Rede von Norman Volger am 14. Juni 2023 zur Aussprache anlässlich der Geschehenisse rund um "Tag X"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Beigeordnete, sehr
geehrte Stadträtinnen Stadträte der nicht rechtsextrem vernetzten Fraktionen und weiterhin der Menschenwürde verpflichtet, sehr geehrte Besucherinnen und Besucher hier im Saal und im Stream,

Jede und jeder von uns Stadträtinnen und Stadträtinnen und auch der Oberbürgermeister Jung haben mit Ja geantwortet zu folgender Verpflichtungserklärung:

"Ich verpflichte Sie, die Verfassung und die Gesetze zu achten, Ihre Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen unparteiisch zu erfüllen. Insbesondere verpflichte ich Sie, das Wohl der Stadt Leipzig und das Ihrer Einwohnerinnen und Einwohner nach Kräften zu fördern "


Über das Wohl unserer Stadt lässt sich trefflich Streiten – über die Verfassung und Gesetze nicht.

Unsere Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen ist empört, dass sowohl der Oberbürgermeister Jung als auch Stadtsprecher Hasberg einen Mitglied unserer Fraktion im Nachgang der angemeldeten Demonstration am 4. Juni unterstellt haben, sich durch die Versammlungsleitung am Alexis Schuhmann Platz nicht im Sinne der Verpflichtungserklärung verhalten zu haben.

Ohne durch eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung und die somit hergestellte Versammlungsfreiheit wäre die Verfassung gefährdeter gewesen als ohne Versammlung.

Und mit der unangemessenen Kritik des OBM und Anderer an einem verfassungsmäßig verbrieftem Recht und gesetzlichen Handeln spielen sie in beginnenden Wahlkampfzeiten ein gefährliches Spiel.

Denn ich möchte lieber glauben, dass unser Oberbürgermeister und auch die CDU mit ihren Äußerungen wahltaktisch handeln als tatsächlich, wie ich es der AfD zutraue, unsere Verfassung in Frage zu stellen.

Denn die in ihrer absoluten Mehrheit friedlichen Demonstranten und nicht der Oberbürgermeister oder die Behörden der Stadt oder die Polizei haben das in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verbrieften Grundrecht der Demonstrationsfreiheit verteidigt.

Wollen wir älteren Leipziger Bürgerinnen und Bürgern,
die gegen Diktaturen aufbegehrten // wollen wir denen
die 1989 bei den Demos auf dem Ring ihre Freiheit riskierten // wollen wir den Jugendlichen, die am Wochenende stundenlang eingekesselt wurden  // wollen wir all diesen genannten Generationen aktueller Leipziger Bürgerinnen und Bürger , die für die Versammlungsfreiheit gekämpft haben, allen Ernstes sagen, dass das Verbot aller Versammlungen am Wochenende durch die Stadt Leipzig bzw. die polizeiliche Taktik der Einkesselung die bestmöglichste Lösung im Sinne unseres Grundgesetzes gewesen ist??                     Nein

Unsere Fraktion hält sowohl die Städtische Allgemeinverfügung als auch die Kesselung der Samstags
Versammlung für große strategische Fehler und rechtlich fragwürdig.

Und bevor wieder weiter Unterstellungen folgen. Gewalt ist nicht zu tolerieren und Straftaten müssen geahndet werden. Und den verletzen Polizisten ebenso wie den verletzten Demonstranten gebührt unser Bedauern. Und selbstverständlich hat die Polizei jedes Recht Gewalttäter aus einer Demo herauszugreifen. Aber das berechtigt NICHT überwiegend friedliche Demonstranten in Geiselhaft zu nehmen, einzuschüchtern und zu kriminalisieren.

Nur nebenbei die von mir ganz klar zu verurteilenden Ausschreitungen in den Nächten in Connewitz wurden dadurch auch nicht verhindert.

Es ist erschreckend für Leipzig jetzt gekürzt Amnesty International zitieren zu müssen und ich bitte alle Demokraten und auch die mir nachfolgenden Redner*innen der CDU sehr genau zuzuhören und ihre nachfolgenden Worte wohl zu überlegen und sich die Frage zu stellen wie Sie zu unserer Verfassung und Menschenrechten stehen.

„Amnesty International ist besorgt angesichts der zahlreichen Vorwürfe gegenüber der Polizei im Zusammenhang mit einem sogenannten Polizeikessel in Leipzig.

Auch eine solche Maßnahme, die aus polizeirechtlicher Sicht eine Ingewahrsamnahme nach den jeweiligen Polizeigesetzen darstellt, muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, der Ausfluss aus dem Rechtsstaatsprinzip ist.

Dennoch würde dieses Vorgehen der Polizei einen Verstoß gegen das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgende Differenzierungsgebot darstellen, welches die Polizei dazu verpflichtet, klar zwischen friedlichen Versammlungsteilnehmer_innen und Straftäter_innen zu unterscheiden.

Besorgniserregend sind auch die zahlreichen Berichte über eine unzureichende Versorgung. Zuletzt hatte der VGH Baden-Württemberg mit seiner Entscheidung vom 20.01.2022 daran erinnert, dass den Staat während einer solchen Maßnahme spezifische Schutzpflichten treffen. Hierzu zählt auch eine ausreichende Versorgung.

Ein Verstoß würde hier eine Missachtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs 1 GG, sowie eine Verletzung des Verbots der Folter, der unmenschlichen und erniedrigen Behandlung aus Art. 3 EMRK darstellen.

Amnesty International ist sich darüber im klaren, dass der Polizei mit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einerseits, und der Strafverfolgung andererseits, eine verantwortungsvolle und nicht immer leicht zu bewältigende Aufgabe zukommt.

Gleichwohl muss festgehalten werden, dass bereits der sog. Polizeikessel in Hamburg am 08.06.1986 durch das Verwaltungsgericht Hamburg für rechtswidrig befunden wurde, und es in der Folge immer wieder zu vergleichbaren Maßnahmen deutscher Polizeien kam, die gleichfalls als rechtswidrig abgeurteilt worden sind. Es ist in diesem Zusammenhang daher besonders irritierend, dass trotz der vielfach gemachten gerichtlichen Vorgaben, die Polizei Sachsen offenbar ein Vorgehen wählte, bei dem sich der Verdacht der Rechtswidrigkeit aufdrängt.“

Lassen Sie das mal sacken. Amnesty International kritisiert sonst autokratische Systeme und Diktaturen. Leipzig steht jetzt mit denen in einer Reihe.

Und welch Hohn: wir verleihen jedes Jahr mit Stolz den Leipziger Medienpreis in Gedenken an den 9. Oktober 1989 an mutige Menschen auf der ganzen Welt für Ihre Verdienste für die Meinungs- und Redefreiheit. Vielleicht sollten wir den Preis mit Blick auf das Geschehen am 4. Juni ganz leise und kleinlaut einstampfen oder wir haben das Rückgrat und verleihen den Preis vollkommen zu Recht den mehr als Tausend friedlichen Demonstranten vom 4. Juni. die unser aller Versammlungsfreiheit gegen ein autoritäres Staatsverständnis der Stadt und Polizei verteidigt haben.

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