Rede von Nuria Silvestre Fernandez am 18. Mai 2022 zum Antrag "Leipziger Zoo: Koloniale Vergangenheit aufarbeiten und rassistische Stereotype auch in der Gegenwart beenden"

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Bürgermeister*innen,

liebe Kolleg*innen, liebe Zuschauende,

 

meine Vorredner*innen Herr Okasha und Frau Nagel haben viele Punkte angesprochen, die auch mir wichtig sind.

Bevor wir über diesen Antrag entscheiden, möchte ich noch einen Aspekt hervorheben:

Vor 2 Wochen wurden erste Ergebnisse des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) veröffentlicht. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat in einer groß angelegten Studie verschiedene Facetten von Rassismus untersucht, darunter auch die Rassismuserfahrungen von Menschen in unserer Gesellschaft.

Ein Ergebnis ist: Jede*r Fünfte in Deutschland ist unmittelbar von Rassismus betroffen!

Ein anderes Ergebnis ist, dass - Zitat - “bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung die Abwehr von Rassismuskritik zu beobachten ist”. Dabei werden Betroffene von Rassismus vor allem als überempfindlich (33%) und ängstlich (52%) dargestellt.

Wir haben nun nicht nur durch zahlreiche kleine und größere Studien, sondern auch mit dem nationalen Monitor (empirisch) nachgewiesen, dass Rassismus einerseits starken Einfluss auf die Lebensrealität von Betroffenen hat und zugleich, dass viele Menschen zur Abwehr von Rassismuskritik neigen.

Ich frage mich schon seit langem, nicht nur als Stadträtin, sondern auch im Rahmen meiner eigenen Arbeit und auch als persönlich Betroffene:

Wieso scheint es einigen Menschen so schwer zu fallen sich mit Rassismus auseinanderzusetzen? Ein solches Unrecht zu erkennen? Wieso neigen so viele Menschen dazu die verletzenden Auswirkungen der eigenen Handlungen oder der Verhältnisse anzuerkennen? Wieso wird Kritik so stark und grundsätzlich abgewehrt? Und wieso sind - neben den Betroffenen, auch die Abwehrenden - dabei so emotional betroffen?

Auch hier hilft ein Blick auf die Forschung. Sie zeigt auf, dass wir alle mit verschiedenen Stereotypen, auch rassistischen, aufwachsen. Sie sind Teil unserer Lebensrealitäten, sozusagen “normal”. Aus Stereotypen aber, auch aus den rassistischen, erwachsen nicht selten Vorurteile - manchmal sogar mehr…

Es ist wichtig zu verstehen, dass wir in unserer Gesellschaft einen Grundstock an rassistischem Wissen haben. Das ist keine Anklage! Es geht nicht um Schuld. Es ist eine Tatsache, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Uns allen wird ein solches rassistisches Wissen seit frühester Kindheit vermittelt: über Kinderbücher, Lieder, Bilder, Erzählungen, über Alltägliches. Lange Zeit wurde das kaum hinterfragt. Es gehörte häufig quasi zum “kollektiven Wissen”, zu “unseren” Selbstverständlichkeiten, zu “uns”.

Wenn nun von so vielen Seiten Kritik an diesen exotisierenden, stereotyp verkürzten, unwürdigen “Kulturveranstaltung” im Zoo geäußert wird, dann werden damit auch genau diese Selbstverständlichkeiten kritisiert. Ich denke, das ist uns allen mehr oder weniger klar.

Eine solche Kritik wird, wie auch an vielen anderen Stellen unserer Gesellschaft, leider(!) als Angriff verstanden. Ich möchte aber eins deutlich machen: Dass sich gesellschaftliche Minoritäten und marginalisierte Gruppen einbringen und sich für mehr Gerechtigkeit und Würde einsetzen, muss nicht als Angriff verstanden werden!

Es kann auch als Engagement gesehen werden. Als Hinweis auf Leerstellen der Mehrheitsgesellschaft, als Einsatz für gerechtere Verhältnisse, für eine inklusivere Gesellschaft, für eine Gesellschaft, die weniger ausgrenzt und allen Mitglieder*innen signalisiert, dass sie in Würde und Achtung Teil von ihr sein können.

In diesem Sinne bitte ich Sie anzuerkennen, dass auch im Zoo Leipzig Schritte zu einer besseren Gesellschaft gegangen werden können. Hören Sie den Expert*innen zu, stimmen Sie bitte bei diesem wichtigen Thema zu.

 

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