Rede von Dr. Gesine Märtens in der Ratsversammlung am 19. November 2019 zum Änderungsantrag unserer Fraktion zur Drucksache „Weiterentwicklung Jubiläen und Themenjahre der Stadt Leipzig ab dem Jahr 2021“

-es gilt das gesprochene Wort-

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
werte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Gäste,

„Welche Geschichte wollen wir von Leipzig erzählen? Wie soll das „kulturelle Gedächtnis“ der Stadt aussehen?“

Das sind wichtige und richtige Fragen, die diese Vorlage aufwirft und es ist richtig und wichtig, dass wir uns gemeinsam die Tradition der Jubiläen zu nutzen machen, um Stadtgeschichte neu zu schreiben.

Kunst und Kultur sind von je her Orte gesellschaftlicher Innovation. Kunst ist von je her ein Visionsraum, der gesellschaftliche Bewegung vorformuliert. Kunst ist in diesem Sinne immer gesellschaftspolitisch. Auch wenn das nicht immer direkt offenbar wird.

Es ist ein richtiger Gedanke Kunst und Kultur so zu fördern, dass sie die Geschichte der Stadt kritisch in den Blick nimmt und zu neuen historischen Erkenntnissen gelangt, die uns allen zur Verfügung gestellt werden.

Wir brauchen diese Erneuerung. Denn das Wissen der Geschichte ist kein Selbstzweck, sondern unser menschlicher und politischer Handlungsleitfaden. Aus den Reaktionen unserer Vorgängerinnen und Vorgänger auf Aufgaben, Konflikte und Krisen, aus ihren Erfolgen und ihren Fehlern lernen wir. Aus ihnen leiten wir die Maßstäbe unseres heutigen Handelns ab.

Wegen dieses Ableitungsprinzips, das heißt, weil wir in der Historie Antworten auf unsere gegenwärtigen Fragen suchen, müssen wir die Geschichte immer wieder neu befragen. Die Fragen nach dem „Wer“, dem „Wie“ und dem „Warum“ immer wieder neu beantworten.

„Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“
(Berthold Brecht, Fragen des lesenden Arbeiters, 1935) Die brechtsche Klassenfrage aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist im Vorschlag des Kulturdezernats deutlich erkennbar.

Es ist unumgänglich für unser Handeln im 21. Jahrhundert, dass wir die Geschlechterfrage hinzufügen.

Wenn die Stadt ihrem eigenen Ziel einer Förderung einer neuen, vielfältigen und identitätsstiftenden Stadtgeschichtsschreibung näherkommen will, muss sie in Zukunft der Tatsache Rechnung tragen, dass in unserer Stadt schon immer mindestens 50 % der Bewohner*innen Frauen waren.

Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu und lassen Sie uns gemeinsam an einer neuen Stadtgeschichte schreiben.

Vielen Dank!

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