Rede von Dr. Gesine Märtens am 16. April zur Vorlage "Ergebnisse des künstlerischen Wettbewerbsverfahrens und Planungsbeschluss zur Umsetzung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Leipzig"

- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Weiße Blätter. In Russland und China werden Menschen verhaftet, weil sie mit weißen Blättern demonstrieren. Die Leere wird dort zur machtvollen Botschaft gegen Unterdrückung. Hier in Leipzig diskutieren wir leidenschaftlich über weiße Flächen eines Denkmals – ist das nicht ein wunderbares Zeichen gelebter Demokratie?
Wir wollen ein Denkmal für Freiheit und deutsche Einheit. Und wir machen es uns damit nicht leicht. Keines der bestehenden Denkmäler in Leipzig bewegt die Gemüter so sehr. Vielleicht liegt es daran, dass Freiheit selbst so schwer zu fassen ist.
Freiheit ist kein fertiges Produkt, das man kaufen oder besitzen kann. Sie ist ein Prozess, eine ständige Aufgabe. Jede und jeder von uns erlebt und gestaltet sie anders. Sie weist in die Zukunft und bleibt immer unvollendet – genau wie unser Denkmal.
Auch mit der Einheit ist es nicht einfacher. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung spüren wir: Die Einheit ist ein unvollendetes Projekt. Aber ist es nicht großartig, dass wir in einer Demokratie in Freiheit um diese Fragen ringen dürfen?
Das geplante Denkmal mit seinen weißen Flächen provoziert – Aristoteles nannte es "Horror Vacui", die Angst vor der Leere. Diese Leere fordert uns heraus, sie mit Leben zu füllen. Genau wie die Freiheit selbst.
Wir hören die Stimmen derer, die damals dabei waren: "Wir sind doch nicht mit leeren Transparenten gelaufen."
Die CDU hat diese Stimme aufgenommen. Aber die vorgeschlagene Lösung gefährdet die Rechtssicherheit des künstlerischen Wettbewerbs und könnten das Urheberrecht verletzten.
Unser Antrag, der die Idee aufgreift, führt greift die Empfehlung der Künstler*innen auf: Temporäre künstlerische Interventionen, die das Denkmal in das kulturelle Leben der Stadt integrieren. Projektionen, Installationen, partizipative Aktionen – all das macht das Denkmal zu einem Ort lebendiger Auseinandersetzung mit den Werten der Friedlichen Revolution.
Dieser Ansatz entspricht unserem grünen Verständnis von Nachhaltigkeit und Partizipation. Er respektiert das Urheberrecht und die Wettbewerbsrichtlinien. Und er spiegelt wider, was Freiheit und Demokratie ausmacht: der ständige Dialog, das gemeinsame Ringen um Bedeutung.
Ja, wir werden uns um dieses Denkmal kümmern müssen. Aber das tun wir mit anderen Denkmälern auch. Wir reinigen sie, reparieren sie, schützen sie vor den Elementen. Genauso müssen wir uns um unsere Freiheit und unsere Einheit kümmern – sie sind nie "fertig", sondern bedürfen unserer ständigen Aufmerksamkeit.
Die vorgeschlagene Rahmenkonzeption stellt sicher, dass die Beteiligung der Bürger*innen eine Form findet und die Grundwerte der Friedlichen Revolution respektiert werden. Durch die Einbeziehung des Kuratoriums Friedliche Revolution wird die historische Bedeutung gewahrt.
In einer Zeit, in der Demokratie und Freiheit weltweit unter Druck stehen, brauchen wir Orte, die uns an den Wert dieser erkämpften Rechte erinnern. Nicht als verstaubte Mahnmale, sondern als lebendige Räume der Auseinandersetzung.
Lassen Sie uns gemeinsam ein Denkmal schaffen, das wie ein weißes Blatt Papier ist – nicht leer, sondern voller Möglichkeiten. Ein Denkmal, das wie die Freiheit selbst nie abgeschlossen ist, sondern immer wieder neu mit Leben gefüllt werden kann.
Denn genau das macht unsere Demokratie aus: dass wir gemeinsam um den besten Weg ringen können – in Freiheit und Einheit.
Vielen Dank.