Rede von Dr. Tobias Peter vom 14. September 2022 zum Antrag "Flächenverbrauch reduzieren - Strategie für Netto-Null-Versiegelung bis 2030 entwickeln"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene ort -

Sehr geehrter Oberbürgermeister, sehr geehrte Beigeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

in den vergangenen Sommermonaten haben wir die Auswirkungen der Klimakrise hautnah und persönlich gespürt

o Soviele Hitzetage wie wohl noch nie und in den Innenstadtquartieren oft zu wenig Abkühlung in den Nächten
o ausgetrocknete Böden und ein sinkendes Wasserdargebot
o und dadurch verschärft eine anhaltende Abnahme der Artenvielfalt

Auch den letzten von uns muss klar sein, dass wir gegensteuern müssen – beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel. Und zentral dabei ist die Frage, wie wir mit unseren wertvollen Flächen und Böden umgehen. Zunehmende Hitzesommer werden wir nur gut überstehen können, wenn wir uns zur Schwammstadt entwickeln und mehr grün-blaue Strukturen schaffen.

Und trotzdem machen wir unverändert das Gegenteil: Flächenverbrauch und Versiegelung nehmen tagtäglich dramatisch zu
o Jeden Tag wächst die Siedlungs- und Verkehrsfläche in D um 52 ha = 75 Fußballfelder – jeden Tag
o In Sachsen liegt der Wert bei 5 ha / Tag – doppelt so hoch wie sein Flächenanteil am Bundesgebiet
o Auf den Flächenanteil Leipzigs gerechnet sind das knapp 60 Fußballfelder im Jahr und angesichts des Wachstums der Stadt mit Sicherheit deutlich mehr
Mit Sicherheit ist Leipzig trauriger Spitzenreiter bei Versiegelung und Flächenverbrauch – das merken wir überall. Aber letztlich haben wir noch nicht einmal Daten dazu. Deshalb sind wir uns einig mit der Verwaltung, ein Monitoring einführen, der auch mit einem zweijährlichen Monitoringbericht als Grundlage für Handeln und Ziele verbunden wird.

Denn wir müssen den fortschreitenden Flächenverbrauch und die Versiegelung bremsen und auch irgendwann stoppen, wenn unsere Stadt nicht zu einer Beton- und Asphaltwüste werden soll. Es gibt Grenzen des Wachstums – auch in Leipzig und auch beim Bauen. Und die Menschen spüren mit jeder schwindenden Grünfläche und jedem bebauten Innenhof, dass sie auch persönlich an Grenzen kommen.

Und deshalb brauchen wir klare Zielsetzungen, darüber herrscht eigentlich auch Konsens auf allen Ebenen:
o Der Flächenverbrauch in Deutschland wurde schon deutlich reduziert von einstmals 130 ha / Tag (2000)
o Ziel von EU und Bund ist eine schrittweise Senkung auf 20ha / Tag und schließlich auf Netto-Null
o Länder wie Baden-Württemberg oder Städte wie die Landeshauptstadt Stuttgart haben Netto-Null als Ziel verankert und setzen entsprechende Strategien um

Die Perspektive auf eine Netto-Null-Versiegelung, d.h. darauf, dass nicht mehr versiegelt als entsiegelt werden soll, ist also keine grüne Erfindung, sondern offizielle Zielsetzung auf dem Weg zu einer Flächenkreislaufwirtschaft. Würde diese Zielsetzung nicht verfolgt, hieße dies im Umkehrschluss, dass wir in den folgenden Jahrzehnten immer mehr Flächen unserer Stadt verbrauchen und wertvolle Grün- und Landwirtschaftsflächen opfern. Dieses Ziel ist anspruchsvoll und es ist klar, dass wir es nur schrittweise erreichen können – wir schlagen vor, dabei 2030 als Orientierungsdatum anzustreben. Das heißt ausdrücklich nicht, dass die Stadt sich nicht mehr entwickeln oder wachsen soll. Es heißt: Entwicklung und Wachstum muss Schritt für Schritt von Versiegelung entkoppelt werden. Derzeit ist zu oft das Gegenteil der Fall. Wir kennen die Negativbeispiele:
o Einstöckige Bauweisen von Kitas, Schwimmhallen (Otto-Runki) und immer wieder auch einstöckige Sporthallen mit der Begründung „Wir haben doch die Fläche“)
o Großflächige Versiegelungen von Plätzen, z.B. Bayerischer Bahnhof, Richard Wagner Platz
o Neubau von einstöckigen Einfamilienhäusern

Aber wir kennen auch die Positivbeispiele:
o Nachnutzung und Umnutzung
o Bebauung von gründerzeitlichen Baulücken
o Stapeln von Nutzungen und effizientes Ausnutzen von Fläche
o Nutzung von bereits großteilig versiegelten Flächen wie Bayerischer Bahnhof, Eutritzscher Freiladebahnhof und Leuschnerplatz, wo auch ein großer Teil unversiegelte Grünfläche nach dem Schwammstadtprinzip geschaffen wird
o Leider viel zu wenig: Entsiegelung und Schaffung neuer Grünflächen gerade im Bestand

Wenn wir die Negativbeispiele endlich unterlassen und die Positivbeispiele stärken, wenn wir die ganze – im VSP genannte und von uns in der NF übernommene - Palette an Instrumenten nutzen, können wir die Versiegelung Schritt für Schritt senken. Wir können in den kommenden Jahren die großen Potentiale einer sinnvollen Innenentwicklung insbesondere in Baulücken des innerstädtischen Bereichs nutzen. Wir können die bereits in Planung oder Umsetzung befindlichen größeren Stadtentwicklungsprojekte umsetzen. Zugleich können wir wirksame Maßnahmen entwickeln, um flächeneffizient zu bauen, vor allem aber um massiv zu entsiegeln. Wir müssen Anreize bieten, dass Innenhöfe entsiegelt und begrünt werden – z.B. durch Flächenzertifikate, Förderungen und eine Weiterentwicklung des Kompensationsmodells. Wir müssen als Stadt selbst den öffentlichen Raum entsiegeln und flächeneffizient bauen. Perspektivisch muss bei jedem Bauvorhaben ein entsprechender Ausgleich nachgewiesen werden – in diesem Sinne begrüßen wir auch den Änderungsantrag der Freibeuter und verstehen ihn so, dass auch dieser Ausgleich entsprechend der Zielsetzungen der Stadt schrittweise zunehmen muss

Liebe Kolleginnen und Kolleginnen,

oft heißt es, dass wir als Stadträte uns im Klein-Klein verlieren – auch dieser Antrag denkt durchaus auch im Detail. Heute haben wir aber vor allem die Möglichkeit, eine echte Grundsatzentscheidung zu treffen, wie sich unsere Stadt entwickeln soll. Ich bitte Sie um Zustimmung zur zweiten Neufassung unseres Antrags, die auf dem VSP basiert und an einigen Punkten geschärft wurde.

Vielen Dank!

 

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