Rede von Anna Kaleri vom 23. Juni 2021 zum Antrag " Leipzig erinnert an die Pädagogin und Publizistin Maria Grollmuß"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Wie fortschrittlich ist unsere Gesellschaft?
Ein Gradmesser für diese Frage ist, welchen Platz Frauen in ihr einnehmen, welche Rollen ihnen zugedacht werden oder sie einnehmen, wie umkämpft oder selbstverständlich es ist, dass ihnen die Hälfte von Einfluss, Einkommen, Präsenz zusteht.

Während im öffentlichen Fernsehen bei Fußballtalkrunden inzwischen auch immer eine Frau als Expertin dabei ist, herrschen beim Blick in manches Podium Anzüge und Bärte. Auch hier im Stadtrat durften wir schon erleben, wie Männer ihr Geschichtswissen und damit auch ihre Deutung zum besten gaben und dass in der Stadt Leipzig, die ansonsten gut und sicher im 21. Jahrhundert angekommen ist.

Ich möchte anlässlich des hier zu besprechenden Antrags eben keine Geschichtsstunde abhalten, sondern auf eine spannende, weiter zu entdeckende Persönlichkeit verweisen, die in Leipzig noch weitest gehend unbekannt ist.

Am 24.4.2021 wäre Marja Grólmusec 125 Jahre geworden. Zu diesem Anlass führte die Luise Otto Peters Gesellschaft eine kleine, feine und bewegende Gedenkveranstaltung am Freiflächendreieck an der Friedrich-Ebert-Straße durch. Dort war auch ein Flyer mitzunehmen als weiterer Schritt Marja Grólmusec mehr ins öffentliche Bewusstsein zu heben.

Marja Grólmusec / Dr. Maria Karoline Elisabeth Grollmuß wurde 1896 als Sorbin in Leipzig geboren und war Pädagogin und Publizistin. Sie starb 1944 als „Politische“ im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Überlebende Mithäftlinge erinnerten sich: ihr "verliehen Natur und tiefgründige Bildung ein sanftmütiges Ausharrungsvermögen und behutsame Klugheit".
Die religiös-sozial motivierte Publizistin war eine der ersten politischen Journalistinnen und strebte ein Zusammenführen linker katholischer und sozialistischer Kräfte an, dabei auch die Rolle der Frau in der Politik betonend. So publizierte sie z.B. die Schrift "Die Frau und die junge Demokratie."
Am Beispiel der Marja Grólmusec / Maria Grollmuß kann gesellschaftliche Veränderung als Folge sozialdynamischer Prozesse, die Krisen und politische Kontroversen als Ursache hatten, biographisch nachvollzogen werden. An ihr wird aber auch das Band sichtbar, das es seit jeher zwischen sorbischer und Leipziger Geschichte gab. Sorbische Flur- und Ortsnamen sind uns geläufig, weniger aber, dass sorbisch sprechende Bevölkerungsteile in Mitteldeutschland z.B. für die Lutherzeit belegt sind.
Marja Grólmusec Vater stammt aus Radibor und war Direktor der ersten katholischen Bürgerschule in Leipzig. Marja Grólmusec hat hier studiert und gelebt. Bis heute kommen viele Sorb*innen zum Studium nach Leipzig, manche bleiben hier, manche pendeln, manche gehen zurück in die Lausitz.
Die sorbische Kultur geht weit über bemalte Ostereier und Osterreiten hinaus. Ihre Geschichten und Mythen sind auch unsere, Sorbisch ist in Teilen Sachsens Amtssprache. Ich fände eine breitere Hinführung zur Vielfältigkeit unserer Geschichte wünschenswert, die Schlüssel ist für ein reichhaltiges, aufgeschlossenes Miteinander und damit ein Gegengewicht zu Nationalismus und faschistischen Tendenzen.

Die vorliegende zweite Neufassung nimmt Vorschläge der Verwaltung auf, bildet einen Kompromiss, bleibt aber auch dabei, dass eine Gedenktafel sicher ein Weg der Würdigung darstellt, wir uns aber eine intensivere, bleibende Auseinandersetzung wünschen und denken, dass diese konzeptionell beim Beirat für Kunst im Öffentlichen Raum in den richtigen Händen ist.

Unser Antrag steht für mehr Sichtbarkeit von Frauen im Öffentlichen Raum, im gemeinsamen Gedächtnis und der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit. Leipzigs Gesicht haben so viele fortschrittliche, tolle Frauen in verschiedensten Kontexten geprägt, Caroline Neuber, Christiana von Ziegler, beispielsweise und Marja Grólmusec ist ein weiter zu entdeckende zwischen ihnen.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem im Kulturausschuss positiv votierten Antrag.

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