Rede von Michael Schmidt in der Ratsversammlung am 11. Dezember 2019 zum Antrag „Fallzahlbegrenzung im Leistungsbereich Vormundschaften / Pflegschaften“ (VI-A-08055)

Foto: Martin Jehnichen
Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

der Themenkomplex ‚Hilfen zur Erziehung‘ beschäftigt uns derzeit in verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen des Jugendhilfeausschusses, weil der zu erarbeitende Teilfachplan ein zentraler Baustein der integrierten Jugendhilfeplanung darstellt und wir es seit Jahren mit einer wachsenden Zahl an Hilfebedürftigen und damit auch Kosten zu tun haben.

Wir brauchen Mittel und Wege, sowohl in der Fallsteuerung als auch beim quanitiativen und qualitativen Ausbau der präventiven Hilfen, um den Entwicklungen zu begegnen. Dabei müssen wir auch die gängige Praxis beleuchten und hinterfragen. Hier liegt viel Arbeit vor uns, die keinen Aufschub erlaubt.

Im Mai  hat sich der Jugendhilfeausschuss einer Teilthematik angenommen, die punktuell sehr deutlich zeigt, wie die Stadt Leipzig personell bei den Hilfen zur Erziehung aufgestellt ist und die – wenn man sich dessen erst bewusst wird – einem nicht nur deutlich zu denken gibt, sondern auch die Frage aufwirft, warum die Verwaltung hier nicht von sich aus längst umgesteuert hat.

Es geht uns als Jugendhilfeausschuss um die Fallzahlbegrenzung im Leistungsbereich Vormundschaften und Pflegschaften.

Erlauben Sie mir dazu einen kurzen Exkurs:
Bei den Hilfen zur Erziehung bedeutet die Vormundschaft, dass ein gesetzlicher Vertreter die elterliche Sorge über das Kind oder den Jugendlichen übernimmt, weil die Eltern entweder nicht mehr leben oder ihnen das Sorgerecht entzogen wurde. Der Vormund steht in der persönlichen Verantwortung dafür, dass Pflege und Erziehung des Mündels gewährleistet sind. Er hat sie individuell zu fördern, d.h. er muss sein Handeln auf die spezifische Lebenssituation ausrichten und hat alles zu unternehmen, dass sich das Mündel optimal entwickeln kann. Der Vormund ist auch gesetzlich verpflichtet, sein Mündel in der Regel einmal monatlich zu treffen, um eine tragfähige und vertrauensvolle Beziehung zum Mündel aufzubauen und zu gestalten.

Es sind alles hochkomplexe Fällen, in denen Vormünder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, die:
- körperlich und seelisch vernachlässigt;
- misshandelt und/oder
- sexuell missbraucht wurden.
Es sind Kleinstkinder, die bereits mit der Geburt schwerste gesundheitliche Schäden aufweisen, weil die Eltern drogenabhängig sind oder es handelt sich um Kinder und Jugendliche, deren Eltern psychisch krank sind
und es sind auch unbegleitete minderjährige Ausländer (umA), die ihre Heimat, ihre Geschwister oder ihre Eltern verloren und zum Teil lebensbedrohliche Fluchterfahrungen gemacht haben.

Jedes Einzelschicksal für sich ist dramatisch, die Kinder und Jugendlichen sind schwer belastet und traumatisiert. Dies wird sie ein Leben lang begleiten.

Die Vormundschaften sind in Leipzig in Amts- und Vereinsvormundschaften unterteilt, also es gibt Vormünder, die dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe, dem Amt für Jugend, Familie und Bildung angehören, und es gibt Vereinsvormünder, die einem mit der Leistung betrauten Freien Träger der Jugendhilfe angehören. In Leipzig übernimmt diese Aufgabe der Fairbund e.V..

Unser Antrag verfolgt zwei Motivationen. Zum Einen gibt es eine klare Differenz zwischen der Zahl der pro Vormund zu bearbeitenden Mündel zwischen Amts- und Vereinsvormundschaft. Während sich ein Amtsvormund um rechnerisch 40 Mündel kümmert, liegt die Fallzahl beim Fairbund bei 1:50. Das bedeutet, dass ein Kind, welches einen Vereinsvormund hat, diesen deutlich weniger und seltener zu Gesicht bekommt, als ein vergleichbares Kind mit einem Amtsvormund.

Zum anderen – und dieser Teil ist der eigentlich wichtige Anlass für den Antrag gewesen, ist der Antrag als Kritik an der gängigen und mit dem Fairbund vor langer Zeit vereinbarten Fallzahlbegrenzung von 1:50 zu verstehen. Man muss sich nur einmal vorstellen, dass ein Vereinsvormund für 50 Mündel zuständig ist und die damit verbundene Verantwortung für jedes einzelne dieser Schicksale trägt. Zugegeben, 1:50 ist die gültige gesetzliche Regelung im Vormund¬schafts- und Betreuungsrecht des SGB VIII. Diese ist dort aber als Höchstbegrenzung festgelegt.
Jeder möge sich davon selbst ein Bild machen, wie dies in der Praxis aussieht. Die Verwaltung hat sich die vergangenen Jahre auf die Position zurückgezogen, dies sei ja bewusst eine Soll- und keine Muss-Vorschrift und somit lediglich als Orientierungsrahmen zu verstehen und hat deshalb auf eine Nachsteuerung bislang verzichtet.
Zum Vergleich: In Dresden wurde der Schlüssel mittlerweile auf 1:40 reduziert, im Verwaltungsstandpunkt findet sich zu diesem naheliegenden Vergleich kein Wort.

Das Angebot der Verwaltung ist nun eine Fallzahlbegrenzung von 1:45.

In der Ursprungsfassung des Verwaltungsstandpunktes sollten – um das zu erreichen - dazu die Fallzahlen beim Fairbund reduziert und Vereins-Mündel in die Amtsvormundschaft überführt werden, das fand ich schon sehr bedenklich. Dies würde nämlich bedeuten, dass man als öffentlicher Träger der Jugendhilfe Beziehungsabbrüche zwischen Vormund und Mündel billigend in Kauf nehmen würde, wo doch die tragfähige und vertrauensvolle Beziehung zum Mündel essenzielle Grundlage eines jeden Hilfeplans darstellt. Mit der Neufassung ist dies nun zum Glück vom Tisch, ein fahler Beigeschmack aber bleibt zurück.

Die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses sind weiter fest davon überzeugt, dass es hier keinen Kompromiss geben kann und soll und dass eine Fallzahlbegrenzung von 1 : 40 – wie im Antrag formuliert - fachlich angemessen ist. Zudem haben sich die Mitglieder einstimmig bei einer Enthaltung zum Änderungsantrag 1 bekannt, welcher hiermit übernommen wird.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns Qualität und Quantität heben, statt eines gegen das andere auszuspielen. Bei der Betreuung der Kinder in erzieherischen und seelischen Notlagen darf uns der Blick auf die finanziellen Folgen nicht von unserem Ziel abbringen, den Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Betreuung und Unterstützung zuteil werden zu lassen. Nur wenn das der Fall ist, haben sie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Das muss unser Ziel sein.

Im Namen der Mitglieder des Jugendhilfeausschusses bitte ich Sie um Zustimmung der mit dem ÄA1 ergänzten Neufassung des Antrages.

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