Rede von Michael Schmidt zur Petition „Wir fordern die Stadt Leipzig auf, keine kommunalen Flächen mehr an Zirkusbetriebe mit Wildtieren zu vergeben“

Rede von Michael Schmidt, Vorsitzender des Petitionsausschusses, in der Ratsversammlung am 24.02.2016 zur Petition „Wir fordern die Stadt Leipzig auf, keine kommunalen Flächen mehr an Zirkusbetriebe mit Wildtieren zu vergeben“

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Frau Dubrau und die Herren Bürgermeister,
Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
sehr geehrte Frau Gromeyer,
liebe Gäste,

aufgrund der großen öffentlichen Diskussion, nicht nur hier in Leipzig sondern durchaus bundesweit, und der Tragweite des Themas, möchte ich als Vorsitzender des Petitionsausschusses die Ihnen heute vorliegende Beschlussempfehlung im Namen der Ausschussmitglieder einbringen.

Die Empfehlung des Petitionsausschusses, der Petition abzuhelfen, wurde mehrheitlich gefasst. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, werte Stadträtinnen und Stadträte also, zu beschließen, dass die Stadt  zukünftig keine kommunalen Flächen mehr an Zirkusbetriebe mit Wildtieren vergibt.
Vorgestern hat uns nun noch eine Stellungnahme des Rechtsamtes erreicht, in welcher angekündigt wird, dass ein solcher Beschluss rechtswidrig wäre und vom Oberbürgermeister kassiert werden müsse.
Lassen Sie mich dazu eine Gegendarstellung ausführen.

Zunächst möchte ich mich dem angeblich unbestimmten Begriff „Wildtiere“ widmen:
Der Begriff Wildtiere ist definiert, wenn auch nicht in der Petition.
Die Bundestierärztekammer (BTK) forderte bereits 2010 ein generelles Verbot aller Wildtiere in Zirkussen. Insbesondere Affen, Thümmler, Delfine, Greifvögel, Wölfe, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner und Flusspferde können in wandernden Unternehmen schon im Grundsatz nicht artgemäß nach § 2 Nr. 1 und 2 TierSchG untergebracht werden.
Die Erfahrung zeigt, dass die bestehenden Regelungen zum Schutz von Tieren bei den Wildtierarten (v.a.o.g.) nicht greifen, weil eine art- und verhaltensgerechte Unterbringung unter den besonderen Bedingungen eines reisenden Zirkusunternehmens systemimmanent und praktisch nicht möglich ist.
Für all dies gilt, dass sie, auch wenn keine schwerwiegenden Verhaltensstörungen sichtbar sind - erheblich leiden. Sie sind nicht domestiziert, sondern gezähmt. So sind sämtliche Elefanten deutscher Zirkusbetriebe, bis auf eine Ausnahme, nachweislich Wildfänge, deren Verhaltensansprüche nicht im Grundsatz erfüllt werden können.
Auch der Bundesrat hat zur Begründung auf die im Vergleich zu Tieren domestizierter Arten (wie z.B. Hunde und Pferde) geringere Anpassungsfähigkeit von Wildtieren an die restriktiven Haltungsbedingungen aufmerksam gemacht.
Die Petition widerspricht deshalb nicht der derzeitigen Gesetzeslage und dem Verhältnismäßigkeitsgebot.

Nun zur angeblichen „Einschränkung der Berufsfreiheit“:
Die Petition stellt zwar einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, der aber als geringgradig zu beurteilen ist. Eine Einschränkung bestimmter Tierarten ist somit verhältnismäßig.
Sofern die Berufsausübungsregelung zulässig ist, dürfte grundsätzlich auch die Eigentumsbeschränkung zulässig sein und damit wäre der Eingriff in Art. 14 Absatz 1 GG ebenfalls verfassungsmäßig.
So sieht es mittlerweile auch die Bundesregierung (siehe BT-Drucksache 17/10572): " ...nach den vorliegenden Erkenntnissen [handelt es sich] zwar um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, der durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, hier den Schutz der von dem Verbot oder einer Beschränkung erfassten Tiere, gerechtfertigt sein kann."
Die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit wird also für verhältnismäßig erachtet, da der Tierschutz mit der Aufnahme als Staatsziel in Art. 20a GG als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut einzuordnen ist.

Auf der Vollzugsebene ist die Problematik um Wildtiere in Zirkusbetrieben nicht lösbar, auch wenn dies der VSP suggeriert. Die Verweigerung einer Erlaubnis nach § 11 TSchG ist nur im Einzelfall anwendbar, aber zur generellen Regelung von Missständen nicht geeignet.
Zudem haben die Erfahrungen mit dem Zirkuszentralregister gezeigt, dass es systemimmanent bedingt trotz der zentralen Erfassung aller Wanderzirkusse nicht zu spürbaren Verbesserungen in den Tierhaltungen der genannten Arten gekommen ist.
Die einschlägigen Leitlinien entsprechen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern dienen lediglich der Orientierung. Zudem sind sie weder rechtsverbindlich und aufgrund der ständigen Ortswechsel der Zirkusbetriebe nicht konkret nachprüfbar.
Um der Problematik zu begegnen muss daher verhindert werden, dass die Tierarten, die absehbar gefährdet sind, weiter in Zirkussen gehalten werden.

Bereits 2003 und 2011 hat der Bundesrat jeweils einem Entschließungsantrag (BR-Drs. 595/03 und 565/11) zugestimmt, nach denen ein Haltungsverbot für bestimmte wild lebende Tierarten in Zirkusbetrieben ausgesprochen werden sollte.
Zudem räumt die Bundesregierung in der Begründung zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes ein. Gehandelt hat die Bundesregierung bislang allerdings nicht.
Aktuell liegt jedoch dem Bundesrat ein Antrag des Landes Hessen vom Februar 2016 zum Verbot der Haltung bestimmter wild lebender Tierarten im Zirkus in Deutschland vor.

Lassen Sie mich noch ein paar abschließende Informationen geben:

Die Mehrheit der Deutschen will im Zirkus keine Wildtiere sehen. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF-Magazins Frontal21 im vergangenen Jahr. Demnach finden es zwei Drittel der Deutschen nicht gut, wenn Wildtiere wie Elefanten, Giraffen oder Tiger in Zirkusbetrieben gehalten werden. Lediglich 15 Prozent äußern keine Bedenken.

Viele deutsche Städte haben das Elend der Tiere hinter den Glitzerkulissen der Zirkuswelt erkannt und angesichts der Blockadehaltung des zuständigen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz kommunale Verbote für Wildtiere im Zirkus erlassen. Städte wie Heidelberg, Worms, Potsdam, Speyer und viele andere (insges. 40) vergeben keine öffentlichen Flächen mehr an Zirkusbetriebe, die mit bestimmten Wildtierarten anreisen.
In Europa haben 18 Länder bereits alle oder bestimmte Tierarten in Zirkusbetrieben verboten. Zuletzt Großbritannien und die Niederlande.
Für Bernhard Paul, Mitgründer und Zirkusdirektor des Circus Roncalli, sind Wildtier-Aufführungen im Zirkus nicht mehr zeitgemäß. Roncalli verzichtet seit Jahrzehnten auf Wildtiere in der Manege. Seiner Meinung nach werde sich ein Verbot nicht verhindern lassen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Stadträte, im Namen des Petitionsausschusses bitte ich herzlich um Ihre Zustimmung zu unserer Empfehlung, der Forderung der Petenten zuzustimmen!

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