Rede von Dr. Tobias Peter am 19. September 2024 zur Vorlage "Aussetzung der jährlichen Anpassung der Pauschalen (Entschädigungssatzung)"
- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, werte Beigeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Thema der Entschädigungen für Mandatsträger ist immer etwas heikel.
Ich weiß, dass man sich mit Verzicht auf Zuwendungen beliebt macht und die Gegenrede ziemlich unpopulär ist. Aber wir sollten uns bewusst machen, was wir hier entscheiden und welche Konsequenzen dies hat. Wir haben uns unsererseits als Fraktion im Hinblick auf diese Vorlage noch einmal intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt.
Dieser Vorlage liegt der Gedanke zugrunde, dass wir die Sachkosten für die Fraktionen moderat anheben für Inflationsausgleich und faire Bezahlung von Praktikant/innen und Freiwillige und im Gegenzug die Dynamisierung für die Stadträt/innen für zwei Jahre aussetzen – soweit so klar
Ein Problem - den wir im Ältestenrat - hier schließe ich mich ein - nicht ausreichend diskutiert haben: Wir entscheiden nicht nur über uns Stadtrat/innen in dieser Wahlperiode, sondern auch über Stadträt/innen der letzten Wahlperiode sowie Beiräte, Ortschaftsräte, Friedensrichter/innen und Stadtbezirksbeirät/innen - sie können sich in die Diskussion über die Satzung nicht einbringen, wir entscheiden über ihre Köpfe hinweg. Und dass, obwohl gerade sie mit sehr überschaubarer Entschädigung großes Engagement an den Tag legen. Deshalb unser Vorschlag, die Aussetzung erst zum 18.9. wirken zu lassen und auf die Stadträt*innen in den Stadtratsgremien zu beschränken.
Wir wollen an der Stelle aber auch noch mal das grundsätzliche Thema aufwerfen, dass hinter der Aussetzung der Dynamisierung steht und die Konsequenzen aufzeigen:
Politik steht immer unter dem Generalverdacht, sich selbst zu bereichern - diesem populistischen Narrativ sollte wir entschieden entgegen treten, statt es zu bedienen.
Die automatische Kopplung an die Inflation hatte den Sinn, die Anpassung aus der politischen Diskussion zu halten - mit der Aussetzung bringen wir es wieder in die politische Diskussion. Dann führen wir die Diskussion also: Ja, Demokratie kostet, aber sie ist unendlich viel preiswerter als der Verzicht auf Demokratie.
Wir 70 ehrenamtliche Stadträt* haben die Aufgabe, tausende Vorlagen zu lesen, eine Verwaltung und kommunale Unternehmen mit Haushalten von einigen Milliarden Euro und tausenden Beschäftigten zu kontrollieren - im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Steuergelder.
Die Befragung der Stadträt*innen ergab, dass im Schnitt 20h/Woche für Ratsarbeit aufgewandt werden. Ausgehend von den derzeitigen Vergütungen sind das 12 EUR je Stunde, weniger als der Mindestlohn, von Bereicherung kann keine Rede sein.
Was ist der Sinn der Entschädigung? Sie soll zum einen entstandene Kosten für die Ratsarbeit entschädigen für Mobilität, Essen, Büromaterial, Kleidung. Zum anderen entschädigen dafür, dass ich in der Zeit, nicht anderer Tätigkeit nachgehen kann - denn viele von uns arbeiten aufgrund der Ratsarbeit in Teilzeit und nehmen damit klare Einbußen bei der Rente in Kauf.
Für Stadträt*innen mit relativ hohen Einkommen, eher wenig Betreuungsaufgaben ist es relativ egal, wie hoch die Entschädigung ist - das trifft auch auf mich zu. Aber wie sieht es mit denen aus, die geringe Einkommen haben, die Kinder oder Eltern pflegen und bereits deshalb zeitlich und finanziell klar zurückstehen müssen?
Sind wir ehrlich. Man muss es sich erstmal leisten können, Stadträt*in zu sein! Dieser überaus männliche, akademische und weiße Stadtrat repräsentiert nicht die Vielfalt der Stadtgesellschaft. Jeder von uns kennt kluge, erfahrene, pfiffige Menschen, die uns abgesagt haben für Stadtratsmandat. Weil sie sich die Mehrfachbelastung nicht zutrauen, weil sie Stunden reduzieren müssten und dann nicht über die Runden kommen. Junge Mütter, Nicht-Akademiker und Azubis, Migrantinnen, Alleinerziehende. Denen sagen wir, ohne dass wir es wollen: ihr interessiert uns nicht.
Menschen, die uns mit ihrer Klugheit und Perspektive genützt hätten, die mit klugen Entscheidungen vielleicht ein Mehrfaches von dem gespart hätten, was wir jetzt zu sparen glauben. An der Stelle sei auch daran erinnert, dass eine Anfang letzten Jahres beschlossene Anpassung der Entschädigungssatzung zur Kostenerstattung für Kinder- und Angehörigenbetreuung noch aussteht - welche Vereinbarkeit von Ehrenamt und Familie erleichtern soll.
Und deshalb unser Vorschlag: wenn wir schon an uns selbst sparen, dann lasst es uns klug investieren. In die klügste Investition, die es geben kann: unsere Demokratie. In die Stadträtinnen von morgen. Wir möchten die damit entstehenden Minderausgaben in die Stärkung von Beteiligung und politischer Bildung stecken, damit wir für den nächsten Rat gerade auch mehr Frauen, mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte, mehr Menschen gewinnen, die für die Vielfalt unserer Stadtgesellschaft stehen
Dafür bitten wir um ihre Zustimmung!