Rede von Martin Biederstedt in der Ratsversammlung am 29. April 2020 zur Drucksache Finanzierung Hauptfeuerwache

- es gilt das gesprochenen Wort -

Sehr geehrter Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
meine Damen und Herren im Saal und an den Bildschirmen,

hier geht es um einen Kostenmehraufwand von sieben Millionen Euro für die Sanierung einer Hauptfeuerwehrwache. Meine Fraktion wird sich in diesem Punkt enthalten.

Das mag wundern, erscheint doch ein Ja zur Vorlage unumgänglich angesichts 65% bereits erfolgter Ausschreibungen und Vergaben zur Komplettsanierung der Hauptfeuerwache am Goerdelerring. Seit Beschlussfassung im Rat im November 2017 ist die Stadt bisweilen vertragliche Verpflichtungen eingegangen. Es liegt ein Fördermittelbescheid vor, der die Summe von 14,25 Millionen € zur Komplettsanierung freigibt, das waren zum Zeitpunkt der Beschlussfassung 2017 immerhin 75% der veranschlagten Gesamtkosten. Der Titel des zugrundeliegenden Investitionsbudgets von Bund und Freistaat trägt übrigens den Titel Brücken in die Zukunft.

Wir haben es Ende April 2020: wenn das Sanierungsvorhaben ein Zug wäre, so befände er sich schon auf den Schienen, hat sich ein gutes Stück weit bewegt bzw. eine Geschwindigkeit erreicht, bei der eine Vollbremsung für alle Mitreisenden sehr unangenehm wäre – und vor allem zu zeitlichen Verspätungen führen würde.

Meine Fraktion möchte keine Vollbremsung dieses Projektes vornehmen. Aber in diesen Zeiten, in der die finanz- und haushaltspolitischen Folgen der Coronakrise mitsamt ihren Beschränkungen noch analysiert werden und derzeit nicht bezifferbar sind, möchten wir von Bündnis 90/Die Grünen angesichts eines Hindernisses von sieben Millionen Euro doch zumindest für den Bruchteil einer Sekunde innehalten. Mit unserer Enthaltung geben wir ein Signal an die Verwaltung ab, dass sie umdenken möge, um selbst neue Brücken in die Zukunft zu bauen. Die Gründe für ein Umdenken möchte ich kurz am Beispiel Hauptfeuerwache umreißen:

Die Beschlussfassung im November 2017 wurde seitens der Verwaltung im Vorfeld sehr eilig vorangetrieben. Die damaligen Planzahlen für die Gesamtkosten des Sanierungsvorhabens basierten aus heutiger Sicht auf einer unzureichenden Überprüfung des Gebäudegesamtzustandes. Zwar gab es Vor-Ort-Begehungen von Sachverständigen und auch Vertreter*innen der städtischen Vergabegremien. Jedoch gelang es zu keinem Zeitpunkt, dass Gebäude so frei zu lenken, um mehr als nur stichprobenartige Substanzuntersuchungen durchzuführen. Bei der Größe dieses Bauvorhabens aber hätte die Feuerwehr für einen begrenzten Zeitraum in ein Interimsquartier ausweichen müssen. Dieses gibt es zwar, war aber laut Verwaltung besetzt. Man entschied sich für eine Schätzung der Baukosten, die, wie wir nun zwei Jahre später wissen, um sieben Millionen Euro daneben lag. Die Sanierung wird also nicht teurer, da schon 2017 die Gebäudemängel, die zu den heute bekannten Mehrkosten führen, existierten.

Es bleibt dennoch festzuhalten: ohne Freilenkung von Gebäuden dieser Größenordnung scheint keine eingehende Bausubstanzuntersuchung gegeben zu sein. Für das vorliegende Objekt muss heute attestiert werden, dass ein vollständiger Neubau einer Hauptfeuerwehrwache sogar kostengünstiger gewesen wäre als die nun veranschlagten 26,3 Millionen Euro. Wäre mit diesem neuen Zahlenmaterial im November 2017 die Entscheidung für den Verbleib am aktuellen Standort gefallen? Unabhängig davon bleibt es dabei: die zuständigen Ämter der Stadtverwaltung und der Stadtrat selbst waren bedenklich schlecht informiert und nur äußerst eingeschränkt aussagefähig bei der Beschlussfassung in 2017. In einem solch erheblichen Ausmaß darf das nicht erneut passieren, denn es erwächst für die Zukunft unserer Stadt, so befürchten wir es, neuer Schaden daraus, den ich abschließend am Beispiel der Hauptfeuerwache skizzieren möchte:

  1. lt. der heutigen Vorlage müssen die für andere Branddirektionen eingestellten Planungs- und Finanzmittel abgerufen und umgelenkt werden, um diesen Mehrbedarf von sieben Mio € abzufedern. Wir befürchten, dass dies zu Lasten des zeitnahen Ausbaus der Branddirektionen in den Außenbereichen unserer Stadt geht. Gerade aber diese müssen wir auch ertüchtigen im Hinblick auf das Stadtrandgebiet, welches in Zeiten sich verlängernder Trockenphasen akut anfällig für Flächengroßbrände ist. Eine sich wiederholende unvollständige Kosten-Analyse, wie sie beim Beschluss der Hauptfeuerwehrwache Goerdelerring 2017 vorlag, kann im Nachgang zu Finanzierungslücken bei anderen Bauvorhaben führen und so beitragen zu einer Instabilität des gesamten Versorgungsnetzes unserer Stadt. Mindereinnahmen im Rahmen der Coronakrise verschärfen hier womöglich noch schleichende Entwicklungen.
  2. Es kann davon ausgegangen werden, dass für diese Sanierung bereits Werksverträge abgeschlossen wurden. Die Besonderheit dabei besteht darin, dass der Auftraggeber während der Bauausführung sowohl den Bauentwurf ändern als auch weitere zusätzliche Leistungen, die zur Erbringung der Vertragsleistung notwendig werden, anordnen darf. Dies ist im vorliegenden Fall unumgänglich seitens der Stadt. Grundsätzlich sind die Firmen als Auftragnehmer verpflichtet, diesen Anordnungen nachzukommen. Ihnen steht jedoch eine angepasste Vergütung zu. Hier ist aufgrund der nun vorliegenden Erkenntnisse zur Bausubstanz und ihren Schädigungen von nicht unerheblichen Vergütungsanpassungen während der Bauzeit zu rechnen. Diese sogenannten Nachträge kommen erfahrungsgemäß der Stadt teuer zu stehen im Vergleich zu Direktausschreibungen.
  3. Der anfangs erwähnte Fördermittelbescheid trägt die Kostensteigerung nicht mit. Im Gegenteil: die Fördermittelsumme sinkt sogar um 272.000 € ab. Nun sind nur noch ca. 50% der Gesamtkosten hierdurch abgedeckt. Das Agieren der Stadtverwaltung, die damit einhergehende Zeitverzögerung und die Nachträge spielen auch hier vermutlich eine Rolle. Ich frage daher: Wie verlässlich stellt sich die Aussagekraft Leipzigs bei der Beantragung von Fördermitteln gegenüber Bund und Freistaat noch dar? Welche Folgen haben solche Vorgänge auf zukünftige Fördermittelantragsverfahren? Nicht nur den Stadtrat muss eine verlässliche Daten- und Kostenvorlage zu einzelnen Bauvorhaben erreichen, um alle Beschlussvarianten und Alternativen beurteilen zu können – auch gegenüber Fördermittelgebern muss man verlässlich auftreten können.

Ich komme zum Schluss: In diesen Tagen wird in der Öffentlichkeit auch debattiert, wie es nach den Aufhebungen der Beschränkungen durch Corona weitergeht mit uns allen – im Einzelnen aber auch im Agieren auf z.B. kommunaler Ebene. Wird diese Krisenzeit uns und unser Handeln verändern? Mit unserer Enthaltung möchten wir das Signal an die Stadt richten, dass es so wie im vorliegenden Fall nicht mehr weiter gehen darf. Wir fordern die Stadt auf, ihre Vorgehensweisen bei der Begutachtung und Planung von Bauvorhaben zu reflektieren und insbesondere in puncto Freilenkung der betreffenden Gebäude zu überdenken. Dafür zitiere ich auch gern nochmal den Namen des hier zur Anwendung kommenden Förderbudgets für unsere Hauptfeuerwehrwache: bauen wir verlässliche Brücken in die Zukunft.

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