Rede von Michael Schmidt, familienpolitischer Sprecher in der Ratsversammlung am 12. Dezember 2018 zur Drucksache „Vertretungssystem Kindertagespflege“

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- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen Stadträte,
liebe Gäste.

Wir haben heute eine Vorlage zu beraten, die ein Vertretungssystem für Kinder, die in der Kindertagespflege betreut werden, ins Leben rufen will. Und die damit dem Auftrag des Stadtrates nachkommt, der einen Antrag meiner Fraktion im April diesen Jahres unterstützt und beschlossen hat.

Das ist erst einmal sehr zu begrüßen. Denn der Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege, der seit dem 1. August 2013 für alle Kinder vom ersten Geburtstag bis zur Einschulung gilt, verlangt eben auch eine adäquate Vertretung im Krankheitsfall der Betreuungsperson. In der Krippe und der Kita ist das selbstverständlich gegeben. Und in der Tagespflege existieren in Leipzig allenfalls kleine rudimentäre Systeme bei einzelnen Trägern. Aber eben kein flächendeckendes System, was den Eltern eine gewisse Sicherheit gäbe, im Bedarfsfall eine gesicherte und pädagogisch wertvolle Kinderbetreuung zu haben.
Bereits 2010, also drei Jahre vor dem Rechtsanspruch, hat das Deutsche Jugendinstitut den Kommunen empfohlen, ein Vertretungssystem aufzubauen, das sich am Rechtsanspruch der Eltern orientiert.

Und jetzt endlich, acht Jahre später, liegt uns ein Vorschlag der Verwaltung vor, der dieses endlich auf den Weg bringen soll.

Ein genauer Blick zeigt aber, dass das Vertretungssystem, so wie es geplant ist, mal wieder in erster Linie unter einem Kostendeckel gestrickt wurde und vom generellen Mangel an Betreuungsplätzen zur Sicherung des Rechtsanspruches gekennzeichnet ist.

Wie viele Kinder werden denn von dem Vertretungssystem erfasst, wenn es denn mal vollends zum Laufen kommt? In 2019 rechnet man mit etwa 680 Tagesmüttern und –vätern, die in Leipzig tätig sind und über 3.100 Kinder betreuen. Dazu bräuchte man für eine adäquate Vertretung – und damit meine ich, dass auf 8 Tagespflegepersonen eine Vertretungsperson kommt, etwa 75 Ersatz-Tagespflegepersonen – das entspräche theoretischen 375 Plätzen. Geplant sind aber lediglich 80 Plätze durch Springer und 50 Plätze in Stützpunkten. In Summe also 130, ein Drittel dessen, was meine Fraktion einfordert.

Nun könnte man natürlich fragen, warum fordern die denn so viel mehr und macht das überhaupt Sinn? Ich möchte Ihnen die Frage beantworten. Aber vielleicht möchte das ja auch unser Sozialbürgermeister beantworten, der für die Vorlage verantwortlich ist.

Herr Bürgermeister Fabian, Sie sind Professor der Psychologie, haben da ja eine immense Erfahrung im Bereich der Kinder- und Familienpsychologie vorzuweisen. Ihr Vorschlag für ein Vertretungssystem in der Kindertagespflege sieht vor, dass eine Vertretungsperson künftig für 120 Kinder zuständig sein müsste. Man könnte auch sagen, dass eine Vertretungsperson auf 26 Tagespflegepersonen käme. Also beides rechnerisch und wenn man davon ausgeht, dass eine klare regionale Zuständigkeit der Vertretungspersonen geplant sei.

Sie schreiben in der Begründung der Vorlage folgenden Satz: „Die Anforderungen an eine Vertretungsstelle für jeweils bis zu fünf Kinder in der Regel vom ersten bis zum dritten Lebensjahr sind hoch. Kindeswohl steht dabei im Fokus, Akzeptanz der Eltern, aber auch Akzeptanz durch die Kindertagespflegepersonen.“

Und genau an dieser Stelle, Herr Prof. Fabian, muss man doch wirklich ernsthaft die Frage stellen, ob auch nur einer der drei Grundsätze mit Ihrem Vorschlag erreicht werden kann.

Zum Kindeswohl gehört aus meiner Sicht, dass das zu betreuende Kind doch die Ersatztagesmutter zumindest schon einmal kennengelernt haben sollte, ein gewisses Vertrauensverhältnis gegeben ist.

Wer schon einmal ein Kind in der Eingewöhnungsphase hatte, egal ob in der Krippe oder der Kindertagespflege -, weiß, wie wichtig diese Eingewöhnung ist und wie sensibel man da mit dem Kind umgehen muss.

Und da will ich gleich auf die Akzeptanz der Eltern kommen – wer würde denn sein Kind in eine Ersatzbetreuung geben, die man nicht kennt, die man nie kennengelernt hat und wo man doch genau weiß, dass diese von dem eigenen Kind unbekannterweise kaum akzeptiert werden wird.

Und die Akzeptanz durch die Kindertagespflegepersonen kann selbstverständlich auch nur dann erreicht werden, wenn den Tagesmüttern und –vätern, die sich als Ersatztagespflege zur Verfügung stellen, die Möglichkeit und Chance gegeben wird, die im Bedarfsfall zu betreuenden Kinder und deren Eltern zumindest zu kennen, ein grundsätzliches Vertrauen aufgebaut werden konnte. Beides ist bei einem Betreuungsschnitt von 1:26 bzw. bei etwa 120 Kindern pro Ersatztagesmutter oder –vater vollkommen illusorisch – um nicht zu sagen, es ist unmöglich und pädagogisch nicht zu verantworten.

Deshalb fordern wir, das Vertretungssystem so aufzubauen, wie es pädagogisch geboten ist und wie es fähig wäre, um dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu genügen.

Wir fordern eine regionale Zuständigkeit bei einem Betreuungsschnitt von 1:8, also eine Tagepflegeperson steht als Vertretungsperson für 8 konkrete Tagespflegepersonen zur Verfügung, hat damit im Bedarfsfall bis zu 40 Kinder und deren Eltern zu betreuen bzw. zu kennen.

Mehr ist beim besten Willen nicht zumutbar und scheint in der Vorlage nur deshalb zu stehen, weil man Bedarfe auf abenteuerliche Weise berechnet und so künstlich reduziert und um stattdessen weitere Tagespflegepersonen für eine reguläre Kinderbetreuung zu gewinnen, weil man jahrelang den Bau neuer Kitas verschlafen hat. Aber ich sage Ihnen, Herr Prof. Fabian, was pädagogisch falsch ist, ist falsch und sollte so nicht gemacht werden.

Es würde mich sehr wundern, wenn Sie dies aus Ihrer sozialpsychologischen Expertensicht anders beurteilen.

Sorgen Sie, Herr Prof. Fabian, beim Vertretungssystem für Kindeswohl und für Rechtssicherheit. Beides sehen wir in der Vorlage nicht gegeben.

Bitte unterstützen Sie daher unseren Änderungsantrag.

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