Veranstaltungsbericht: Einsatz von Pestiziden - in Leipzig verzichtbar?! - Dienstag, 11. November 2014, 18:30 Uhr, Neues Rathaus, Sitzungssaal
Bericht über die Veranstaltung Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dienstag, 11. November 2014, 18:30 bis 20:30 Uhr Neues Rathaus, Sitzungssaal
Einsatz von Pestiziden - in Leipzig verzichtbar?!
Die Einen bezeichnen die kritischen Diskussionen um den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, im Kleingarten, bei der Pflege öffentlichen Grün´s als reine Hysterie - für die Anderen ist der Einsatz von Pestiziden einfach verantwortungslos, da sie die unerwünschten Wirkungen für folgenreich halten.
Wir bringen das Thema in die kommunalpolitische Betrachtung und Abwägung in Leipzig ein und laden zu Information und fachlichen Diskussion ein.
Unsere Podiumsgäste waren:
- Heiko Rosenthal, Bürgermeister für Umwelt, Ordnung, Sport
- Wolfram Günther, Landtagsabgeordneter Bündnis 90/Die Grünen Sachsen
- Peter Hettlich, BUND Regionalgruppe Leipzig
- Uwe Bittner, Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH
- Dr. Anna Catherina Voges, SaatGut Plaußig Voges KG
Norman Volger, Stadtrat Bündnis 90/Die Grünen Leipzig (Moderation)
Hettlich führt in die Thematik ein: Pestizide sind chemische Substanzen gegen Schadorganismen. Herbizide werden gezielt gegen Unkraut oder Begleitkräuter (je nach Denkansatz) eingesetzt. Dabei entstehen begleitende Negativeffekte, die als Folgewirkung Einfluss auf Insekten und Wasserhaushalt haben. Roundup (Wirkstoff Glyphosat) ist das bekannteste Mittel und jetzt in der weltweiten Kritik wegen
Günther: Der Einsatz von Pestiziden wird im Pflanzenschutzgesetz §12 geregelt. Die zuständige Bundesbehörde ist das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Deutschland ist Berichterstatter zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der EU. Im Mai 2014 wurde die Bestimmungen neu geregelt: Glyphosathaltige Stoffe dürfen nur 2x pro Jahr ausgebracht werden, pro ha maximal 3,5 kg Wirkstoff, im Abstand von mindestens 90 Tagen.
Glyphosat wird eingesetzt zur Vermeidung von Ernteausfällen durch Begleitgrün und auch häufig in der Landwirtschaft zur Reifebeschleunigung eingesetzt.
Pflanzenschutzmittel dürfen nicht auf befestigten Flächen angewendet werden und nicht unmittelbar an Gewässern.
Das Sächsische Landesamt für Geologie und Landwirtschaft hat Auskunft gegeben, dass 2013 523 Anträge auf Ausnahmegenehmigungen eingegangen wären, kontrolliert worden sei 20 mal, in 4 Fällen wurde ein geringes Bußgeld verhängt. Anwendungen dürfen nur von geschultem Personal vorgenommen werden.
Dr. Voges: führt einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 2500 ha, rund um BMW als Nachzuchtgebiet zur Gewinnung von Saatgut. Vor dem Einsatz von Pestiziden stehen in ihrem Betrieb vernünftige Fruchtfolge, Mulchen und Grubbern als Abwehrmaßnahmen gegen Unkraut. Handarbeit ist zu teuer, da die Erträge landwirtschaftlicher Produkte nicht dem Aufwand entsprechen. Ihr Betrieb wird regelmäßig vom Landesamt nichtangekündigt kontrolliert.
Hettlich: Der Anteil von landwirtschaftlichen Bio-Betrieben beträgt 6-7 %. Der BUND sieht der Einsatz von pestiziden kritisch, weil die Biodiversität, die Artenvielfalt sehr geschädigt wird. Besonders auf dem Land sinkt die Artenvielfalt, Arten siedeln deswegen verstärkt in die Städte über.
Rosenthal: Seine Zuständigkeit betrifft alle Flächen auf öffentlichem Grund: Waldflächen, Parks, Friedhöfe, Sportanlagen, Kleingartenanlagen. Seit 1990 wird in Leipzig auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet. Dem Amt für Umweltschutz wurde eine Ausnahmegenehmigung erteilt für die Bekämpfung invasiver Pflanzen: - Wiesenknöterich und Riesenbärenklau Für Stadtreinigung wurde seitens der Stadt Leipzig eine Ausnahmegenehmigung zur Pflege von Wegen und Plätzen erteilt, dazu existiert eine Einsatzliste. Mittel kommen nur zum Einsatz, wenn andere Pflegeansätze nicht erfolgreich waren. In kommunalen Kleingartenanlagen gilt seit 2013 der Grundsatz der Minimierung. Nützlinge müssen geschont werden und Pestizide dürfen nur im absoluten Ausnahmefall angewendet werden. Beim Amt für Sport werden Pestizide angewendet auf Tennisanlagen und Schulsportanlagen. Auch Rosenthal stellt die Frage in den Raum, ob die Ämter Ressourcen haben für mechanische Anwendungen gegen Unkraut.
Bittner: Erklärt, dass auch die LWB zur Pflege von Grünflächen teilweise Herbizide verwendet. Dazu wurde beim Landesamt eine Ausnahmegenehmigung beantragt und ausgestellt. Alternative Bekämpfungsmethoden sind mechanische und thermische Verfahren und würden auch geprüft.
Diskussionsrunde:
- 1. Beitrag:Landwirtschaftsbetrieb Agrargenossenschaft Kitzen hat Flächen von der Stadt Leipzig gepachtet. Das private Wohngrundstück liegt mit 5 bis 6 Meter Abstand vom Feld. Es gibt keinen Schutz gegen Giftaustrag, welcher mehrfach im Jahr erfolgt. Frage: Wie schützt die Stadt ihre Bürger? BM Rosenthal regt an, einen gemeinsamen Termin mit der AgrarG Kitzen zu vereinbaren, wenn geklärt ist, dass das genannte Feld städtisches Pachtland ist. Hinweis: Es besteht ein zivilrechtlicher Abwehranspruch gegen die Giftanwendung.
- 2. Beitrag: Dialog suchen ist nötig. Im Pflanzenschutzgesetz wird ein Schutzabstand für Menschen von 1 Meter, zu Gewässern von 6 Metern, vorgeschrieben.
- 3. Beitrag: Vorschlag wird eingebracht für städtische Landwirtschaftsflächen Pächter suchen, die biologische Landwirtschaft einführen. Es gibt einen Grundsatzbeschluss des Stadtrats, dass bei NEU-Verpachtung biologische Landwirtschaft vertraglich zu regeln ist.
- 4. Beitrag: Information: in den Niederlanden wird der Düngemitteleinsatz und Giftaustrag per Satellit überwacht. Landwirte gehen daraufhin nach Deutschland!
- 5. Beitrag: In Kleingärten könnten Aushänge auf das Verbot der Anwendung von Pestiziden hinweisen.
- 6. Beitrag: Kernproblem sind verschiedene Schönheitsideale versus Biodiversität und entsprechende Verantwortung. Dadurch bedrohen wir unsere Umwelt durch unsere Lebensstil in bedenklichem Maße.
- 7. Beitrag: Der Stadtverband der Kleingärtner informiert die 32.500 Pächter in 208 Anlagen über Gartenfachberater in regelmäßigen Schulungen und den "Gartenfreund" über das Pestizid-Einsatz-Verbot.
- 8. Beitrag: BIO bedeutet extremen personellen und materiellen Einsatz.
- 9. Beitrag: BM Rosenthal meint, dass die Rahmenbedingungen für Kommunen nicht stimmen um dergleichen Aufgaben zu stemmen. Er sieht seine Rolle anders - man dürfe Kommunen/kommunale Verwaltungen nicht überfrachten, Behörden müssen sich an Recht und Gesetz halten. Es wären gesetzliche Änderungen nötig.
- 10. Beitrag: Dieser Prozess der Feststellung von Notwendigkeiten funktioniere im Gegenstromprinzip und müsse von Kommunen als Thema auch gesetzt werden, wenn es seitens der Bürgerschaft gefordert werde. Das Podium ist auch der Sächsische oder Deutsche Städte- und Gemeindetag.
Fazit aus der Sicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Norman Volger fasst das Ergebnis des Abends zusammen:
"Wir bedrohen unsere Umwelt durch unseren Lebensstil in bedenklichem Maße. Alle Podiumsteilnehmer waren sich darin einig, dass es gemeinsames Ziel sein muss, die Nutzung von Herbiziden und Pestiziden zu reduzieren und wenn möglich darauf zu verzichten. Die Rahmenbedingungen dazu müssen auf Bundes- und Landesebene mitgestaltet werden. Zu den ungewünschten Folgen der Herbizid- und Pestizidverwendung sowie gesundheits- und umweltbewussteren Alternativen muss die Öffentlichkeit umfassender informiert werden, die Alternativen zudem finanzierbar sein bzw. werden. Hierzu braucht es auch ein gesellschaftliches Umdenken. Es wurde bedauert, dass Vertreter des Glyphosat-Herstellers Monsanto nicht anwesend waren und an der Diskussion nicht teilnehmen konnten. Hinsichtlich des Stadtratsantrages „Leipzig - Pestizidfreie Kommune“ ist die Fraktion zuversichtlich, entsprechende Unterstützung der Verwaltung zu erfahren und in den nächsten Monaten einen positiven Beschluss erreichen zu können."