Rede von Petra Cagalj Sejdi in der Ratsversammlung am 16. Mai 2018 zum Antrag unserer Fraktion „Gedenken an politisch motiviertes Unrecht im Gebäudekomplex Riebeckstraße“

Während wir eben noch über die Sozialplanung der Gegenwart und Zukunft abgestimmt haben, wollen wir mit diesem Antrag an die unmenschlichen Zustände in der Vergangenheit erinnern:

an den Gebäudekomplex in der Riebeckstraße 63.

Heute ist es ein Haus für jugendliche Migranten ohne Eltern und bald auch ein Kindergarten. Ein Gebäudekomplex der Leben, Hoffnung und Freude beherbergen kann. Doch leider war dies nicht immer so.

Nah am Zentrum und dennoch in sich geschlossen und nicht einsichtig war dieses Haus über 100 Jahre ein Ort der Unmenschlichkeit, der Unterdrückung, der Qual und auch des Todes.

Kaum jemand kennt heute noch die Geschichte diese Hauses. Ich selbst bin erst vor einigen Jahren darauf gestoßen, als ich über die Deportation der Leipziger Sinti und Roma recherchierte und immer wieder auf die Adresse Riebeckstraße 63 als letzte Aufenthaltsdresse vor der Deportation in die bekannten KZ stoßen musste.

Die traurige Geschichte des Gebäudekomplexes begann Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gründung eines städtischen Zwangsarbeiterhauses, welches später in „städtische Arbeitsanstalt“ umbenannt wurde. Der Name dieser Einrichtung lässt schon vermuten, was hinter den Mauern vor sich ging – ein Haus für angebliche „Arbeitsscheue“. Dies wurde im Nationalsozialismus erweitert: Psychisch Kranke Menschen, Menschen denen das Recht auf eine eigene Wohnung genommen wurde, Menschen die der Mehrheit der Gesellschaft nicht gefielen und sich nicht in das Bild der Allgemeinheit einfügen ließen, wurden in die Riebeckstraße eingewiesen und fanden von dort aus oftmals nur noch den Weg in die Vernichtungslager.

Im sächsischen Psychiatriemuseum, hier in Leipzig, in der Gedenkstätte für Zwangsarbeit und in den Archiven, lassen sich viele verzweifelte Briefe der Insassen an ihre Familien und Freunde lesen, in denen sie um Hilfe flehen, ihren Wunsch äußeren wieder nach Hause zu kommen und deutlich machen, wie qualvoll und aussichtslos das Leben hinter den Mauern in der Riebeckstraße war.

Auch als Unterbringung und Gefängnis für ausländische Zwangsarbeiter hatte die Riebeckstraße einen grauenvollen Ruf, bisher ist nur wenig drüber bekannt, was in den Kellern des Hauses alles geschah, doch einige wenige Fotos der beschrifteten Kellerwände, die ich in der Gedenkstätte für Zwangsarbeit sehen konnte, zeigen wie viele verschiedene Menschen hier leiden mussten, so manch einer versuchte sein Leid an diesen Wänden zu verewigen.

Leider nahm die traurige Geschichte des Hauses mit dem Ende des Naziregimes kein Ende auch in der DDR wurden die Gebäude für Ausgrenzung, Menschenverachtung und Qual genutzt: Erst als Sonderheim zur sozialen Betreuung für Jugendliche später als sogenannte „Venerologische Station“, aber wohl viel eher als Gefängnis für Frauen, die nicht der „Norm“ der Gesellschaft entsprachen.

Im Zuge unserer Antragsstellung kam ich in Kontakt mit einem ehemaligen Opfer der Venerologischen Station. Einer Frau, die als junges Mädchen eingewiesen wurde und über einen Monat miterleben musste, wie Frauen gequält wurden, an ihnen Macht demonstriert wurde und einige sogar gegen ihren ausdrücklichen Willen ihre Kinder abtreiben mussten.
All dies und sicher noch vieles mehr, geschah hinter den Mauern der Riebeckstraße 63. Wir können es heute leider nicht mehr rückgängig machen, aber wir dürfen es auch nicht weiter im Verborgenen lassen und deshalb möchten wir Bündnis 90/Die Grünen, dass den Opfern der Riebeckstraße endlich ein Gedenken geschaffen wird, das das Unrecht welches ihnen in unserer Stadt, in diesen Gebäuden widerfahren ist, sichtbar macht.

Denn nur wenn wir das Grauen und die Fehler der Vergangenheit sichtbar machen und den Opfern von politisch motiviertem Unrecht gedenken, können wir gegen ähnlich schlechte Entwicklungen in der Gegenwart ankämpfen!

Der Verwaltungsstandpunkt fasst unser Anliegen gut auf und zieht mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit noch einen weiteren wichtigen Akteur hinzu – aus diesem Grund haben wir den Verwaltungsstandpunkt als Neufassung unseres Antrags übernommen.

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