Rede von Jürgen Kasek in der Ratsversammlung am 7. November 2019 zum Antrag: Beteiligung der Stadt Leipzig und des Stadtrats an der Evaluierung der Waffenverbotszone
-es gilt das gesprochene Wort-
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Gäste,
vor fast genau einem Jahr hat die Sächsische Staatsregierung mit Unterstützung der Stadt Leipzig eine Waffenverbotszone in der Eisenbahnstraße eingerichtet - trotz der Bedenken vieler zivilgesellschaftlicher Akteure vor Ort, die sich damals in einem offenen Brief gegen diese Maßnahme gewendet haben. Nicht wenige vermuteten, dass sie Teil einer politischen Stimmungskampagne in Vorbereitung auf den sächsischen Landtagswahlkampf 2019 war. In jedem Fall baut sie auf einer jahrelangen Stigmatisierung des Viertels durch Medien und Polizei auf. Mit dem Leipziger Osten wurde die Waffenverbotszone in einem der wenigen Stadtgebiete in Sachsen errichtet, wo es einen vergleichsweise hohen Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte oder ausländischer Staatsbürgerschaft gibt. Dem verbreiteten, aber falschen Vorurteil, dass Migration und Kriminalität zusammenhängen, wurde und wird damit fatalerweise Vorschub geleistet.
In den Hintergrund gerät, dass rund um die Eisenbahnstraße der überwältigende Teil der Menschen verschiedener Kulturen und Religionen respektvoll und friedlich miteinander zusammenlebt. Die zweifellos vorhandene Alltagskriminalität darf nicht relativiert werden, aber der Schlüssel zu ihrer Bekämpfung muss an ihren komplexen, vielfach sozialen Ursachen ansetzen, nicht an den Symptomen. Die Waffenverbotszone löst die tatsächlichen Problemlagen des Viertels nicht, sondern verschärft sie zum Teil.
Es gibt und gab mehrere Gründe sie abzulehnen.
(1) Das geltende Waffenrecht verbietet schon jetzt das Mitführen einsatzbereiter Waffen. Der Begriff „Waffenverbotszone“ ist deshalb irreführend.
(2) Indem mit der neuen Verordnung die Möglichkeiten verdachtsunabhängiger Kontrollen erhöht werden, wird die Unschuldsvermutung umgekehrt. Alle Anwohner/-innen und Gäste der Eisenbahnstraße werden unter einen Pauschalverdacht gestellt.
(3) Die neue „Zone“ wird auch territorial mit Verkehrshinweisen im öffentlichen Raum und Nahverkehr markiert. Dadurch wird ein spezifischer Stadtraum eingegrenzt und stigmatisiert mit sowohl psychologischen als auch ökonomischen Negativfolgen.
(4) Mit den anstehenden Maßnahmen wird kein sachlicher Fortschritt bei der Sicherheit gegen die Bandenkriminalität, illegale Wettgeschäfte oder Drogenhandel erzielt, weil für Kontrollen kasernierte Bereitschaftspolizei eingesetzt wird, die weder über Ortskenntnis, Bürgernähe noch das nötige Fingerspitzengefühl verfügt.
Mit der „Waffenverbotszone“ wird also die Sicherheitssituation insgesamt nicht verbessert, sondern werden lediglich durch punktuelle Verdrängung die Symptome behandelt.
Aus diesen Gründen haben wir bereits damals eine unabhängige Evaluation gefordert. Für die Evaluierung der Waffenverbotszone in den Stadtteilen Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf in Leipzig wurde vom Sächsische Staatsministerium des Innern (SMI) die Hochschule der Sächsischen Polizei (Pol FH) beauftragt. In den verschiedenen Runden mit Stadtteilakteuren konnte die Polizei damals keine Auskunft geben, welchen Maßstab sie bei dieser Evaluation eigentlich anlegen möchte. Die Zwischenstandsmeldungen über durchgeführte Kontrollen und festgestellte Waffen lassen vermuten, dass eine Evaluation lediglich die Intention ihrer Einführung bestätigen soll, ohne eine wirkliche Einordnung des Instruments und dessen Akzeptanz zu erfassen.
Deshalb kommt der Antrag der Linken, auch die Akteure im Viertel in die Evaluation einzubeziehen, auch zum richtigen Zeitpunkt, weil die Abstimmung zwischen Stadt und Polizei zur Durchführung der Evaluation unmittelbar bevorsteht.
Unsere Erwartung an die Evaluierung durch die Pol FH geht darüber hinaus und zielt darauf ab, alle Akteure sowie die Anwohner*innen in den Evaluierungsprozess einzubeziehen. Eine Anwohner*innenbefragung ist ein z.B. in Hamburg, Freiburg sowie in Sachsen mehrfach zum Thema "Sicherheit und Lebensqualität im Landkreis Görlitz“ praktiziertes Instrument, das hilft den Blick zu weiten.
Die Evaluation sollte nicht isoliert im Hinblick auf die Waffenverbotszone erfolgen, sondern muss zur Einordnung ebenfalls weitere Formen der Polizeiarbeit sowie der Prävention einbeziehen. Dabei geht es darum, die unterschiedlichen Elemente eines wirkungsvolles polizeilichen Gesamtkonzepts in den Blick zu nehmen, das der Einwohnerschaft des Viertels mit Respekt begegnet und an den Ursachen ansetzt.
Dazu gehört zum einen eine Polizei, die sich nicht wie bisher im Polizeiposten versteckt oder das Viertel im Streifenauto durchfährt, sondern im Quartier verwurzelt ist und vertrauensvoll mit den hier lebenden Bürgerinnen und Bürgern zusammenarbeitet. Fußstreifen, Fahrradstaffeln oder Kontaktbereichsbeamten können unmittelbar das Sicherheitsgefühl erhöhen, ohne dass es dafür eine Waffenverbotszone braucht.
Ebenso in den Blick sollte die Evaluation die Perspektive von Anwohnerinnen und Akteuren auf wirksame Präventionsangebote kommen: soziokulturelle Angebote, verstärkte Jugendhilfe insbesondere für gefährdete Kinder und Jugendliche und eine Drogenhilfe, die Betroffenen hilft, statt sie zu kriminalisieren. Ein gutes Beispiel ist etwa das gerade gestartete Projekt Heroes, das sich z.B. mit männlicher Ehrenkultur von Jugendlichen in den Blick nimmt. Auch städtebauliche Kriminalprävention, z.B. in der Gestaltung von Parks kann ein wirksamer Beitrag zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls sein.
Aus unserer Perspektive sind diese Maßnahmen tatsächlich mehr als Maßnahmen zur Stärkung des sozialen und nachbarschaftlichen Lebens, sondern tatsächlich ganz konkrete Kriminalprävention, die wir auch so beim Namen nennen sollten. Insofern sind wir an diesem Punkt mit der Übernahme durch die Linksfraktion nicht ganz glücklich.
Zugleich können wir mit der thematischen Erweiterung auf Aspekte der rassistischen und diskriminierenden Erfahrungen mitgehen, denn in der Tat bestätigt sich leider immer wieder der Eindruck, dass es bestimmte Bevölkerungsgruppen sind, die vorrangig von Kontrollen betroffen sind.
Wir bitten um Zustimmung zur geänderten Fassung des Ursprungsantrags.