Rede von Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende, in der Ratsversammlung am 18. Dezember 2019 zum “Sozialreport 2019"
-es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Jung,
sehr geehrte Herren und Damen Stadträte,
werte Gäste,
„Der Sozialreport spiegelt Leipzig als aufstrebende Stadt.“ Das klingt positiv, wie die Mitteilung der Stadt zum Sozialreport überschrieben war.
Zunächst einmal ist es positiv, dass die Stadt sich diesen Bericht leistet. Es war ein Auftrag aus dem Stadtrat, diesen Report jährlich zu erstellen, somit haben wir hier mit dem 13. Report eine gute Datengrundlage über die Jahre aufgebaut.
Aufstrebend spiegeln` verdeutlicht dabei natürlich auch, dass sich schwierige Entwicklungen zeigen. Dies wird in Daten gezeigt und auch kommentiert, es fehlen jedoch die Schlußfolgerungen. Wie gehen wir mit Armut um, mit Obdachlosigkeit, mit sozialen Spannungen ganz allgemein.
Wir Grüne haben im Stadtrat darüber gesprochen eine Sozialplanung zu erstellen, dem ist der Stadtrat gefolgt. Denn es braucht eine klare Strategie, eine strategische Sozialplanung. Mit dem Sozialforum wurde im November hierzu ein Start gemacht. Und es braucht diese Beteiligung – Stadt und Sozialpartner, Verbände, Vereine. Aber gerade auch die Betreffenden müssen mehr Mitsprache bekommen. Es ist bekannt, dass arme Menschen sich aus den politischen Prozessen zurückziehen. Sie erwarten nichts mehr, sie haben auch keine Ressourcen, weil sie sich um ihr tägliches oder monatliches Überleben sorgen.
Und damit bin ich schon im Thema. Am augenfälligsten ist die Armut in der Stadt. Weiterhin sind 25% der Kinder, also jedes vierte, arm. Sie partizipieren ganz offensichtlich nicht von gesunkener Arbeitslosigkeit, ihre Eltern scheinen nicht zu den Gewinnern des aufstrebenden Leipzig zu gehören. Ich halte das für hochgradig bedenklich. Die soziale Schwäche muss ein Thema sein! Wir haben es mit verfestigter Armut zu tun, v.a. in Familien und bei Alten. Wir sehen eine Entmischung der Stadtteile, gerade der Stadtteile, die fehlende Ressourcen ausgleichen, Netze bilden könnten. Aber die Mietfrage ist eine Einkommensfrage. Wessen Einkommen nicht mit der Miete mitwächst, zieht weg, in Stadtteile, wo die Wohnung noch bezahlbar ist. Wir sehen an den Daten aus den Hilfen zur Erziehung, wohin die arme Familien ziehen! Hier kummuliert die Armut und hier müssen wir ein Vielfaches an Ressourcen aufbringen, um soziale Stabilität zu erhalten! Es ist richtig, dass wir die Förderung von Sozialen Wohnen beschlossen haben, das ist der Schlüssel zum gemischten Quartier, zum passiven Netz, das die Chancengleichheit ermöglicht.
Denn Chancengleichheit besteht nicht. Zum Beispiel ist es unerträglich, welchen Formularkram eine arme Familie ausarbeiten muss, ehe sie eine Leistung erhält. Und sie muss es nicht nur einmal im Jahr, sondern halbjährlich beim Jobcenter. Und noch einmal bei Anträgen für Vergünstigungen für das Schulessen oder Zuschüsse zu Bildungsangeboten. In Görlitz gibt es die Görlitzcard: mit ihr erfolgt die Bedarfserhebung einmalig. Tiefgang und Vorausschau fehlen dem Report.
Eng am Armutthema ist das Verschuldungsthema. Dem Report fehlen Angaben zur tatsächlichen Zahl der überschuldeten Menschen, zu Altersgruppen, Gründen der Verschuldung, Schuldenhöhen. Das Verhältnis der überschuldeten Menschen zu denen, die professionelle Beratung in Anspruch nehmen bleibt ebenso unerwähnt wie die Zahl der Beratungsabbrüche, der Wartezeiten auf einen Termin.
Hier brauchen wir mehr Tiefe, um Ansatzpunkte für echte Hilfe zu entwickeln.
Wie auch bei den Hochbetagten -ihre Zahl ist aufstrebend- Aber halten unsere Angebote mit? Die Sparkasse hat ihre mobilen Angebote bereits reduziert, was war es für ein Aufwand, die Fahrbibliothek zu erhalten! Wie aber sieht es mit weiteren Angeboten aus? Mobile Beratung wäre ein Angebot, das die Entwicklung spiegeln würde. Sie würde Alte vielleicht auch besser schützen können vor zu hohen Mieten. Rentner zahlen inzwischen 34% ihres Einkommens für die Miete! Und das ist ein Durchschnittswert, es gibt also Ausreißer nach oben.
In der letzten Ratsversammlung war Housing First bereits Thema. Also erst eine Wohnung, dann die weiteren Hilfeangebote. Denn Wohnen ist Menschenrecht. Im Sozialreport wird ausgeführt, Leipzig würde bereits Housing First praktizieren, Sie, Prof. Fabian, haben dem widersprochen und sich aufgeschlossen gezeigt, den Ansatz in Leipzig tatsächlich zu erproben. Wir sind gespannt auf das Frühjahr, wenn hierzu die ersten konzeptionellen Ansätze diskutiert werden. 1,5 Jahre nach dem Beschluß werden wir also zusammenkommen und beraten. Ich muss bekennen, dass ich für dieses Tempo zu ungeduldig bin. Menschen die auf der Straße schlafen müssen, machen uns Grüne ungeduldig, denn wir halten das für einen untragbaren Zustand.
Die Erklärung, man könne niemanden zur Hilfeannahme zwingen, ist für mich entlarvend: sie verkennt, dass eine Hilfe auch annehmbar sein muss. Für Paare, Menschen mit Hunden oder junge Menschen gibt es in Leipzig kein annehmbares Obdachlosenangebot – außer einer Wohnung!
Von den Menschen herdenken, sie fragen, was sie brauchen, das ist Sozialpolitik, und nicht Bevormundungspolitik, wie sie weiterhin dekliniert wird. Eine Stadt der Demokratie muss laut und vernehmlich sagen: wir sehen die Menschen, wir hören sie und wir überlegen mit ihnen gemeinsam, wie ihre Lage zu verbessern wäre.