Rede von Dr. Tobias Peter am 17. Mai 2023 zur verkehrspolitischen Stunde im Rahmen des Berichts des Oberbürgermeisters

- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, werte Beigeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
der Bericht unseres Oberbürgermeisters wurzelt in der Debatte der letzten Ratsversammlung zum Radweg vor dem Hauptbahnhof. Für mich und viele andere ein absoluter Tiefpunkt der politischen Kultur – polemisch, verhetzend, unfachlich – nicht mit Fakten, sondern Befindlichkeiten.
Diejenigen, die sonst am lautesten nach Recht und Ordnung rufen, haben am lautesten gegen die Umsetzung eines Urteils gewettert, erwägen juristische Schritte und fordern Ratsbeschlüsse, wo es um Verwaltungshandeln geht.
Stand heute bleibt von dem Theaterdonner nichts übrig: kein Verkehrschaos, kein Stau, der Radweg wird angenommen und Fußgängerinnen haben mehr Platz. Ich fände es gut, wenn wenigstens manche, die sich aufgeregt haben vor einem Monat, auch mal die Größe hätten zu sagen, dass sie sich getäuscht haben, dass sie überzogen haben - fänd ich gut.
Fähigkeit zur Korrektur, zum Lernen gehört zu guter Politik und wir Grüne fangen gern damit an. Wie viele andere haben wir lange geglaubt, dass der Beschluss der Nachhaltigkeitsstrategie und der damit zusammenhängenden Konzepte reicht, um daraus verkehrspolitische Maßnahmen abzuleiten.
Wie oft reden wir hier immer wieder und sehr fachlich über Verkehrspolitik: über Netzerweiterungen und Erhaltungsmaßnahmen, Durchschnittsgeschwindigkeiten, Car Sharing oder Leitsysteme fürs Parken.
Aber ganz offenbar haben wir als Rat und Verwaltung Teile der der Stadtgesellschaft noch nicht erreicht. Ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit unsere Ziele teilt, das aber oft die Übersetzung fehlt, um konkrete Maßnahmen nachzuvollziehen. Und diese Übersetzungsarbeit müssen wir leisten.
Das beginnt bei der Problembeschreibung, bei der sich doch die große Mehrheit der Leipziger einig ist: Egal, ob zu Fuß, per Rad oder im Auto, wie bisher vor dem Hauptbahnhof ist der Verkehr in der ganzen Stadt doch viel zu oft total nervig, manchmal geradezu gefährlich:
Es ist doch nicht gut, dass sich jüngere und ältere Menschen nicht auf die Straße oder aufs Rad trauen, weil sie Angst haben, angefahren zu werden.
Es ist doch nicht gut, dass Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, weil es den Radweg zur Schule nicht gibt.
Es ist doch nicht gut, dass man bis zu siebenspurige Autobahnen überqueren muss, um in die Innenstadt zu kommen.
Es ist doch nicht gut, dass Kinder in unserer Stadt nicht mehr auf der Straße spielen können.
Es ist doch nicht gut, dass Anwohnerinnen an Hauptstraßen ihre Fenster nicht öffnen können, weil sie vor Lärm und Abgasen krank zu werden drohen.
Weder die Aggressivität auf unseren Straßen noch die viel zu hohe Zahl an Verkehrstoten und -verletzten sind gut.
Und genau deshalb müssen wir etwas ändern. Genau deshalb haben wir – mit breiter Mehrheit - mit dem Nachhaltigkeitsszenario beschlossen, Fuß und Rad, Bus und Bahn zu stärken – und im Gegenzug den Anteil des Autoverkehrs zu reduzieren. Ich rufe noch mal die Zielsetzungen beim Modal Split in Erinnerung:
Wir wollen Anteile der Fortbewegungsmittel an allen Fahrten ändern:
ÖPNV von 18 % (2018) auf 23% (2030)
Den Anteil des Fußverkehrs von 25 %
Fahrrad 17 % auf 23%
Auto 40 % auf 30%
Das haben wir vor wenigen Jahren intensiv mit allen Beteiligten diskutiert und mit breiter Mehrheit beschlossen – auch sie von der CDU! Und jetzt, wo es konkret wird, machen sie sich aus dem Staub – verlässliche Politik mit Rückgrat geht anders.
Wir stehen zu diesen Zielen und genau deshalb bauen wir diese Stadt um:
Für das Kind, das endlich sicher zur Schule laufen kann.
Für die Oma, die endlich sicher mit dem Rad in die Innenstadt fahren kann.
Für den Pendler, der pünktlich mit der Straßenbahn zur Arbeit kommt.
Für alle, die im Sommer endlich ihr Fenster an der Ausfallstraße wieder öffnen können.
Ja, und für all diejenigen, die als Handwerker oder Lieferdienst zügig mit dem Auto durch die Stadt kommen können, um ihren Job zu machen.
Wir bauen diese Stadt für Menschen um. Und das heißt ganz konkret: ihnen mehr Raum geben zum Fahrrad fahren, zum zu Fuß gehen, für die Straßenbahn, zum Verweilen. Wer dieses Ziel teilt, muss den Verkehrsraum neu, muss ihn gerechter aufteilen – für Radwege, Fußwege, Straßenbahntrassen. Und ja, dafür weichen dann im Gegenzug auch Autospuren.
Denn rufen wir uns in Erinnerung: 60-70% des öffentlichen Raums sind für das Auto geplant. Das passt nicht zum Ziel, den Autoverkehr auf 30% zu reduzieren. Und es passt auch nicht dazu, dass in weiten Teilen unserer Stadt nur eine Minderheit überhaupt ein Auto besitzt – z.B. in Volkmarsdorf haben gerade 167 von 1.000 Einwohnern überhaupt ein Auto – keine 17%! Und deshalb ist es richtig, dort auch Konzepte wie Superblocks voranzubringen.
Wir müssen endlich Flächengerechtigkeit und Verkehrsgerechtigkeit herstellen. Nur wenn die Attraktivität für Fuß und Rad, Bus und Bahn steigt, steigen die Menschen um, fahren weniger Autos und haben all die freie Fahrt, die auf das Auto angewiesen sind.
Diese Strategie ist nichts, was nur wir in Leipzig, nicht, was nur wir Grüne verfolgen – diese Strategie des Stadtumbaus für nachhaltige Mobilität wird weltweit erfolgreich verfolgt: Kopenhagen, Barcelona, Amsterdam, Paris oder Gent – ich konnte mich selbst davon vor Ort überzeugen. Als internationale, weltoffene Messestadt müssen diese Städte auch unser Maßstab sein.
Und ja: überall, wo gebaut wird, muss geplant werden, gibt es Fragen und Kritik, gibt es Verzögerungen, Einschränkungen, Zumutungen, ist es auch mal laut und lästig. All das darf aber das Ziel nicht infrage stellen.
Ja, wir müssen offensiver werben, wo wir mit unserer Mobilitätsstrategie hin wollen, Vorteile kommunizieren, welche Schritte wir schon geschafft haben und was konkret als nächstes ansteht.
Und wir müssen endlich auch mal würdigen, was wir alles schon tun.
Es ist gut, dass die Umsetzung der Mobilitätsstrategie von Thomas Dienberg und seinem Team angegangen wird, damit der Verkehr in Leipzig entspannter und sicherer wird.
Es ist gut, dass nahezu täglich neue Radwege markiert werden und das Netz immer dichter wird.
Es ist gut, dass wir in Rekordzahl in den ÖPNV investieren, damit das Angebot noch attraktiver wird.
Es ist gut, dass Thomas Dienberg eine Initiative hunderter Städte zur Ermöglichung von Tempo 30 anführt und Pilotprojekte in Leipzig anschiebt.
Es ist gut, dass wir in Leipzig den ersten Superblock einführen.
Und wir könnten noch besser sein, wenn Bundesverkehrsminister Wissing uns mehr kommunale Spielräume und Landesverkehrsminister Dulig eine ausreichende Finanzierung für den ÖPNV geben würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir bauen diese Stadt für Menschen um. Und wer aus der Mobilitätswende einen Kulturkampf machen will, wer versucht zu spalten, wird scheitern. Weil wir fast alle nicht nur laufen, nicht nur radeln und nicht nur mit dem Auto unterwegs sind. Wir schaffen es nur miteinander.
Wir haben noch jede Menge Aufgaben vor der Brust, aber wir haben auch großes Potential, die Mobilitätswende zu einem Gewinn für alle zu machen. Für eine Stadt, in der wir entspannt, sicher und zügig unterwegs sein können. Auf dem Ring und überall sonst.
Vielen Dank!