Rede von Sophia Kraft am 18. November 2021 zum Antrag „Digitale Sitzungen für Stadträt*innen in Sonderfällen ermöglichen“

Foto: Martin Jehnichen

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Dezernentinnen und Dezernenten,
liebes mehr oder weniger diverses Ratsgremium,
liebe Zuhörende,

Sie ahnen es wahrscheinlich schon durch meine Anrede, welchen Fokus ich mit meiner heutigen Rede zu unserem Antrag für die Ermöglichung
der digitalen Teilnahme an beratenden Ausschüssen einnehmen möchte.

Bei der digitalen Teilnahme für uns Stadträtinnen und Stadträte geht es nämlich mitnichten nur darum, die Umsetzung der Ratsarbeit zu vereinfachen.

Nein, es geht um ein viel größeres Thema,
nämlich um die Diversität in unseren Parlamenten
und darum, ob Kommunalpolitik eigentlich noch repräsentativ ist,
wenn dieses Ehrenamt nur für bestimmte Menschengruppen realistisch umsetzbar ist.

Wenn wir jetzt im Rathaus tagen würden, würde ich sagen:
“Schauen wir uns doch mal kurz im Saal um. Was sehen wir?“

Auch hier auf den Kacheln in der digitalen Sitzung sehen wir in der Mehrzahl
männliche Stadtratskollegen über 40 Jahre.

Woran das liegen mag,
möchte ich heute gar nicht in Gänze mit Ihnen diskutieren.


Vielmehr möchte ich Sie dafür sensibilisieren,
dass es für Eltern von kleinen Kindern
oder für Menschen, die Angehörige pflegen,
einen unglaublichen Organisationsaufwand bedeutet,
an den vielen, teilweise sehr langen und meistens zu abendlicher Stunde stattfindenden Sitzungsterminen teilzunehmen.

An dieser Stelle möchte ich gar nicht konkret ausführen, wie schwierig es beispielsweise für mich mit einem Säugling ist,
die Sitzungstermine in Präsenz wahrzunehmen,
nur um dann nach einer Stunde vom Babysitter angerufen zu werden, weil sich das kranke Kind zu Hause nicht mehr beruhigen lässt und ich die Sitzung dann doch vorzeitig verlassen muss.

Zurecht möchte daher unsere neue Bundestagspräsidentin, Ihre Parteikollegin, Herr Jung, die Förderung von Frauen in der Politik zu einem ihrem Schwerpunktthemen in dieser Legislatur machen.

Sie sagte am Tag ihrer Wahl folgendes: „Viele Frauen mit Familien zögerten, ein politisches Amt anzunehmen. Und da will ich ein bisschen unterstützen und Mut machen mit meiner Person.“

Mut machen ist gut, aber reicht natürlich bei Weitem nicht aus, um auch unsere demokratischen Gremien im selben Maß von Frauen wie von Männern repräsentiert zu sehen.

Konkret brauchen wir Maßnahmen, um ehrenamtliche Ratsarbeit auch für Personen zu vereinfachen, die Sorgearbeit leisten. Und das sind heutzutage in unserer Gesellschaft nunmals vorrangig immer noch Frauen.

Was fordern wir als Grüne Fraktion nun konkret mit unserem Antrag, den wir bereits im März zeitgleich zum Antrag zur digitalen Zuschaltung von Gästen ins Verfahren gebracht haben?

Worum es meiner Fraktion mit diesem Antrag geht, ist die digitale Teilnahme an beratenden Gremien des Stadtrates, also NICHT um Gremien wie die Ratsversammlung oder den Verwaltungsausschuss und zwar auch außerhalb einer pandemischen SItuation. Diese digitale Teilnahme an beratenden Gremien ist nach Sächsischer Gemeindeordnung auch nicht unzulässig.
Während der Coronapandemie mussten und müssen wir heute ja immer noch sehr viele Einschränkungen akzeptieren.

Natürlich ist der unmittelbare Austausch in einer Präsenzsitzung, geprägt von Mimik, Gestik und direkter Ansprache in der Debatte, sehr wertvoll.
Doch wir haben in den zahlreichen digitalen Sitzungen der letzten Monate auch gelernt, dass es auch anders geht und demokratische Arbeit auch digital funktionieren kann; was das Beispiel heute ja auch wieder zeigt.

Warum nun also nicht an diesen Erfahrungen anknüpfen und die Vorteile unserer digitalen Gegenwart nutzen?
Warum wollen Sie, Herr Jung, uns unbedingt in prädigitale Sitzungsstrukturen zurück bugsieren, sobald die pandemische Situation es zulässt, und nicht die Vorteile der Digitalisierung nutzen?

Im Verwaltungsstandpunkt führen Sie das Argument an, dass es - ich zitiere - „nicht ausgeschlossen sei, dass im privaten oder beruflichen Umfeld der Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer weitere Personen von nichtöffentlichen Sitzungsverläufen Kenntnis nehmen können.“

Zum einen kann ich hier nur entgegnen, dass heutzutage mit Hilfe eines Smartphones oder jeden anderen technischen Geräts auch aus Präsenzsitzungen alle Informationen unmittelbar nach außen getragen werden können, wenn das beabsichtigt ist.

Zum anderen möchte ich aber ganz klar an dieser Stelle nachfragen, ob Sie, Herr Jung, uns Stadträtinnen und Stadträten so wenig vertrauen, dass wir - nach Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung zu Beginn der Wahlperiode - unser Stadtratsmandat auch vertraulich und gewissenhaft ausführen?
Die Frage, ob die digitale Teilnahme an beratenden Gremien nur für Stadträtinnen und Stadträte ermöglich werden sollte, die gesundheitlich eingeschränkt sind oder Einschränkungen durch Sorgearbeit unterliegen, ist zu diskutieren.

Der bürokratische Aufwand, dies zu überprüfen wäre sicherlich mit Krankenschein und ähnlichen Nachweisen machbar, allerdings auch zeitaufwändig.

Deshalb stehen wir an dieser Stelle dem Änderungsantrag der Fraktion Freibeuter, die eine digitale Teilnahme ohne Nachweis fordern, offen gegenüber.

In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank!

Hier gehts zum Antrag und zum Ratsbeschluss

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