Rede von Katharina Krefft am 9. November 2022 zum Haushaltsplanentwurf 2023/24

- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Jung, sehr geehrter Herr Bonew, werte Bürgermeister*innen und Stadträt*innen, sehr geehrte Gäste und Vertreter*innen der Medien,
Ich starte gleich in die Vollen – Leipzig hat Geld!
Ich starte damit, denn über allen Diskussionen hier im Rat, im erweiterten Finanzausschuss und in allen Fachdiskussionen liegt dieses: Geht nicht. Der Kämmerer sagt Nein.
Das ist nicht nur Schade. Für die vielen Pflichtaufgaben, die mit etwas mehr Geld zur Kür werden. Für unsere reichhaltige Kulturstadt, die gerade mit diesen breit verteilten Fördermitteln zur Metropole wird. Für die Gerechtigkeit, die erst mit einer bedarfsdeckenden Ausstattung zur Geltung kommt.
Es ist vor allem falsch. Und das weisen wir Ihnen nun nach. Denn wir, Fraktionen, müssen die Diskussion um den Haushaltsplan ehrlich führen.
Ich lade Sie ein auf das Jahr 2022 zu schauen
Im Plan standen 306 Mio. € Gewerbesteuereinnahmen. Das vorläufige Ist im August 2022 betrug schon 394 Mio. € , also was an Gewerbesteuer bis zum Jahresende kommen kann, ist bis zu 460 Mio.€
Das bedeutet: Die Stadt Leipzig hat 2022 ein Delta zur freien Verfügung und das Delta beträgt bis zu 160 Mio. €.
Zu sagen, wir haben kein Geld, wird damit zum demokratiepolitischen Problem! Wenn trotz der erstaunlichen Mehreinnahmen aufgefordert wird zu sparen, dann fehlt es am Vertrauen bei Ihnen, Herr Bonew, in den Stadtrat! Dann vertrauen Sie uns nicht, sorgsam mit den Gewerbesteuereinnahmen umzugehen. Dann singen Sie das populistische Lied von den Politikern, die die kostenbaren Steuereinnahmen verplempern.
Und das ist gefährlich. Es impliziert, dass die Unternehmen Geld verschenken müssten. Es impliziert, dass das Gemeinwesen nicht gut sei, nichts ist, wofür man Geld aufwenden müsse.
Diese Grundeinstellung gefährdet unsere Demokratie, weil sie das Handeln der öffentlichen Hand diskreditiert.
Und das spreche ich hier für meine Fraktion so aus, weil wir überrascht sind. Wir kennen uns zu gut, als dass wir dieses Misstrauen einfach hinnehmen können. Wir müssen das deutlich machen, weil wir, bevor wir hier über irgendetwas Inhaltliches sprechen, erst einmal klären müssen: Wie steht es um das Verhältnis von Stadtspitze und Rat. Wie können wir das Vertrauen herstellen, das nötig ist, um in die Beratung zu den Haushaltsanträgen zu kommen?
Schauen wir auf die Kreditaufnahmen, auf Ihre Prognose und auf die Realität, sehen wir bei Ihnen jedes HHJahr eine dramatische Prognose von enormen Krediten – und ein tatsächliches Plus im Jahresabschluß.
Band 1 des Haushaltsentwurfes weist es aus – jedes Jahr wurde positiv abgeschlossen, obwohl uns mächtige Kredite prognostiziert wurden. Für 2023 und 2024 rechnen Sie uns wieder Kreditaufnahmen vor, über 300 Millionen € - wie zu jedem Haushalt malen Sie schwarz.
2018 sagten Sie - „In der mittelfristigen Planung weist der Haushalt allerdings durchgehend Defizite auf.“
2020 griffen Sie tiefer in die Trickkiste und sagten- „…so bleibt doch … ein Haushaltsloch … welches wir über Kredite finanzieren …
Um 2022 rhethorisch ganz dramatisch zu werden – Von „extrem hoher Unsicherheit und sehr schwer kalkulierbaren Risiken geprägt.“
Und addressierten an uns: „in turbulenten Zeiten … ist aber Disziplin gefordert“
Jedes Jahr gehen wir Grüne realistisch an unseren Haushalt, und Sie wissen, jedes Haushaltsjahr wurden unsere Annahmen sogar noch positiv übertroffen! Jedes Jahr wurden Schulden getilgt! Tatsächlich ist von 2017 – 2022 der Schuldenstand von 580 Mio auf 413 Mio gesunken
Daher frage ich Sie,
Herr Bonew: Würden Sie sich als Stadtrat selber glauben?
Was haben wir erlebt, in den letzten 2,5 Jahren? Wir haben erlebt, dass das Gemeinwesen in der Krise funktioniert. Dass Strom und Wasser fließen, öffentlicher Verkehr fährt, Behörden geöffnet haben, das Räderwerk des Gemeinwesens arbeitet, um kritische Infrastrukturen am Laufen zu halten, um soziale Notlagen abzufedern, vom Kurzarbeitergeld bis Ausfallzahlungen alles mögliche finanziell zu tun. Das Gemeinwesen, der Staat, hat in der größten Bedrohung funktioniert. Eine enorme Resilienz.
Und wenn wir eines gespürt haben in den letzten Jahren, dann den eklatanten Mangel in sozialen Strukturen, bei der Pflege, in den Schulen und Kitas, bei öffentlich finanzierten Sozialaufgaben, bei sozial Benachteiligten.
Wenn wir eines gelernt haben, dann, dass das Gemeinwesen gestärkt werden muss.
Auch wenn wir konservativ ans Werk gehen und die Ansätze für 2023 nur teilweise korrigieren, bleiben dennoch Mittel für die beschriebenen Risiken.
Weil wir Risiken anerkennen und weil wir Sie, Herr Bonew, bei der Bewältigung dieser Risiken unterstützen: Das sind die Tarifabschlüsse, die realistisch wohl 25 Mio. € ausmachen werden. Das sind die Verkehrsbetriebe, die realistisch ein Defizit von 15 Mio. € ausgeglichen bekommen müssen. Das sind die Energiepreise, die wir mit 31 Mio € im Haushalt als Risiko zu hoch kalkuliert sehen genauso wie die Baupreise, für die wir das Erreichen des Peaks sehen.
Hingegen sehen wir nichtberücksichtigte Risiken:
Aus unserer Sicht sind folgende Verwaltungsbereiche völlig unzureichend ausgestattet:
Bürgerämter, Bürgertelefon, Zulassungsstelle,
Ausländerbehörde! Pass- und Meldewesen,
im Personalamt – für die neuen Mitarbeitenden
im Sozialamt - für die zu erwartende Verdreifachung der Wohngeldberechtigten
Und die fehlende aktive Wiedereingliederungshilfe für langzeitkranke MA`s ist erbärmlich für die Stadt
- das bedeutet: Nachbesserungen sind im Verfahren nötig! Und wir sagen ganz klar: durch die Verwaltungsspitze! Wir machen nicht die Ausputzer, weil Sie Bedarfe abgewehrt haben.
Das muss sich ändern.
Und wir sehen ja, dass sich Dinge ändern. Im letzten Haushalt noch mussten wir um 150 Stellen feilschen, um 50 zu bekommen. Dieses Jahr schlägt die Verwaltungsspitze selber den Quantensprung im Stellenplan vor. Wo in der gewachsenen Stadt weiterhin eine Unterausstattung mit Personal besteht beantragen wir Stellen in den Bereichen Wohnen, Beteiligung, Klima und Stadtnatur.
Wir stehen als Stadt, als Gemeinwesen, tatsächlich vor großen Aufgaben. Vor dramatischen Herausforderungen. Vor sozialen Krisen, in einer demokratischen Krise, konfrontiert mit den Folgen von Kriegen auf der Welt, und im Angesicht der größten Krise der Menschheit, der existentiellen Krise unserer Art: Der Klimakatastrophe.
Man muss es so klar sagen. Unsere Handlungsspielräume schwinden minütlich, und unser Einfluß als Kommune ist klein. Und doch sind wir überzeugt: wenn wir es im Kleinen schaffen, wenn wir den CO2-Ausstoß in unserer Stadt reduzieren, dann hat das eine Strahlkraft auf andere ostdeutsche, aber noch viel mehr auf andere Großstädte, auch international. Wenn die Stadt der Transformation, die schnellst wachsende Stadt in Deutschland, es schafft, ihre Energie- und Wärmeversorgung CO2-neutral zu gestalten, ihren Verkehr CO2-frei zu organisieren, und ihre Biodiversität zu erhalten, dann sind wir die Zukunftsstadt unseres Landes. Darum wollen wir den neuen Anfang.
Bei den Heizungsanlagen. Denn die machen dezentral die Wärme. Wenn wir hier erreichen, dass in Größenordnungen fossile Energie gespart wird, ist schon die Hälfte erreicht. Dieselbe Strategie wurde im Übrigen bei den städtischen Liegenschaften, also vor allem den Schulen, angewandt, wir wollen sie auf die Wohnhäuser ausrollen und fördern.
Wir wollen mit richtig Geld Anpassungen an den Klimawandel finanzieren – denn das ist Gesundheitsschutz, das ist Schutz von Wasser und Luft, von Grün und Boden. Und genau dort, wo es grün ist und erdig, dort brauchen wir neue Parkpflegekonzepte – einfach mit dem Rasenmäher bei 40°C über den Rasen macht den halt nachhaltig kaputt. Wir brauchen Nachpflanzungen und wir brauchen neue Grünflächen, darum wollen wir entsiegeln, Parks in die Straßen „ziehen“ und mit Stadtplätzen und ohne Schottergärten Oasen schaffen statt Hitzeinseln.
Wir wollen Freie Fahrt fürs Rad: Lückenschlüsse, Wegeertüchtigungen, Abstellplätze, auch in 2024 brauchen wir Tempo in der Umsetzung der Entwicklung des Radverkehrs. Gemeinsam mit anderen Fraktionen wollen wir die Gehwege sicher machen – Wir wollen die Mobilitätswende und sind den Zielen des Energie- und Klimaschutzprogramms der Stadt Leipzig auf der Spur.
Wir wollen das bessere Leben in der Stadt finanzierbar halten – und Leerstand mobilisieren für Wohnen, Kultur und gemeinwohlorientierte Nutzungen. Dem Abwandern der Familien kann genau mit diesem Instrument begegnet werden, damit unsere Stadt jung bleibt. Und dass sie aufgeschlossen bleibt, Perspektiven bietet. Wir wollen freie Kunst und Kultur so ausstatten, dass sie frei bleibt und kunstvoll und die kulturelle Auseinandersetzung in unserer Demokratie wirken kann, denn wir brauchen Kultur wie die Luft zum Atmen.
Wir anerkennen als Grüne das vielfältige Engagement für unsere Demokratie und wollen über den Fonds Leipzig Ort der Vielfalt und mit einem Verfügungsfond für Demokratiebildung noch mehr unterstützen.
Wir denken an die, an die sonst nicht gedacht wird, an Menschen, die aus dem System fallen, die belastet sind. Wir wollen Angebote für psychisch Kranke erhalten – und endlich niedrigschwellige Angebote als Kommune finanzieren. Wir wollen Menschen beraten helfen, die sonst in ihrem komplexen Beratungsanliegen nicht weiterkommen. Wir wollen Familien helfen, die mit der Geburt des Kindes nicht klarkommen.
Wir treten für den Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft ein, wir sorgen für soziale Sicherheit im Angesicht der heftigen Krisen und wir vergessen die größte Krise nicht. Wir sehen den Elephanten und wir handeln. Denn unsere Stadt, und das ist ein bemerkenswertes Qualitätsmerkmal – ist resilient. Sie soll es bleiben, darum investieren wir in die Menschen und ihren sozialen Frieden.
Wir sind gespannt auf die Beratungen und laden Sie herzlich ein, sich mit unserer realistischen Perspektive zu befassen. Wir, der Stadtrat, entscheiden über den Haushalt. Die Zukunft unserer Stadt steht in unserer Macht.