Rede von Petra Cagalj Sejdi in der Ratsversammlung am 26. Juni 2019 zum Antrag „Kein Platz für Antiromaismus in Leipzig“

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Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat,
liebe Zuschauerinnen und Zuschauer.

wir sprachen heute bereits über Antisemitismus und darüber, dass wir diesen in unserer Gesellschaft bekämpfen und verhindern müssen. Das Problem Antisemitismus ist uns geläufig, es gibt seit vielen Jahrzehnten eine Auseinandersetzung damit, es steht auf den Lehrplänen und wird auch in der außerschulischen Bildungsarbeit thematisiert. Wir wissen, was Antisemitismus ist und sind trotz vieler trauriger antisemitischer Vorfälle sensibilisiert.

Anders ist es mit dem Antiromaismus oder auch Antiziganismus genannt – dem Rassismus gegen die Sinti und Roma – gegen Menschen mit Romano-Hintergrund. Auf bundespolitischer Ebene wird das Wort Antiziganismus verwendet – wir Antragssteller haben uns aber bewusst für den Begriff „Antiromaismus“ entschieden, da wir den negativ konnotierten begriff „Zigeuner“ nicht verwenden möchten. Gemeint ist hiermit aber das Gleiche: Rassismus gegen Sinti und Roma.
Antiromaismus ist eine Form des Rassismus, die am weitesten und am tiefsten in unserer Gesellschaft verbreitet ist und auf allen Ebenen vorkommt, es gibt bisher leider nur eine bedingte Auseinandersetzung damit.

2016 hatte ich die Möglichkeit eine Delegation von Sinti und Roma zur internationalen Gedenkfeier am 02.08. nach Auschwitz zu begleiten. Dort hatte ich die Gelegenheit einen Herrn kennen zu lernen, der als Junge im KZ Opfer des schrecklichen Dr. Mengele geworden war. Er war zum ersten Mal wieder an diesen Ort der Qualen zurück gekommen und berichtete uns von dem, was seiner Familie und ihm widerfahren war, doch das, was er uns am Ende sagte, prägte sich mir am meisten ein. Er sagte, dass es das Leben nach Auschwitz gewesen sei, was ihn in seinem Leben endgültig traumatisiert habe. Die Tatsache, dass Ausgrenzung, Diskriminierung und Vorurteile gegen ihn und alle anderen Sinti und Roma in Deutschland bis heute nie aufgehört haben und dass dies viele Menschen in ihrem Leben von der Gesellschaft ausgeschlossen hat.

Wir haben in Deutschland ein Problem mit Antiromaismus und wir müssen uns dem stellen.
Obwohl die Begriffe Antiziganismus oder Antiromaismus zunehmend eine institutionelle Anerkennung widerfahren, gibt es noch kein breites, akzeptiertes Verständnis der Bedeutung und der Implikationen. Ich bemerke das in meinem beruflichen Leben für den sächsischen Romaverein und wir haben das auch bei der Antragsstellung gemerkt – es fehlt das Bewusstsein in der Gesellschaft, immer wieder wurden wir mit der Aussage konfrontiert, in Leipzig gäbe es keinen Antiromaismus oder keine Vorfälle dazu.

Doch es gibt sie!

Sie werden nur nicht erkannt und auch nicht erfasst. Fragen sie die jungen Leute draußen im Foyer nach ihren Erlebnissen und sie können ihnen berichten, mit welchen Vorurteilen, Benachteiligungen und Ausgrenzungen man sich auseinander setzen muss, wenn man Romni, Rom, Sinto oder Sintezza ist: Es gibt die offensichtlichen Vorfälle, wie negative Äußerungen und Handlungen, doch Antiromaismus umfasst ein weitaus größeres Spektrum an Diskriminierung, vieles was nur implizit oder versteckt auftritt, relevant ist dabei nicht nur das was gesagt wird, sondern auch das was getan oder nicht getan wird.

Antiromaismus tritt zum Beispiel in der Schule auf, wenn die Schülerin bemerken muss, dass der Lehrer ihre ethnische Zugehörigkeit für den Grund ihrer schlechten Noten hält und nicht mehr genug Chancen sieht, sie zu fördern, es tritt in der Frauenarztpraxis auf, wenn die Ärztin der werdenden Mutter vorschlägt, sie soll doch mal über Verhütung nachdenken, da sie ja schon vier Kinder habe und dem Dolmetscher deutlich macht, dass sie den Grund in der ethnischen Zugehörigkeit sieht. Es tritt im Sportverein auf, wenn die der Junge, nachdem er erzählt hat, dass er Rom ist, plötzlich des Diebstahls verdächtigt wird. Antiromaismus begegnet den Betroffenen ständig und überall und beeinflusst ihr Leben. Antiromaismus kommt überall vor, auch in unseren Ämtern und Behörden und auch dort, wo man eigentlich gar nicht antiromaistisch sein möchte, so durfte der Verein Romano Sumnal z. B. in einer Stellungnahme der Stadt zu seinem Förderantrag an die SAB lesen, dass das Amt für Jugend Familie und Bildung ein Problem bei der Erfüllung der Schulpflicht bei Roma-Kindern sieht – doch woher weiß das AJUFABI, welches Kind Rom oder Romni ist und welches nicht, wird so etwas erfasst? - das dürfen Behörden in Deutschland zum Glück nicht mehr - oder beruht die Zuteilung auf wagen Vermutungen, die an fragwürdigen Eigenschaften festgemacht werden? Dies ist nur ein Beispiel, wo uns Antiromaismus überall begegnet und wie wichtig die Sensibilisierung auf allen Ebenen ist.

Mit unserem Antrag wollen wir in Leipzig einen Anfang machen, wir wollen zur Sensibilisierung auffordern und ein Zeichen setzen.
Leipzig soll Vorbild sein und zeigen, dass wir als weltoffene und tolerante Stadt bereit sind, gegen Antiromaismus einzutreten und ihn in unseren Reihen zu bekämpfen. Es ist nicht  nur unsere Verantwortung aus den Vorkommnissen der Gegenwart, es ist auch die Verantwortung unserer Vergangenheit, denn es waren Leipziger Nachbarn, Pfarrer und Mitarbeiter der Universität Leipzig, die Sinti und Roma denunziert haben und es waren Leipziger Polizisten und städtische Mitarbeiter, die sie festgenommen und zur Deportation in die KZs gebracht haben. Wir haben eine Verantwortung von damals und heute und der müssen wir gerecht werden

Wir wünschen uns daher ein aktives Vorgehen gegen die Vorurteile und ein aktives Vorgehen für gesellschaftliche Teilhabe, dazu gehört Aufklärungsarbeit in Horten, Kitas und Ämtern und anderen kommunalen Einrichtungen, damit Vorfälle, wie ich sie in den Beispielen geschildert habe,  in Zukunft nicht mehr geschehen können.

Es ist wichtig, dass wir uns als Stadt dafür einsetzen das antiromaistische Vorfälle entsprechend als solche erfasst und benannt werden.

Am 08.04. ist der Internationale Tag der Roma. Er wird seit 1990 international begangen, wir wollen das auch als Stadt Leipzig tun und genau wie die Stadt Wien an diesem Tag die internationale Flagge der Roma hissen – es geht hier nur um einen Tag im Jahr an dem wir ein Zeichen setzen könnten, dass weit über unsere Stadtgrenzen hinaus gehen würde und Anerkennung in ganz Deutschland finden würde.

Wir haben die Möglichkeit uns als Stadt in diesen Bereichen zu engagieren und Zeichen zu setzen, wir müssen es nur wollen und an dieser Stelle appelliere ich an Sie, unterstützen sie unseren gemeinsamen Antrag, damit wir Leipzigerinnen und Leipziger zeigen können, dass in unserer Stadt kein Platz für Antiromaismus ist!

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