Rede von Anna Kaleri in der Ratsversammlung am 8. Dezember zum Antrag "OpenAir - Tanzfläche für Leipzig"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

„El Tango es un abrazo.“

Dieser Satz stammt aus Argentinien oder Uruguay, wo sich Tango in den Hafenstädten, im Zusammentreffen von Menschen aus verschiedensten Herkunftsländern seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte. Der Tanz wird heute weltweit getanzt und zählt seit 2009 zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe.

„Der Tango ist eine Umarmung.“ Zwei Menschen kommen zusammen, kommunizieren ohne Worte, dafür in der Sprache des Tangos. Oberkörper berühren sich, Oberarm an Oberarm, Hand in Hand, ursprünglich sogar Wange an Wange.
Was für eine Vorstellung in einer Zeit, in der wir einander, wenn überhaupt, mit Ellenbögen oder Fäusten begrüßen, wo körperliche Nähe als Inbegriff des Gefährlichen und Infektiösen gilt und eben auch ist.

Wenn ich auf die Zeit nach dieser Pandemie schaue, werden wir viele Ansätze brauchen, um zwischen Menschen wieder Nähe und Vertrauen in diese aufzubauen, und darunter wird auch Tanz sein. Und solange uns die Pandemie in Schach hält, brauchen wir Kultur, um nicht in Vereinsamung, Verbitterung und Dumpfheit abzugleiten und um uns nicht nur konsumierend, sondern als selbsttätig zu erleben. Und die Kultur braucht auch uns, um diese schwere Zeit zu überstehen und unsere Gesellschaft weiter auf einem pluralistischen Weg zu halten.

Sie erinnern sich vielleicht an den Flashmob aus der Salsa Szene vor dem neuen Rathaus. Auch dies eine Art der nonverbalen Kommunikation, aber fröhlicher. Beiden Tanzarten ist gleich, dass sie in Leipzig schon seit Mitte der 90er Jahre getanzt werden und dass sie nur im öffentlichen Bewusstsein sichtbar werden, wenn open air getanzt wird. Vielleicht haben sie an einem lauen Sommerabend Tanzende am Ufer des Elsterbeckens entdeckt, bei Musik, die bassfrei und leise ist, oder gar daneben in den leeren Wasserbecken des Palmengartens. Als es um Baumaßnahmen am Palmengarten ging und in diesem Zuge auch die Becken instandgesetzt und gefüllt werden sollten, kam die Idee auf, die Platten am Elsterufer so zu glätten, dass dort professionelles Tanzen möglich wird oder aber einen rollbaren Tanzboden anzubringen – zu beidem gab es Bedenken aus Richtung Denkmalschutz, verständlicherweise. Inzwischen gab es erste Kontakte von Akteur*innen der Leipziger Tango argentino und Salsa Szene mit dem Amt für Stadtgrün und Gewässer, Abteilung Freiraumentwicklung. Der vorliegende VSP zeigt, dass das Anliegen dort auf offene Ohren stößt und schlägt vor, gemeinsam geeignete Standorte zu finden, die zum Tanzen ertüchtigt werden, natürlich ohne neue Flächenversiegelung.

Der Änderungsantrag der CDU kam nicht nur unangekündigt, sondern wird anscheinend in der eigenen Fraktion nicht einhellig aufgenommen und in der Tanzszene schon gar nicht. Zwar erscheint es auf den ersten Blick charmant, vor dem neuen Rathaus zu tanzen, aber auf den zweiten wird doch Einiges sichtbar.

  1. Ein Politikstil, den ich nicht teile. Zeitgemäße Politik nimmt Anliegen aus der Bevölkerung auf, sucht den Austausch mit Expert*innen und traut ihnen eigene Entscheidungen zu und lässt das Bühnenlicht auf ihren Köpfen.
  2. Hätte der Verfasser den Austausch mit Tanzenden gesucht, so hätte er viel gelernt, z. B. dass Tanzschuhe eine Chromledersohle besitzen und diese mit einer Drahtbürste immer wieder aufgeraut werden, wie auch der Tanzboden mit Haftpulver versehen, um die Balance zwischen glatt und zu glatt zu erhalten, – dass Tanzboden eben nicht irgendein Belag ist, sondern gleitende Schritte und Drehungen ermöglicht, und dass
  3. Tanzende für einen kurzen Flashmob auch mal eine unpassende Bodenbeschaffenheit in Kauf nehmen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Aber auf rauen Platten mit Ritzen und Verletzungsgefahr zu tanzen, ist eben eine Notversion.

Da ich es natürlich als schönes Signal Richtung Tanzstadt Leipzig sehen würde, wenn im Herzen der Stadt getanzt wird, so denke ich, der Rathausvorplatz wird von den Akteur*innen und der Verwaltung unter den verschiedenen Optionen geprüft, insbesondere ob hier ein Rollboden mit Hülle dauerhaft verortet werden kann.

Der Antrag wurde in den Vorbesprechungen im Kulturausschuss und FA Umwelt, Klima, Ordnung in der Fassung des Verwaltungsstandpunktes positiv votiert, und ich bitte im Sinne der Tanzenden um Ihr Ja zum VSP, für den ich danke und der besagt, alle Optionen zu prüfen.

Eines Tages, in einer hoffentlich nicht mehr fernen Zeit, wird Umarmung wieder frei von Sorge sein – dann werden eine Open Air Tanzfläche oder sogar mehrere Flächen die Attraktivität unserer schon so kulturvollen Stadt steigern und die pure Lust am Leben verkörpern. Und sie werden bis dahin auch zum Überleben von Tanzschulen und Vereinen beitragen.

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