Rede von Dr. Tobias Peter am 18. Mai 2022 zum Antrag "Verbesserung von Familienfreundlichkeit in der Ratsarbeit"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Oberbürgermeister, werte Beigeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen und Gäste,

wir befassen uns heute durch diesen Antrag zur familienfreundlichen Ratsarbeit auf den ersten Blick mit uns selbst und die Frage, wie wir gemeinsam miteinander arbeiten wollen. Auf den zweiten Blick geht es jedoch um deutlich mehr, geht es im Kern um die Demokratie, um die Frage, wie es uns gelingt, die unterschiedlichen Perspektiven unserer Stadtgesellschaft im Rat abzubilden.

Sophia Kraft hat darauf hingewiesen, trotz freier und gleicher Wahl sind
Bürger*innen, die sich in einer aktiven Erziehungszeit von Kindern befinden, in unseren Reihen unterrepräsentiert. Warum? Die ehrenamtliche Arbeit als Stadtrat erfordert ein hohes zeitliches und persönliches Engagement - hier kommen schnell 20 – 30 Stunden zusammen.

Viele der Gremiensitzungen finden mit Rücksicht auf berufliche Verpflichtungen nachmittags oder abends statt. Dies führt dazu, dass Zeit für die Familie fehlt und die Belastung nur abzufangen ist, wenn zu Hause Partner*in oder Familienmitglieder bei der Betreuung von Kindern unterstützen.

Erziehende Eltern – so auch mein eigenes Erleben - sind in einem permanenten Spagat zwischen Beruf, Ratsarbeit, Familie und von Freunden ganz zu schweigen – mit dem Ergebnis eines schlechten Gewissens gegenüber sich selbst und allen anderen – man kann eben nicht das Kind ins Bett bringen, wenn die Ratsversammlung oder der Ausschuss bis um neun dauern – oder man kann eben nicht zur Veranstaltung, weil man sich um die Kinder kümmern will. Durch Corona hat sich dieser Spagat noch einmal verstärkt.

Und das ist nicht nur ein Frauenthema, es ist ein Thema von Eltern und damit auch Männern, die eine gleichberechtigte Erziehungsrolle leben möchten. Weil Frauen und Männer, die deshalb ein Mandat nicht antreten oder abgeben, ein Verlust sind, sollten wir endlich etwas dafür tun, um sie durch bessere Bedingungen für uns zu gewinnen.

Deshalb haben wir als Fraktionen Linke, SPD, Grüne sowie die Kollegen Matzke und Köhler einen entsprechenden Antrag mit konkreten Vorschlägen eingebracht.

1. Berechenbarkeit der Sitzungszeiten: Wir alle erleben, dass die Sitzungszeiten dieser Wahlperiode nicht mit denen der vorhergehenden Wahlperioden zu vergleichen sind. Fast jeden Monat haben wir zwei Ratsversammlungen, Fachausschüsse sind schwerer zeitlich kalkulierbar. Das bringt die familiäre Planung allzuoft durcheinander. Deshalb schlagen wir vor, für Stadtrat, Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräten verlässliche Endzeiten anzugeben und die restliche Tagesordnung im Bedarfsfall zu auf den nächsten regulären Termin zu verschieben.

Wir wollen 2. einen Kleinkindbereich mit Wickeltisch und geeigneten Stühlen zum Stillen in der Nähe der Ausschussräume im Neuen Rathaus. Damit greifen wir eine langjährige Forderung von Stadträt*innen auf. Damit wäre es z.B. während der RV möglich, mit Livestream im Nachbarzimmer zu stillen oder wie z.B. in München ein Spielzimmer für privat organisierte Betreuung während der Ausschusssitzung, etwa bei Regen oder Kälte zu nutzen.

Und nun 3. zum sicher weitreichendsten Punkt unseres Antrags, eine Kostenerstattung für Betreuungskosten.

Für betroffene Eltern und insbesondere Alleinerziehende ist bezahltes Baby-Sitting die einzige Alternative, wenn nicht Partner, Großeltern oder Freunde für eine kostenfreie Betreuung zur Verfügung stehen. Hier kommen schnell Kosten zusammen, die einen großen Teil der Aufwandspauschale auffressen. Hinzu kommt, dass die Aufwandspauschale vom Elterngeld abgezogen wird. Das ist schlicht ungerecht und benachteiligt junge Eltern massiv.

Wir wollen, dass Eltern von bis zu 12-jährigen Kindern in Stadtrat, Stadtbezirksbeiräten und Ortschaftsräten finanziell bei der bezahlten Betreuung des Kindes während der Sitzungszeiten unterstützt werden.

Wir ziehen eine solche Lösung deutlich z.B. einer Vor-Ort-Betreuung im Rathaus vor, weil sie lebensnäher ist und den individuell unterschiedlichen Herausforderungen besser gerecht wird. Denkbar ist eine individuelle Abrechnung von bezahlten Betreuungsleistungen, wie dies in Magdeburg – übrigens eigenständig vom SPD-Oberbürgermeister Trümper eingeführt – längst geübte Praxis ist. Ebenfalls denkbar und deutlich unbürokratischer wäre eine Betreuungspauschale für die betroffenen Eltern analog der Mobilitätspauschale.

Auch für andere Sorgearbeit, insbesondere Pflege älterer Menschen besteht diese Problematik, hier bitten wir ebenfalls um Prüfung eines geeigneten Modells.

Diese vier Punkte im Antrag vorgeschlagenen Punkte sind nicht abschließend. Wir begrüßen es sehr, wenn weitere Ideen für mehr Familienfreundlichkeit vorgebracht und geprüft werden. Stattdessen finden wir nun einen VSP vor, der auch zwei Wochen nach Antragseinreichung hätte kommen können. Ob es Hilflosigkeit oder Unwillen ist – von einem OBM, der mit einer progressiven Mehrheit ins Amt gekommen ist, hätten wir mehr erwarten können, mehr erwarten müssen. Sie haben trotz persönlicher Ansprache auf das Thema bisher keine Initiative gezeigt. Das enttäuscht mich auch persönlich. Nehmen Sie sich ein Beispiel an ihrer Parteikollegin, der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die eine Förderung von Frauen und Vereinbarkeit mit Familien in der Politik zu ihrem Schwerpunkt machen will. Machen Sie es zu ihrem Thema, vielleicht können Sie das Projekt Familienfreundliche Ratsarbeit beim Familienfreundlichkeitspreis einreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auch vom eher konservativen Spektrum.

Gehen Sie in sich und stimmen Sie unserem Antrag zu. Wir können nicht Zuwendung und Zeit von Eltern für ihre Kinder verlangen, wenn wir es selbst nicht vorleben. Wir können nicht Familienfreundlichkeit von Unternehmen fordern, wenn wir diese selbst als Stadtrat nicht ermöglichen. Lassen Sie uns als kinderfreundliche Stadt ein Signal für familienfreundliche Ratsarbeit setzen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Weil es 2022 ist.

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