Rede von Marsha Richarz am 24. September 2025 zum Antrag „Patenschaftsprogramm für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien“
Foto: Martin Jehnichen- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Oberbürgermeister, Abgeordnete, Gäste auf dem Rang und im Livestream, sehr geehrte Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,
niemand in diesem Raum, niemand in diesem Gebäude, niemand in dieser Stadt ist immun gegen Sucht. Sie befällt Menschen aller Altersgruppen, Herkunft, Klassen und Berufe. Es gibt jedoch Rädchen, an denen wir drehen können, um dieses Immunsystem gegen Sucht zu stärken: Bildung und Prävention, Stärkung von Resilienz, Stabilität im sozialen Gefüge, finanzielle Sicherheit, ein Dach über den Kopf. Hier in diesem Raum haben manche mehr, manche weniger Privilegien, die sie vor bestimmten Dingen schützen und wir alle haben vor allem das Privileg die Bedingungen für unsere Stadtgesellschaft zu ändern.
Und unter verschiedenen Bedingungen mit unterschiedlichen Privilegien wachsen auch Kinder und Jugendliche auf. Als vulnerable Gruppe brauchen sie zusätzlich zur Familie äußeren Schutz und Unterstützung, um sich gegen alle möglichen Risiken im Leben zu wappnen. In Hinblick auf die Suchtimmunität ist eine elterliche Suchterkrankung eines der zentralen Risiken für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Denn dann sind Eltern oft kaum oder nicht mehr in der Verfassung ihren Kindern den nötigen Schutz und Unterstützung zu bieten, die sie bräuchten um gesund aufzuwachsen. In suchtbelasteten Familien aufzuwachsen potenziert nicht nur die Weitergabe von Suchterkrankungen über die Generationen hinweg, sondern häufig leiden Kinder unter sozialer Isolation, Scham- und Schuldgefühlen sowie mangelnder Stabilität im Alltag.
Unter anderem deswegen brauchen Kinder und Jugendliche brauchen positive Vorbilder außerhalb der Kernfamilie.
Und erlauben Sie mir die Nebenbemerkung, die erstmal nichts mit dem Antrag zu tun hat aber mit der genannten positiven Vorbildfunktion: Das ist durchaus auch eine Erinnerung für alle Erwachsenen hier im Raum, die in den vergangenen Sitzungen durch Redebeiträge und Zwischenrufe gezeigt haben, dass respektvoller Umgang miteinander nicht unbedingt im Zusammenhang mit teuren Anzügen und Privilegien stehen muss. Das ist eine Erinnerung sich vorbildlich respektvoll auch bei unterschiedlicher Meinung zu verhalten. Ich erwarte hier im politischen Raum einen anderen Umgang miteinander. So, dass hier oben bspw. die Schulklassen lernen, wie man konstruktiv miteinander reden kann.
Zurück zum Thema: Ein kommunales Patenschaftsprogramm bietet diesen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit positive Vorbilder kennen- und mit ihnen zu lernen, einen geschützten Raum für den Austausch mit anderen Betroffenen zu finden, soziale Isolation zu überwinden und Gemeinschaft zu erleben. Sie haben die Möglichkeit, stabile Bezugspersonen außerhalb des familiären Systems kennenzulernen. Das GKV-Bündnis für Gesundheit betont: "Die Suchtprävention ist eine Investition in die Zukunft der Lebenswelt Kommune, da auf diese Weise der Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe und in ein erfolgreiches Erwerbsleben für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien gefördert werden kann." Erfolgreiche Modellprojekte wie "Kindern von Suchtkranken Halt geben" des BKK Dachverbands (2005-2010) haben gezeigt, dass frühzeitige Intervention und kontinuierliche Begleitung die Resilienz der betroffenen Kinder stärken und langfristig
gesellschaftliche Folgekosten reduzieren können.
Wir sind als Bündnis 90 / Die Grünen der Überzeugung, dass dieser Kreislauf durchbrochen werden kann. Deshalb haben wir den Antrag gestellt und begrüßen den Vorschlag der Verwaltung im Grunde genommen sehr. Eine Bemerkung sei mir allerdings noch erlaubt bevor ich zu einem Abstimmungsvorschlag komme:
Ich verstehe die Bedenken der Verwaltung bezüglich Stigmatisierung. Diese teilen wir. Aber die Lösung kann nicht sein, den spezifischen Bedarf dieser Kinder zu ignorieren. Die Lösung liegt in einem sensiblen, inklusiven Ansatz. Patenschaften sollen allen Kindern offenstehen - aber wir müssen sicherstellen, dass die Patinnen und Paten, die mit Kindern aus suchtbelasteten Familien arbeiten, speziell geschult sind und verstehen, welchen besonderen Herausforderungen diese Kinder gegenüberstehen.
Unser Änderungsvorschlag zum Verwaltungsstandpunkt ist daher: Wir wollen keinen vagen Prüfauftrag für das dritte Quartal 2025, der Zeitpunkt soll gestrichen werden. Ein tragfähiges Konzept ist wichtiger als ein eiliger Zeitpunkt. Wir fordern also einen klaren Handlungsauftrag. Die Verwaltung soll gemeinsam mit den bestehenden Trägern ein Konzept und einen realistischen Zeitplan entwickeln. In einem Jahr erwarten wir einen Umsetzungsbericht.
Und dann könnte das Realität für einige der etwa 3000 betroffenen Kindern in Leipzig sein: Eine verlässliche erwachsene Person, bei der sie einmal pro Woche sein können. Mit der sie ins Kino gehen, Hausaufgaben machen oder einfach nur reden können. Jemand, der ihr zeigt: Du bist nicht allein. Du bist nicht schuld. Und es gibt ein Leben jenseits der Sucht.
Diese Kinder sind Teil unserer Stadtgesellschaft und es sollte aus Angst vor Stigmatisierung nicht weggeschaut werden. Ihre Zukunft ist unsere gemeinsame Verantwortung.
Ich bitte Sie daher: Stimmen Sie dem Verwaltungsstandpunkt mit unseren mündlich eingebrachten Änderungen zu.
Vielen Dank.