter fällt u. a. das Braunkohlekraftwerk Lippendorf. Hier fordern wir einen vollständigen Ersatz der bisher aus dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf gelieferten Fernwärme. Gas sehen wir als Brückentechnologie an und fordern daher, die Strom- und Wärmeversorgung der Stadt Leipzig spätestens bis 2040 komplett auf Erneuerbare Energien umzustellen. Ein Konzept zur klimaneutralen Strom- und Wärmeversorgung soll bis zum 4. Quartal 2022 erarbeitet werden.

Zudem muss auch der Flughafen Leipzig/Halle bei den Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigt werden. So betrug der CO2-Ausstoß 2018 im direktem Umfeld des Flughafens 130.000 Tonnen (nur Starts und Landungen gerechnet), was einem Klimaschaden von 23,4 Millionen Euro entspricht (das Umweltbundesamt hat für die Bewertung von Klimaschäden vorerst einen Kostensatz von 180 Euro / Tonne CO2 ermittelt) oder etwa dem Abgasausstoß von 90.000 Mittelklasse PKWs (6,5 l / 100 km) bei einer jährlichen Fahrleistung von 10.000 Kilometern gleichkommt. Bei Nichtberücksichtigung des Flughafens Leipzig/Halle wird die Umweltbilanz der Stadt Leipzig auch in der Zukunft negativ ausfallen.

Auch der Erhalt des Leipziger Auwaldes sollte im Rahmen des Klimanotstandes besondere Berücksichtigung finden. Natürliche Wälder speichern CO2 in großen Mengen, haben eine klimatische Ausgleichswirkung und schützen so auch die Gesundheit der LeipzigerInnen. Durch Trockenheit und Schädlingsbefall erfolgt aktuell eine erhebliche Auslichtung der Bestände im Auwald, weshalb eine neue Strategie im Sinne einer ökologischen Waldpflege notwendiger denn je ist. Daher ist der Forstwirtschaftsplan 2019 ist vor dem Hintergrund des Klimanotstands konkret und gewissenhaft auch hinsichtlich seiner Auswirkung auf die Klimabelange zu prüfen.

Während es Aufgabe des Klimaschutzes ist, menschengemachte Veränderungen des Klimas zu verhindern oder einzudämmen, ist Klimaanpassung die Notwendigkeit, sich den bereits eingetretenen und erwarteten Veränderungen zu stellen, um Schäden an Menschen, Umwelt und Infrastruktur abzuwenden oder abzuschwächen. Demnach müssen neben den Maßnahmen zum Klimaschutz auch systematisch geplante Anpassungen an die Folgen des fortschreitenden Klimawandels (wie häufiger auftretende Starkregenereignisse, Stürme, Hitzewellen oder Trockenperioden) umgesetzt werden. Hierbei sollte die neue internationale Norm ISO 140901, die bei der Anpassung an Klimafolgen unterstützen kann, und die Toolbox „Klimaanpassung im Stadtbau“ vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI)2 Berücksichtigung finden.

Die Bearbeitung der aus dem Klimanotstand resultierenden Aufgaben erfordert einen deutlichen Stellenaufbau der bisherigen zwei Stellen bei der Klimaschutzleitstelle. Klimaschutz und Klimaanpassung müssen zukünftig als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung anerkannt werden. Darüber hinaus bedarf es einer engeren Zusammenarbeit mit dem Aufgabenbereich nachhaltige und klimafreundliche kommunale Beschaffung. Aus diesem Grund fordern wir die Umwandlung der Klimaschutzleitstelle in ein Referat für Themen der Nachhaltigkeit.

75 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen in Städten.3 Daher fällt auch Leipzig bei der erfolgreichen Bekämpfung des Klimawandels eine Schlüsselrolle zu. Wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Fraktion DIE LINKE und Jugendparlament von Leipzig erwarten deshalb, dass der Klimanotstand für Leipzig nicht nur ein symbolischer Akt bleibt, sondern konkrete Maßnahmen daraus erfolgen, die dem städtischen Klimaschutz gerecht werden.

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