Rede von Bert Sander in der Ratsversammlung am 22. Januar 2020 zum Antrag der Linksfraktion „Umbenennung Arndtstraße“

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Foto: Martin Jehnichen

-es gilt das gesprochene Wort-

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürgermeister und Bürgermeisterinnen,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
liebe Gäste,

ja, es ist selbstverständlich, beinah eine Binse, dass man Ernst Moritz Arndt aus seiner Zeit, also der ersten Hälfte des 19. Jh., heraus begreifen muss:

Im 19. Jh. wird der Antisemitismus systematisch, pseudo-wissenschaftlich; es ist das Jh. der z. B. der Physiognomik, einer Lehre, in der man meint, aus Gesichtsmerkmalen, so z. B. aus der Formung von Nasen, auf den Charakter eines Menschen schließen zu können, übrigens der Physiker und vorzüglicher Aphoristiker Georg Christoph Lichtenstein konterte diesen Unsinn mit einer Physiognomik der Schwänze.

Es ist das Jahrhundert der Anthropologie, der Menschenkunde, des Vulgär-Materialismus, des Biologismus, des Sozialdarwinismus.

Diese pseudo Wissenschaften gipfeln in den Rassentheorien eines Arthur de Gobineau (1816–1882) oder eines Houston Stewart Chamberlain (1855–1927).

Es geht von nun an um mehr als um antisemitische Ressentiments – kurzum, im 19.Jh. wird der Antisemitismus eklig.

  • Das Argument, wenn wir so mit Ernst Moritz Arndt umgehen, dann müsste auch den Martin-Luther-Ring umbenannt werden, greift nicht.
  • Luthers Antisemitismus/Antijudaismus war nicht rassistisch, er war theologisch begründet. In Luthers Schrift „Vermahnung wider die Juden“ heißt es:

„Wo sie sich aber bekehren, ihren Wucher sein lassen und Christum annehmen, so wollen wir sie gerne als unsre Brüder halten. Anders wird nichts draus“

Noch was: Nicht nur Martin Luther oder Ernst Moritz Arndt müssen aus/in ihrer Zeit begriffen werden. Auch unsere Positionen bzw. Entscheidungen sind Zeit- und Raumgebunden.

  • Unsere Zeit allerdings hat etwas von Gespenster-Dämmerung. Nicht selten fühlt man sich heute von Geistige Widergänger regelrecht umzingelt, und diese Untoten halten sich nicht damit auf, etwa Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit zu begreifen, sondern verlängern ihn mal locker in heutige Debatten hinein bzw. rufen ihn – wieder einmal – als Gallionsfigur für nationalistische, fremdenfeindliche, antisemitische Hasstiraden auf.

Daher: In anderen, beruhigten, verantwortungsvolleren, sorgsameren, friedlicheren Zeiten hätte ich den Antrag der Linken abgelehnt, heute allerdings muss ich ihm zustimmen.

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