Rede von Dr. Tobias Peter in der Ratsversammlung am 17. Juni 2020 zur Drucksache "Satzung zur Erhaltung der Wohnbevölkerung"

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit nahezu einem Jahrzehnt wächst Leipzig rasant. Aus der schrumpfenden Stadt mit hohem Wohnungsleerstand im zweistelligen Prozentbereich ist binnen weniger eine stark wachsende Stadt mit einem angespannten Wohnungsmarkt geworden. Bereits vor einigen Jahren war ersichtlich, dass mit dem Wachstum zunehmend auch Verdrängungsprozesse verbunden sind. Ein spekulativer Immobilienmarkt, Sanierungen und höhere Mieten führen dazu, dass sich Menschen mit niedrigem Einkommen ihre Mieten nicht mehr leisten können, zu Gunsten von Personen mit höherem Einkommen ausziehen – und in Stadtteile mit niedrigeren Mieten ziehen. Dieser Prozess führt dazu, dass Menschen oft gegen ihren Willen ihren Lebensmittelpunkt ändern, dass soziale Beziehungen im Quartier gekappt werden und sich der Charakter von Stadtteilen ändert. Die Vielfalt und Mischung von Quartieren schwinden, anderswo ballen sich soziale Probleme. Und damit verringert sich nicht zuletzt die Attraktivität unserer Stadt insgesamt.

Wer die attraktive, die europäische Stadt – wie sie in der Leipzig Charta beschrieben ist – möchte, der muss nicht nur bauliche Strukturen pflegen, sondern muss vor allem auf die sozialen Qualitäten in den Quartieren achten, muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Perspektiven miteinander leben, sich begegnen und austauschen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen – es ist diese Idee vielfältiger Quartiere, die den Kern des sogenannten Milieuschutz ausmacht und weshalb das Baugesetzbuch ausdrücklich die „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ durch die Einführung von Erhaltungsgebieten ermöglicht. Wir machen – wie viele andere deutsche Städte vor uns - mit dem heutigen Beschluss von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Erhaltungssatzungen sind ein Instrument des wohnungspolitischen Konzepts, dem heutigen Beschluss gingen zahlreiche Initiativen im Stadtrat, u.a. ein grüner Antrag zur Einführung einer Erhaltungssatzung und einer Veränderungssperre für das Gebiet Eisenbahnstraße vor zwei Jahren und vor einem Jahr die Aufstellungsbeschlüsse für zehn Gebiete sowie entsprechende Haushaltsbeschlüsse voraus. Wir hätten uns sicher gewünscht, dass wir deutlich schneller zu diesen Erhaltungssatzungen kommen – der gesamte, oft zähe Prozess zeigt aber auch, dass die Verwaltung dieses für Leipzig neue Instrument erst lernen musste.

Davon zeugt insbesondere der intensive Untersuchungsprozess, um die Notwendigkeit der Erhaltungssatzungen gerichtsfest aufzuzeigen. Möglicherweise wären bei der Durchführung, z.B. durch weitere Untersuchungswellen und angepasste Untersuchungsmethoden weitere Teilgebiete mit in das Satzungsgebiet gekommen. Deshalb unterstützen wir den Änderungsantrag der Linken, hier noch einmal festzuhalten, die Erhaltungsgebiete alle zwei Jahre im Rahmen des gesamtstädtischen Grobscreening zu evaluieren und durch Aufstellungsbeschlüsse potentielle Erhaltungsgebiete in den Gebieten Lene-Voigt-Park, Eutritzsch, Lindenau und Alt-Lindenau zu sichern und näher zu untersuchen. Unserer Änderungsantrag zu Punkt 4 erledigt sich damit.

Wir alle wissen, dass das Instrument der Erhaltungssatzungen hoch umstritten ist. Und mein Eindruck ist, dass der Milieuschutz wahrscheinlich das von vehementen Gegnern wie glühenden Befürwortern gleichermaßen am meisten überschätzteste wohnungspolitische Instrument ist. Ja, Erhaltungssatzungen greifen in Eigentum ein, indem sie bestimmte bauliche Maßnahmen, die zu einer Aufwertung führen, einschränken oder unter Genehmigungsvorbehalt stellen. Allen, die diesen Eingriff grundsätzlich ablehnen, seien an Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes erinnert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Und dieses Allgemeinwohl ist in diesem Fall die Vielfalt und Mischung der betroffenen Quartiere. Die von den Erhaltungssatzungen und Genehmigungskriterien vorgesehenen Eingriffe sind dabei verhältnismäßig und erlauben einen zeitgemäßen Standard, mit denen sich Immobilien wirtschaftlich unterhalten lassen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nichts deutet darauf hin, dass zeigt allein der Zeitraum seit Inkrafttreten der Aufstellungsbeschlüsse, dass dadurch – wie ja einige befürchteten - die Bauaktivitäten zum erliegen kommen.
Zugleich ist auch der positive Effekt für den Wohnungsmarkt realistisch zu betrachten. Auch weiterhin wird es, allein durch die rein rechtlich möglichen Mietsteigerungen, zu Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt kommen. Umso wichtiger ist es, die Eigentümer, aber insbesondere die Mieterinnen und Mieter über die Erhaltungssatzungen zu informieren. Dazu sollten wir – so schlagen wir es im Änderungsantrag vor – vor allem die bestehenden Strukturen der Mietberatung und der Quartiersmanagements nutzen. Zudem stimmen wir dem Änderungsantrag der LINKEN zu, das Kommunikationskonzept dem Stadtrat und den Stadtbezirksbeiräten zur Kenntnis zu geben.

Erhaltungssatzungen können durch Einschränkung überdurchschnittlicher Standards der Entwicklung die Spitze nehmen, sie aber nicht verhindern. Deshalb braucht es selbstverständlich begleitend eine aktive Wohnungspolitik, wie sie im wohnungspolitischen Konzept beschrieben ist, mit einem Maßnahmenmix insbesondere des sozialen
Wohnungsbaus und der Stärkung des nicht gewinn-orientierten Sektors.

Aus diesem Grund stellen wir einen Änderungsantrag zur aktiven Nutzung des Vorkaufsrechts in sozialen Erhaltungssatzungen, dem die Verwaltung bereits ihre Zustimmung signalisiert hat. Nur wenn die Stadt durch entsprechende Richtlinien, finanzielle Mittel und eine wirksame Vernetzung potentieller dritter Käufer glaubhaft machen kann, dass sie das Vorkaufsrecht wirksam ausüben kann, wird sie auch erfolgreich Abwendungsvereinbarungen schließen können, mit denen die Ziele der Erhaltungssatzung gewahrt werden können. Dafür machen wir konkrete Vorschläge.

 

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