Rede von Dr. Tobias Peter am 19. April 2023 zum Antrag "Mehr Freiräume für künstlerische und kreative Projekte – Freiraumbüro einrichten"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, werte Beigeordnete, liebe Gäste,

kreative Freiräume prägten und prägen unsere Stadt auf ganz besondere Weise. In den 80er Jahren entwickelte sich aus dem sogenannten „Schwarzwohnen“, der stillschweigenden Besetzung leerer Wohnungen für kreative Gemeinschaften eine besondere Mischung aus Wohnen, Gegenkultur und Protest – ein entscheidender Treibsatz der friedlichen Revolution. Mit dem Bevölkerungsrückgang der 1990er Jahre haben sich in leerstehenden Häusern nach und nach Projekte entwickelt, die z.B. als sogenannte Wächterhäuser die schrumpfende Stadt als Chance begriffen haben.

Die Stadt hat dies aktiv als Strategie befördert, um Häuser zu erhalten, Stadtteile zu stabilisieren und zu entwickeln. Und diese Strategie ist aufgegangen. Die Vielfalt künstlerischer und gemeinwohlorientierter kreativer Projekte, die in den Zeiten des Leerstands entstanden ist, hat maßgeblich zur Lebensqualität und Attraktivität in Leipzigs Stadtteilen beigetragen. Mit Veranstaltungen, Austausch, Kultur und Stadtteilarbeit strahlen die Freiräume in die Stadtgesellschaft aus. Ihre Formenvielfalt, Nutzungsmischung und zeitliche Begrenzung sorgen für lebendige Stadtteile.

Diese Attraktivität, die ein entscheidender Impuls für das Bevölkerungswachstum war und ist, bedroht längst – fast tragisch – diese Projekte selbst. Denn der sinkende Leerstand führt nicht nur zur Verdrängung von Wohnenden. Projekte wie die Zündkerzenwerkstatt in Reudnitz, das Japanische Haus in Volkmarsdorf und die krudebude in Schönfeld stehen exemplarisch für die Bedrohung kreativer Freiräume, viele weitere drohen zu folgen. Und das nicht nur ein Problem für die Kultur, sondern für unsere Stadtentwicklung insgesamt. Unsere Stadtgesellschaft droht ohne diese Freiräume ärmer zu werden.

Auch wenn einige Projekte auf sicheren Füßen stehen, geht dies oft nur durch eine Professionalisierung, sei es durch institutionelle Kulturförderung oder Gewinnorientierung. Damit geht aber oft eben jener Freiraum verloren, die Engagierte schätzen. Denn charakteristisch für diese soziokulturellen Vereine, Ateliergemeinschaften, Galerien oder Projektwohnungen ist, dass sie in der Regel weder gewinnorientiert arbeiten noch von einer institutionellen Förderung getragen werden. Dies sollte auch weiter ermöglicht werden.

Eine wesentliche Voraussetzung, um so zu arbeiten, sind vergleichsweise niedrige Mieten. Angesichts der Immobilienmarktentwicklung werden Räume aber oft gekündigt oder Mieten aufgerufen, die nicht mehr leistbar sind. Viele der Projekte sind dadurch zunehmend bedroht, neue Projekte sind oft kaum noch möglich. Es wird immer schwieriger, bezahlbare Räume für Proben, Veranstaltungen, Austausch bis zu Büroräumen zu finden.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist eine aktive Unterstützung dieser Projekte notwendig. Denn obwohl Leerstände drastisch gesunken sind, gibt es immer noch Leerstandspotentiale, die kaum genutzt werden. Auch bei städtischen Immobilien.

Ja, die Stadtverwaltung versucht auch jetzt schon zu helfen, aber eben vereinzelt und fallweise. Angesichts der bestehenden Herausforderungen brauchen wir aber ein systematisches Vorgehen. Wir können dabei auf bestehende Unterstützungsstrukturen wie Quartiersmanagements, Netzwerk Leipziger Freiheit, Haushalten e.V. oder Haus- und Wagenrat e.V. zurückgreifen.

Wir schlagen deshalb vor, eine Schnittstellenstruktur zu schaffen, die als zentraler Ansprechpartner für Freiraumprojekte fungiert und zwischen den verschiedenen Akteur*innen in der Verwaltung, der Projekte und der Öffentlichkeit vermittelt. Diesen Fokus haben derzeit weder das Kulturamt noch Wirtschaftsförderung. Ein Freiraumbüro, wie es in Halle seit Jahren erfolgreich arbeitet, zeigt wie es geht.

Wir freuen uns sehr, dass die Verwaltung die Problemanalyse ebenso teilt wie unseren Lösungsansatz. Es ist auch unserer Sicht sehr sinnvoll, ein Freiraummanagement in das geplante Kompetenzzentrum Freie Szene zu integrieren, um mögliche Synergieeffekte zu heben. Es muss dabei aber auch klar sein, dass die notwendigen Ressourcen dann auch tatsächlich für diese Aufgabe zur Verfügung steht. Wir verstehen den Verwaltungsstandpunkt im Zusammenhang mit seiner Begründung so, dass es in den nächsten Schritten darum geht, nicht das Ob, sondern das konkrete Wie eines Freiraummanagements zu prüfen.

Und wir geben hier auch noch mal zu Protokoll, dass die von uns genannten begleitenden Maßnahmen einer Inwertsetzung von Leerständen, die Bereitstellung kommunaler Liegenschaften und mögliche finanzielle Förderungen für Raumnutzung in der weiteren Konzeptionsentwicklung mit betrachtet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir stellen den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung. Lassen Sie uns einen wichtigen Schritt für den Erhalt kreativer Freiräume in unserer Stadt gehen.

Vielen Dank!

 

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