Rede von Marsha Richarz am 29. Oktober 2025 zur Petition "Frauen Taxi für Leipzig"
Foto: Martin Jehnichen- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Kolleg*innen der demokratischen Parteien, sehr geehrter Oberbürgermeister und Bürgermeister*innen, sehr geehrte Presse und sehr geehrte Gäste auf der Bühne und im Livestream,
68 Prozent. Diese Zahl sollte uns alle nachdenklich stimmen. 68 Prozent der Frauen in deutschen Städten vermeiden bestimmte Linien oder Haltestellen zu bestimmten Tageszeiten. Nicht weil sie keine Lust haben, nicht weil sie lieber Auto fahren, sondern aus einem einzigen Grund: Sie fühlen sich nicht sicher. Wenn wir ehrlich sind, kennen beinahe alle Frauen in diesem Saal diese Situationen: Die einsame Haltestelle spät abends. Der leere Waggon. Der lange Heimweg durch schlecht beleuchtete Straßen. Der Schlüsselbund in der Hand, im Kopf nochmal schnell die Bewegungsabläufe aus dem Selbstverteidigungskurs durchgehen, schneller laufen, wenn jemand hinter uns läuft. Für viele Frauen sind das keine abstrakten Szenarien, sondern alltägliche Realität, die zu konkreten Einschränkungen führt. Doch der öffentliche Raum ist für alle da!
Auch in Leipzig zeigt die Sicherheitsbefragung von 2023, dass 44 Prozent der befragten Frauen angeben, "immer" oder "oft" in der Nacht öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Das ist fast jede zweite Frau, die ihre Mobilität einschränkt aus Angst. Und wovor haben sie Angst? Vor Männern.
Das ist durch Studien belegt. Ein Beispiel: Die Forschenden vom Institut für Generationenforschung in Augsburg haben 5000 junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren zu verschiedensten Themen befragt. Eine Frage lautete: „Was macht dir Angst in Deutschland?“. Bei 70 Prozent der befragten Frauen lautete die Antwort: „Männer im Allgemeinen“. Mehr als 90 Prozent der Befragten berichten von einer starken bis extremen Angst, wenn sie nachts unbekannten Männern begegnen. Ähnlich stark ist auch die Angst junger Frauen vor betrunkenen Männern.
Und bevor hier gleich jemand seine Chance wittert mal wieder lauthals am Mikro mit rassistischen Parolen um sich zu werfen: Dafür gibt die Studie keinen Anlass. Denn, dass sich Frauen vor Männern fürchten, hat nichts mit der Herkunft oder dem Aussehen der Männer zu tun. Vor Männern mit „deutschem Erscheinungsbild“ fürchten sich knapp 60 Prozent, marginal mehr fürchten sich vor Männern mit, und ich zitiere hier nur, „arabischen Aussehen“. Es gibt übrigens auch gar keinen Anlass, sich zum Beispiel vor geflüchteten Männern mehr zu fürchten, wie die Polizei-Statistik zeigt: Deutsche Täter begehen 68,5 Prozent der Gewaltverbrechen, während 31,5 Prozent der Tatverdächtigen ausländischer Herkunft sind.
Übrigens, kleine Nebenbemerkung: Auch 89% der junge Männern zwischen 16-30 Jahre alt sagten in der Jugendstudie, dass sie Angst vor Männern haben. Jeder zweite Mann hat sogar extreme Angst vor anderen Männern.
Die Petition "Frauen-Taxi für Leipzig" greift dieses Problem des fehlenden Sicherheitsgefühls auf. Sie zeigt, dass es einen Bedarf gibt, den wir als Stadt ernst nehmen sollten. Die Verwaltung hat in ihrer Stellungnahme zwar die Problematik anerkannt, lehnt aber konkrete Maßnahmen mit Verweis auf Finanzierungsfragen und schwer messbare Effekte ab.
Doch können wir es uns wirklich leisten, nichts zu tun?
Wir haben das im Gleichstellungsbeirat ausführlich diskutiert, schon vor der Sommerpause und wir haben die Punkte daraus in unserem Änderungsantrag übernommen. Denn wir sind der Überzeugung: Sicherheit im öffentlichen Raum ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Wenn Frauen ihre Mobilität einschränken müssen, weil sie sich nicht sicher fühlen, dann ist das eine Form der strukturellen Diskriminierung, die wir als progressive Stadt nicht hinnehmen dürfen.
Unser Änderungsantrag schlägt deshalb einen pragmatischen Weg vor: Statt die Petition komplett abzulehnen, wollen wir die Verwaltung beauftragen, gemeinsam mit der LVB, dem Taxigewerbe und weiteren Akteur*innen konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit zu entwickeln.
Dabei geht es nicht nur um das Frauen-Taxi als isolierte Maßnahme, sondern um ein umfassendes Konzept: Wie können wir Haltestellen sicherer gestalten? Wie lässt sich das Flexa-Angebot optimieren? Welche Best-Practice-Beispiele aus anderen Städten können wir übernehmen?
In Wien gibt es beispielsweise das "Nightline"-Konzept mit besonders geschultem Personal in den Nachtbussen. Städte wie Heidelberg und Stuttgart machen es vor: Nachts können Frauen explizit ein Frauen-Taxi anfordern, die dortigen Verkehrsbetriebe übernehmen 5€ der Kosten. In Barcelona wurden Haltestellen-auf-Anfrage eingeführt, damit Frauen näher an ihrem Ziel aussteigen können.
All diese Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie nehmen die Sicherheitsbedürfnisse von Frauen ernst und schaffen Lösungen, die am Ende die Mobilität für alle verbessert.
Liebe Kolleg*innen, eine Stadt wie Leipzig muss die Sicherheit aller im öffentlichen Raum gewährleisten. Unser Änderungsantrag fordert eben nicht nur eine Einzelmaßnahme, sondern ein durchdachtes Gesamtkonzept.
Wir wünschen uns eine Stadt, in der sich alle Menschen zu jeder Tageszeit frei und sicher bewegen können. Ich bitte Sie daher um Ihre Unterstützung für unseren Änderungsantrag. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Leipzig eine Stadt wird, in der Sicherheit und Mobilität für alle selbstverständlich sind – unabhängig vom Geschlecht und von der Uhrzeit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.