Rede von Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende, zur Bildungspolitischen Stunde in der Ratsversammlung am 7. Oktober 2020

- es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Frau Felthaus,
sehr geehrte Frau Tischer,
sehr geehrter Herr Dr. Töpfer,
Herr Müller und Herr Riemer,

vielen Dank für Ihre eingehenden Beiträge zur politischen Bildung in Leipzig. Die bildungspolitischen Stunden begleiten uns nun bereits seit 2011. Erstmals hat der Fachausschuss das Thema selbst gewählt und die Referent_innen ausgewählt. Damit hat sich der Fachausschuss selbst ein ganzen Stück emanzipiert!

Zu dieser bildungspolitischen Stunde gibt es allerdings wieder keine Vorlage der Stadt. Ich darf also voranschicken, dass wir uns demnächst sowohl eigene Vorlagen wünschen zu den politischen Stunden. Damit wir debattieren können was die Stadt ihrerseits tut, um Bildung in Leipzig zu gestalten! Damit wir konkret werden können. Mit dem neuen Dezernat Jugend, Schule und Demokratie haben wir dazu eine gute Struktur geschaffen!

Vorerst sprechen wir jetzt frei weg von der politischen Seele.

Immerhin, die Stadtverwaltung hat sich bemüht und wir bekamen eine Handreichung mit Definition, Praxisfeldern, Akteuren und Herausforderungen als Übersicht zur politischen Bildung.

Wir kennen die Akteure der politischen Bildung in Leipzig sehr gut. Frau Richter mit der Volkshochschule und Frau Tischer mit der Bürgerrechtsakademie, Herrn Dr. Töpfer und das Schulmuseum, auch das, denn hier werden Möglichkeiten von Bildung gerade im Kontext politischer Steuerung und die Gefahr in der Indoktrination gezeigt. Wir kennen die Schulen mit ihren engagierten Lehrer_innen und aktiven Schülerräten, und das Jugendparlament. Wir kennen auch die freien Träger der Jugendhilfe mit ihren Beteiligungsformaten, die Vereine vom Bürgerverein bis zum Umweltbund, die Bibliotheken mit ihren allgemeinen und ihren spezifischen Angeboten, die städtischen und die freien Kultureinrichtungen mit ihren Bühnenprogrammen und Diskussionsformaten, Ausstellungen und Interventionen;  Wir kennen die Städtepartnerschaften, die ihrerseits zur politischen Bildung beitragen, weil sie uns über den Tellerrand unserer Stadt hinausschauen lassen, genau so wie die internationale Jugendarbeit und die Schüleraustausche, die ganz niedrigschwellig den europäischen Gedanken tief in unsere gesellschaftliche DNA gelegt haben.

Befördert und herausgefordert wird die politische Bildung durch die Neuen Medien, die Informationen deutlich schneller kursieren lassen, viel mehr Menschen teilhaben lassen, aber eben auch zu Botschaften minimieren, die um Aufmerksamkeit gieren, und doch zu einer Erosion der Wertschätzung beitragen. Auch hier kennen wir die Angebote zur Medienbildung, zum Quellenstudium und zur Befähigung, kritisch zu prüfen.

Wo also ist darüber hinaus der kommunale Anspruch, die Politische Bildung zu gestalten? Soll es einfach so weitergehen, weil wir als Stadt Leipzig mit unserer über Jahrhunderte herausgebildeten Bürgerschaft hervorragend aufgestellt sind und immer innovativ und aufgeschlossen sind?

Für uns Bündnisgrüne steht ganz zentral: die Bildung eines Menschen hat seine Mündigkeit zum Ziel. Der Mensch soll selbstbestimmt und handlungssicher sein Leben gestalten, sein persönliches, sein unmittelbares Umfeld, aber eben auch seine Polis.

Die Summe der Menschen, die mündig in der Polis agieren, bilden die lebendige Zivilgesellschaft; dass uns diese essentiell am Herzen liegt, unsere politische Agenda bestimmt, das wissen Sie über uns Bündnisgrüne. Das ist unsere Geschichte als Bündnispartei. Die politische Bildung der mündigen Bürgerschaft soll darum nicht mein Thema sein.

In der Handreichung erscheinen nämlich 2 Aspekte nicht, und die Frau Felthaus bereits benannte. Auch ich hatte mich entschieden, diese eingehender zu beleuchten: Das Vertrauen in die Institutionen und die politische Bildung der Minderheiten

Da sind zum ersten die öffentlichen Institutionen. Öffentliche Institutionen, also die Verwaltungen unserer Polis, sind Träger und Empfänger Politischer Bildung! Sie müssen Demokratie atmen, mit jeden Ein- und Ausatemzug. Sie müssen die Regeln unseres Zusammenlebens kennen und leben, sie müssen das Grundgesetz mit seinen Werten kennen und leben, sie müssen die Beteiligung unserer Demokratie kennen und leben. Sie müssen also den mündigen Menschen achten!

Die öffentlichen Institutionen sind keine kafkesken Rathäuser oder Verwaltungseinrichtungen. Hier arbeiten Menschen, die durchaus mit politischer Bildung erreicht werden müssen – und möchten, wie Dr. Töpfer Kitaerzieherinnen benannte. Zu ihrem eigenen Empowerment, zu ihrem eigenen Handeln, zu ihrem eigenen Auftrag, den sie für die Polis erfüllen.

Die Diskurse dieses Sommers über Diskriminierung von People of color oder über rechtsradikale Strukturen eröffnen, dass es da Lücken gibt. Wir haben Diskussionen über die demokratische Verfasstheit der Polizei und Ordnungskräfte. Wir haben Diskussionen über die tatsächliche Implementierung der Freiheit und Würde und den Schutz jedes Einzelnen. Wir haben – um zur kommunalen Sphäre zu kommen, Diskussionen über Beteiligung, Transparenz, Information.

Mit der Initiative zu einem „Jahr der Demokratie“ wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Mitarbeitende der Stadtverwaltung weitergebildet werden zu Themen der Demokratie. Wir sind weiterhin überzeugt, dass Handlungssicherheit der städtischen Mitarbeitenden zum Vertrauen in die politischen Institutionen immanent beiträgt.

Politische Bildung fängt also beim Einzelnen an, sie darf aber niemals vor den Institutionen unserer Polis Halt machen. Demokratische Bildung brauchen wir zu aller erst für die Verwaltungen, ihr Spitzenpersonal und die stützenden Systeme der Gesellschaft, die ihnen bis heute beistehen. Denn sie entscheiden über Politikfreudigkeit oder eben Politikverdrossenheit. Sie sind Vorbild, sie bilden Vorbilder.

Wie vulnerabel das ist, sehen wir, wenn es um die Beteiligung von Frauen geht, die sich abgeschreckt fühlen müssen bei diesen politischen Gebaren. Bei der Beteiligung von Menschen, die in irgendeiner Weise anders sind, sei es die Hautfarbe, die Sprache, die Garderobe oder welche Äußerlichkeit auch immer und die auf dieses „anders als weißer Mann seiend“ reduziert werden. Da können wir als Stadt selbst einen Akzent setzen!

Und damit bin ich beim zweiten Aspekt, der hier gar nicht beleuchtet wird in der Handreichung: bei der Inklusion. Das politische System ist exklusiv. Politische Bildung muss also dort ansetzen, wo die Exklusivität überwunden gehört. Politische Bildung muss die in den Blick nehmen, die aktuell zu wenig oder gar nicht erfasst werden – Menschen mit Behinderungen, Menschen in den Mahlwerken der Niedrigentlohnung, Menschen die an den gesellschaftlichen Rand gedrängt sind durch Wohnungslosigkeit oder psychische Erkrankung, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Menschen ohne Migrationsgeschichte, kurz People of Color, sie muss Sorgende und Frauen in den Blick nehmen. Und das ist eine vornehme Aufgabe, die in Kommune geleistet werden kann. Denn die kleinste Verwaltungseinheit bietet mit ihren öffentlichen Einrichtungen, ihren Orten der Begegnung vom LeipzigZimmer bis zum Marktplatz, von der Schulaula bis zum Rathaus, vom KidsCampus bis zur Revolutionale im ehemaligen Karstadt:  die räumliche und organisatorische Voraussetzung für politische Bildung, politische Teilhabe und Inklusion.

Politische Bildung hat die Mündigkeit des Einzelnen zum Ziel, ihre Mittel sind die lebendige Zivilgesellschaft und starke öffentliche Institutionen. Politische Bildung empowert, sie fördert die Debatte, also die Fähigkeit zu streiten, sie fördert Meinungsvielfalt und sie fördert die Mitwirkung. Politische Bildung befähigt, Stopp zu sagen, wenn menschenfeindliche Aussagen fallen, sie nimmt Partei für die Werte unseres Grundgesetzes. Politische Bildung vermittelt Haltung.

Zurück